Kommentar: Der EU fällt endlich die Abhängigkeit von China auf – aber zu spät

Seite 2: Kein Vertrauen in die Konzerne

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Der Critical Raw Material Act, verabschiedet Ende 2023, soll nun nach dem Willen der EU die Wende einläuten. Bereits im April oder Mai 2024 wird in Berlin die finale Fassung des Gesetzes erwartet. Und dann, so die Verantwortlichen, will man sich in Deutschland eine Meinung bilden und den Act umsetzen. Für den aktuellen Handelskrieg zwischen den USA und China sowie Russland dürfte die EU-Initiative damit knapp zu spät kommen. Denn beim Abbau von Rohstoffen denken die Beteiligten in Jahrzehnten, nicht in Quartalen. Abbaugebiete müssen erkundet und dann langwierig erschlossen werden.

Die betreffenden Konzerne haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte allerdings einen rabenschwarzen Ruf erarbeitet. Geborstene Rückhaltebecken, abrutschende Steilhänge beim Tagebau, mangelnder Arbeitsschutz unter Tage. Bei dem Dammbruch in Brasilien ergossen sich 2019 rund 12 Millionen Kubikmeter Schlamm über die Stadt Brumadinho und Teile anderer Siedlungen. Mehr als 300 Menschen kamen ums Leben. Der Eisenerzproduzent Vale wird nun auf Milliarden verklagt. Wo immer neue Projekte zur Diskussion stehen, regt sich rasch Widerstand.

Im Januar 2022 scheiterte ein hoffnungsvolles Projekt, das für Energie- und Verkehrswende so dringend benötigte Lithium in Serbien abzubauen. Nach gewaltige Investitionen des Konzerns Rio Tinto scheiterte das Projekt an massiven Protesten von Umweltschützern. Ohne Lithium sind alle Pläne für neue E-Autos ohne Hilfe aus China allerdings Makulatur. In Deutschland kämpfen die Betreiber gegen massiven Protest beim Abbau von Kies. Der ist zwar reichlich vorhanden und zum Neubau von Wohnungen und Rechenzentren sowie Straßen und Brücken zwingend erforderlich. Doch die Anwohner klagen über Belästigungen sowie mangelnde Sorgfalt der Betreiber. Nach der Flutkatastrophe 2021 steht der Kiesabbau verstärkt unter Druck. In Erftstadt-Blessem nahe Köln war in der Nacht zum 16. Juli 2021 der Boden nahe einer Kiesgrube am Fluss Erft weggerutscht und hatte zahlreiche Häuser zerstört. Die Anwohner hatten davor lange gewarnt.

Rund 10 Prozent seiner kritischen Rohstoffe will die EU laut CRM innerhalb der Grenzen der EU gewinnen. Woher all die Lagerstätten kommen sollen, bleibt schleierhaft. Den Rest des Bedarfs sollen von diversen anderen Regionen stammen, also nicht aus China. Auch verstärktes Recycling steht auf dem Wunschzettel sowie Aufarbeitung der Rohstoffe innerhalb der Gemeinschaft. Finanziert von Investoren, nicht von der EU selbst. Angesichts der hohen Hürden, was Umwelt- und Arbeitsschutz sowie Bürokratie innerhalb der EU betrifft, wohl eher ein frommer Wunsch. In Deutschland lohnt sich inzwischen weder die Produktion von Glas noch Porzellan oder Photovoltaik.

In der EU vergehen meist rund 15 Jahren von einer erfolgreichen Entdeckung bis zum Abbau eines Rohstoffs. Da hätte man also besser schon während des Sommermärchens mit der Exploration beginnen sollen, parallel zum Fußballspiel. Künftig sollen dank entsprechender Regelungen maximal 27 Monate ausreichen. Recycling- und Verarbeitungsanlagen haben binnen 15 Monaten startklar zu sein. So steht es im Entwurf. Wie die Bevölkerung und die Justiz darauf reagiert, bleibt abzuwarten.

Bei den neuen Lieferländern ist die EU wählerisch. Korruption geht gar nicht, Kinder- und Zwangsarbeit auch nicht. China ist da weit großzügiger und passt sich den lokalen Verhältnissen geschickt an. Die eine Billion Dollar, die China in die Infrastruktur der Neuen Seidenstraße investiert hat, brachte auch neue Abhängigkeiten mit sich. Denn China vergab Kredite und verteilte keine Almosen. Nun sind viele Länder abhängig von Wohlwollen der Chinesen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Vielleicht finden wir ja alle nötigen Zutaten für unsere Wirtschaft in der Lüneburger Heide. Fangen wir an zu graben!

(fo)