Verfallsdatum für Erfinder?

Können die Menschen in einer Wissensgesellschaft auch im Alter innovativ bleiben? Ed Tenner meint: aber natürlich.

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Von
  • Ed Tenner
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Können die Menschen in einer Wissensgesellschaft auch im Alter innovativ bleiben? Diese Frage geht jede Altersstufe an - und zwar besonders all jene Menschen, die in den USA, Europa und Japan leben, wo immer weniger Arbeitnehmer immer mehr Rentner unterstützen müssen.

Nach der jüngsten US-Statistik des National Science Board (NSB), das die amerikanische Regierung in Wissenschaftsfragen berät, wächst die Zahl der Beschäftigten in Wissenschaft und Technik in den nächsten Jahrzehnten zwar, doch auch das Durchschnittsalter erhöht sich. Aber kann ein Wissensarbeiter mit 50 oder 60 noch so kreativ sein wie früher?

Genau diese Frage klammert die NSB-Statistik leider aus. Sollte die Antwort "nein" lauten, hätten das sowohl für die Produktivität als auch den Lebensstandard der Zukunft negative Folgen. Bereits jetzt fehlt es der US-Forschung an Nachwuchs -- 2003 warnte das NSB bereits, dass Amerika zunehmend von Einwanderern mit guter Ausbildung abhängig sei.

Insbesondere ältere Wissenschaftler beschäftigen sich schon seit langem mit der Frage, wie lange sie produktiv bleiben können. G. H. Hardy schrieb 1940 den Klassiker "Entschuldigung eines Mathematikers", in dem er zugab, dass ihm "wie jedem anderen Mathematiker über 60" die "Geistesfrische, Energie und Geduld" fehle, weiter effektiv in seinem Beruf arbeiten zu können: "Mathematik ist etwas für junge Männer."

Auch Wissenschaftler anderer Disziplinen fürchteten das Alter: Der Nobelpreisträger Paul Dirac sagte einmal verschmitzt, dass ein Physiker über 30 "so gut wie tot" sei. Der Physik-Historiker Abraham Pais will das bestätigen können: Einstein, so schrieb er, hätte ab 1925 (mit 46 Jahren) eigentlich auch Fischen gehen können...

Trotz all dieser Negativität kann man in Harriet Zuckermans Wissenschaftsklassiker "Scientific Elite" aus dem Jahre 1977 nachlesen, dass die meisten US-Nobelpreisträger im Durchschnitt mindestens 39 Jahre alt waren. Und Sir Nevill Mott gewann seinen Nobelpreis in Physik sogar, nachdem er in Rente gegangen war.

Insbesondere Biologen erweisen sich bis ins hohe Alter hinein als zähe Gesellen: Der berühmte deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt suchte mit mehr als 60 Jahren im tiefsten Russland nach Goldfeldern und begann mit "Kosmos", der wichtigsten Entstehungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, im Alter von 76. Bis er mit 89 Jahren verstarb, entstanden mehr als 2000 Seiten. Und auch der Harvard-Forscher Ernst Mayr publizierte bis ins hohe Alter (er wurde 100).

Wie kommt es dann, dass manche gealterten Forscher plötzlich unproduktiv werden, während andere spät zu neuen Höhenflügen ansetzen? Einige von ihnen könnten den "Altersmythos der Wissenschaft" verinnerlicht haben, wie Zuckerman das Phänomen nennt. Ein anderer Grund ist jedoch, dass jede Form von Bildung irgendwann an ihre Grenzen stößt -- sogar Einstein dürfte diese Barriere berührt haben. Wissenschaftler über 40 haben die Wahl: Entweder arbeiten sie in ihrem bisherigen Forschungsbereich weiter, für den sie gut bezahlt werden, und lassen sich von einer neuen, frischeren Generation Konkurrenz machen -- oder sie beschäftigen sich mit ganz neuen Themen.