Missing Link: Zahlen und Trends beim Terrorismus – Europol ist beunruhigt

Seite 2: In Deutschland die meisten Staatsverweigerer und Reichsbürger

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Im Dezember verhafteten Ordnungshüter hierzulande, in Österreich und Italien 24 Deutsche und einen russischen Staatsangehöriger aus dem Spektrum der "Reichsbürger und Selbstverwalter" nach groß angelegten Hausdurchsuchungen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und anderer Straftaten. Sie stehen im Verdacht, die bestehende Ordnung in Deutschland durch eine andere Staats- und Regierungsform ersetzen zu wollen. Insgesamt gibt es die meisten Reichsbürger und Staatsverweigerer in Deutschland mit rund 23.000 Menschen, gefolgt von Österreich.

Festgenommen wurden 2022 in den Mitgliedstaaten 380 Personen in Zusammenhang mit terroristischen Straftaten. Der Löwenanteil davon hatte mit 266 Verhaftungen einen dschihadistischer Hintergrund. Die Zahl dieser Verdächtigen entspricht in etwa den 388 Festnahmen im Vorjahr und ist niedriger als 2020 mit damals 449 gemeldeten Festnahmen. Die meisten mutmaßlichen Islamisten gingen den Behörden in Frankreich (93), Spanien (46) und Deutschland (30) ins Netz.

Die Zahl der 45 Festnahmen wegen Rechtsterrorismus ging im vorigen Jahr zurück: von 64 im Jahr 2021. Dazu kamen 18 Verhaftungen wegen ethnonationalistischen und separatistischen Terrorismus. Wegen linkem und anarchistischem Terrorismus setzten die Strafverfolger 19 Personen fest und damit genauso viele wie 2021. Die Zahl der Festnahmen wegen "anderer Arten von Terrorismus" stieg von fünf auf 26.

Zu sprechen kommen die Berichterstatter auch auf den "deutlichen Anstieg des Umweltaktivismus" in den Mitgliedsstaaten im vergangenen Jahr. Die Grenze zum Klimaschutzextremismus sei hier oft fließend. 2022 führten zahlreiche einschlägige Proteste "zu Schäden an öffentlichem und privatem Eigentum sowie zu Störungen der öffentlichen Ordnung". In Museen hätten sich Mitstreiter an Kunstwerken festgeklebt oder diese mit Flüssigkeiten beschädigt. "Sie blockierten Dutzende Male Straßen in mehreren europäischen Städten". Schwerpunkt sei Deutschland gewesen mit 25 Verhaftungen etwa von Mitgliedern der "Letzten Generation". Umweltextremismus werde sich in einer EU, die direkt und indirekt vom Klimawandel betroffen ist, wahrscheinlich weiter ausbreiten.

Der Mehrzahl der verhafteten Verdächtigen werfen die Staatsanwälte die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (95) und die Planung oder Vorbereitung eines Anschlags (41) vor. In 18 Fällen lautet die Anklage auf Verbreitung von Propaganda, in 14 auf Terrorismusfinanzierung. 176 Festgenommene sind Männer. Das Altersspektrum bewegt sich zwischen 15 und 75 Jahren. Die meisten Verurteilungen – oder Freisprüche – wegen terroristischer Straftaten meldeten Frankreich mit 110, Belgien mit 81 und Deutschland mit 54. Einige der Urteile sind rechtskräftig, während bei anderen ein Rechtsbehelf noch aussteht.

Bei den 28 erfassten verwirklichten, gescheiterten und vereitelten Terroranschlägen verwendeten die Täter Schusswaffen, improvisierte Sprengkörper (IEDs), selbstgebaute Brandsätze (IIDs), Feuerbeschleuniger und Klingenwaffen wie Messer und Macheten. Von den 16 durchgeführten Attacken wurden je eine durch Messerstiche und Schusswaffe verübt. Bei vier Angriffen waren IEDs, bei einem IIDs und bei acht waren Brandbeschleuniger im Einsatz. Darüber hinaus wurde ein Attentat mit bloßen Händen begangen.

Der Einsatz von IEDs, IIDs und Brandbeschleunigern war in rechts- und linksterroristischen und gewalttätigen extremistischen Kreisen stärker ausgeprägt. Stichwaffen sind dagegen vor allem im dschihadistischen Kontext in Gebrauch. Die Autoren erläutern: "Dies liegt daran, dass Angriffe mit leicht zugänglichen, rudimentären Objekten eine kürzere Planung erfordern und das Risiko einer Entdeckung durch die Strafverfolgungsbehörden als geringer eingeschätzt wird."

