Missing Link: Global Digital Compact – Vollkastastrophe oder verpasste Chance

Seite 2: Welt Konsultation

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Echte Teilhabe für jedermann am GDC Prozess ist angeblich gesichert. Einen offenen, neudeutsch "Multi-Stakeholder"-Prozess hatte der UN-Generalsekretär in Aussicht gestellt. Das Konzept der gleichberechtigten Teilhabe an der Entwicklung von Regeln geht innerhalb der UN auf die Working Group on Internet Governance (WGIG) zurück. Beim ersten UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft (2003-2005) hatten sich die erstmals mit Internetfragen befassten Diplomaten das Multi-Stakeholder-Konzept unter anderem von der ICANN entlehnt und in der Folge auch zum Prinzip des IGF der UN gemacht.

Auch in anderen nicht-Netz-bezogenen Bereichen der "Common Agenda" möchte Guterres mehr Multi-Stakeholder zu wagen. Für den GDC soll der eigens von Guterres eingesetzte Tech Envoy der UN, Amandeep Singh Gill, den zugegebenermaßen anspruchsvollen Prozess einer weltweiten Konsultation organisieren. Beim Einsammeln der Meinungen helfen werden außerdem die New Yorker UN-Botschafter von Schweden und Ruanda.

Am 27. März leiteten Anna Karin Eneström und ihr ruandischer Kollege Claver Gatete in New York so eine Anhörung zu den Fragen digitale Inklusion und Konnektivität. Weitere Runden zu Internet Selbstverwaltung (13. April), zu Datenschutz (24. April), zu Sicherheit und Vertrauen (25. Mai), zu KI (2. Juni), zu Global Digital Commons (9. Juni) und mehr sollen folgen. Viele dieser Treffen sind nach der Abgabefrist für schriftliche Stellungnahmen am 30. April. Wie genau sie Eingang in den finalen GDC Text finden, ist nicht klar.

Die Bereitschaft, solche Anhörungen aufzusetzen, sei ein großer Schritt für einen UN-Prozess, sagt Elisabeth Schauermann, Teamleitung Gesellschaft und Internationales bei der Gesellschaft für Informatik. Schauermann war das Herz des Projekt Youth IGF Summit der GI, das im Zusammenhang mit dem Berliner IGF entstanden ist.

Die Einbeziehung junger Leute soll frischen Wind in die meist etwas verstaubt und angegraut wirkenden UN-Prozesse bringen und den Generationswechsel in der Netzpolitik fördern. Denn die erste Generation von Nerds geht langsam in Rente. Dass das Früchte getragen hat, zeigt der deutsche Beitrag vom Youth IGF Deutschland – also der deutschen IGF Jugend. Sie hat ihn Ende Februar in Berlin an Tech Envoy Gill übergeben. Das kurze Papier (PDF) listet wenige konkrete Forderungen auf, wofür Regierungen, Wirtschaft und Entwickler im Rahmen eines Compact Verantwortung übernehmen müssten.

Wer universeller Zugang sagt, muss so beispielsweise auf Internet-Shutdowns verzichten. Wer die Daten seiner Bürger schützen will, muss Datenschutz-freundlichen Cookie-Einstellungen als Default verfügen. Skeptisch sind die Jungen auch gegenüber der vom offiziellen Europa vertretenen Werbung für europäische Internetgesetze. Man dürfe, schreiben sie, sie nicht als allein selig-machenden Goldstandard verkaufen, sondern auch andere Ansätze anerkennen, etwa die CARE-Prinzipien (Collective Benefit, Authority to Control, Responsibility, and Ethics).

Bis 30.3. hielt sich die Zahl der Stellungnahmen in Grenzen – jetzt kann man einen Monat länger liefern und darüber hinaus bei den Deep Dives sprechen.

(Bild: UN)

Was niemand so richtig sagen kann, ist, welches Gewicht solche Stellungnahmen am Ende haben werden. Praktisch alle nicht-staatlichen Akteure sprechen von einer Blackbox. Bei einer Ministerkonferenz im September sollen auf jeden Fall Regierungen verhandeln und am Ende über den finalen Text entscheiden. Auf den rein zwischenstaatlichen Charakter des Prozesses pochen unter anderem die Gruppe der 77 und China. Chinas Vertreter hat das beim März-Treffen in New York nochmals dick unterstrichen. Anzeichen dafür, dass die traditionelle UN-Etikette hier Multi-Stakeholder schlägt, bot dieses Treffen auch. Ganz im Still traditioneller UN-Etikette darf nämlich zuerst jedes einzelne Land sprechen, bevor NGOs, Firmen und Verbände zu Wort kommen, wenn sich der Saal schon halb geleert hat.

Ein höfliches "Dankeschön" für ihre Stellungnahmen und die Ankündigung "was am Ende herauskommt, erfahren Sie 2024", reiche gerade für NGOs kaum aus, um den Aufwand einer Beteiligung am GDC-Prozess zu legitimieren, sagt Schauermann. "Es wäre deshalb wirklich wichtig, die Transparenzbemühungen auch bei den nächsten Schritten beizubehalten", sagt sie.

"Wir wissen wirklich nicht, wie effektiv es ist, wenn wir uns hier beteiligen", bestätigt CCC Sprecherin Eickstädt. Organisationen wie ihre müssten abwägen, ob man sich in den GDC Prozess einklinkt oder ob seine Energie nicht an anderer Stellen einsetzt, "wo das Internet gerade gerettet werden muss", sagt sie. "Schlechte Internet-Regulierung hat Hochkonjunktur". Man könne es keiner Organisation verdenken, die sich entscheide, genügend andere netzpolitische Feuer auszutreten.

Eickstädt hat erst im März nach Gesprächen bei der UN Commission of the Status of Women, die sich mit technologischem Wandel und digitaler Erziehung befasste, entschieden, dass die GDC Verhandlungen möglicherweise Feuer fürs Internet bedeuten könnten. Beim bevorstehenden Easterhack des CCC werde sie nun auch Ideen aus der CCC-Community sammeln.