Terroranschläge mit chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Kampfstoffen (CBRN) verzeichneten die EU-Länder nicht. Propagandamaterial über deren Einsatz sei aber weiterhin online verfügbar, ist dem Bericht zu entnehmen. So habe etwa ein rechtsextremistisches Online-Magazin einen Artikel über eine Do-it-yourself-Methode zur Herstellung einer radiologischen Waffe – auch bekannt als "schmutzige Bombe" – durch die Kombination von Sprengstoff und Nuklearmaterial veröffentlicht. Obwohl bisher keine Hinweise in diese Richtung vorlägen, gebe der russische Angriff auf die Ukraine Anlass zur Sorge, "dass CBRN-Material aus dem Kriegsgebiet möglicherweise in die EU geschmuggelt und letztlich für terroristische Zwecke verwendet wird".

"Das Internet und die Technologie blieben entscheidende Faktoren für Propaganda sowie für die Radikalisierung und Rekrutierung schutzbedürftiger Personen für Terrorismus und gewalttätigen Extremismus", heben die Verfasser hervor. Frei verfügbare Messaging-Apps wie Telegram spielten nach wie vor eine unterstützende Rolle bei der Kommunikation innerhalb einschlägiger Netzwerke. Ein Verweis auf die andauernden Crypto Wars darf nicht fehlen: "Die Ende-zu-Ende-Verschlüsselungsfunktionen solcher Anwendungen stellen weiterhin eine Herausforderung für die Strafverfolgungsbehörden dar, wenn es darum geht, terroristische und gewalttätige extremistische Inhalte im Internet zu identifizieren und zu entfernen."

Insbesondere Anhänger des "Islamistischen Staats" (IS) gründeten Gruppen in Gaming-Kommunikations-Apps", weiß Europol. Darin erfolge ein Austausch etwa über Medienberichte und Religionswechsel oder die Übersetzung von Propagandainhalten. Rechtsextremistische Akteure nutzten die Gaming-Landschaft, indem sie Utopien in beliebten Videospielen beispielsweise mit neonazistischen Nachbildungen schüfen. Gehetzt werde über antisemitische und LGBTQ-Themen. Die Idee dahinter sei nicht nur, die Basis junger Sympathisanten zu vergrößern, sondern auch, "das Gemeinschaftsgefühl durch die Ausübung eines gemeinsamen Hobbys zu fördern".

Zu den Vorteilen dezentraler Plattformen aus Terroristensicht gehören dem Report nach diverse Datenschutz-Optionen, eine weitgehende Anonymität, verbesserte Benutzerfreundlichkeit sowie die erhöhte Verfügbarkeit und Abrufbarkeit von On-Demand-Inhalten. Diese Merkmale spielten vor allem in den Online-Kommunikations- und Verbreitungsstrategien dschihadistischer und gewalttätiger rechter Propagandisten eine Rolle. Die Wirksamkeit bestehender Maßnahmen zum Identifizieren und Löschen terroristischer Online-Inhalte werde so untergraben.

Auch andere neue Technologien könnten für Terroranschläge zunehmend eine Rolle spielen, blicken die Autoren nach vorn. Die Herstellung und der Einsatz von Waffen aus dem 3D-Drucker treibe vor allem die rechtsterroristische Szene voran. Bei den 2022 gemeldeten rechtsextremen Anschlägen griffen die Täter auf Schusswaffen, IEDs und Messer zurück. In der Slowakei und in den Niederlanden seien Personen aus diesen Kreisen festgenommen worden, "weil sie im Internet Anleitungen für den Selbstbau von automatischen Feuerwaffen mit 3D-druckbaren Teilen verbreiteten" und solche auch besessen hätten.

Aufstrebende Online-Medien wie das Metaverse könnten für die Verbreitung von Propaganda, die Rekrutierung und die Koordinierung terroristischer und gewalttätiger extremistischer Aktivitäten genutzt werden, gibt Europol zudem zu bedenken. "Eine ähnliche Entwicklung könnte bei dezentralen Open-Source-Plattformen zu beobachten sein, da diese bei Terroristen und gewalttätigen Extremisten immer beliebter werden." Oft bleibt hier viel im Konjunktiv.