Missing Link: Drohnen und Künstliche Intelligenz im Krieg

Das Töten im Krieg ist einfacher geworden – mit Drohnen per Knopfdruck aus der Ferne. Der Einsatz von KI im Krieg ist nicht neu. Das ethische Dilemma bleibt.

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Soldat, der Drohne am Himmel mit Smartphone steuert

(Bild: Parilov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 14 Min.
Von
  • Ulrike Heitmüller
Inhaltsverzeichnis

Früher sah ein Soldat den Gegner, den er gleich töten würde – oder von dem er gleich getötet werden würde. Heutzutage ist das anders, Töten im Krieg ist einfacher geworden. Und man darf vermuten, dass es in Zukunft noch einfacher wird: Oft genug genügt es, auf einen Knopf zu drücken.

Bajonett und Kampfmesser kommen im Krieg zwar immer noch zum Einsatz, zunehmend wichtiger werden aber Fernwaffen wie Gewehre, Artillerie – die heute schon enorme Strecken zurücklegen können – und Bomben. Von immer größer Bedeutung sind aber vor allem Drohnen und autonome Waffensysteme, die mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) ihre Ziele mehr oder minder selbstständig erreichen – sofern sie nicht durch "Jammer" oder ähnliches gestört oder gar umgelenkt werden.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Für all dies ist die Weiterentwicklung der vorhandenen Ausrüstung und Technik zur Kriegsführung notwendig. In den unterschiedlichen Staaten werden immer wieder neue Dinge erfunden, konstruiert und auf den Markt gebracht und jede Armee versucht sich an die Möglichkeiten potenzieller Gegner anzupassen. Das vorhandene Kriegsgerät kann jedoch nicht immer wieder ersetzt werden, um Nachteile auszugleichen. Eine mögliche Lösung für das Dilemma: "Software Defined Defence".

Dabei wird die Hardware von Anfang an so entwickelt und konstruiert, dass immer neue und weiterentwickelte Software aufgespielt werden kann, wodurch die Hardware neue Fähigkeiten erlangt. Diese Themen wurden auch bei der diesjährigen Handelsblatt-Konferenz "Sicherheit und Verteidigung" diskutiert, die im Januar in Berlin stattfand.

Ein Positionspapier (PDF), das vom Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e. V. (BDSV), Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie e.V. (BDLI), Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitkom) und dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) im Oktober 2023 auf der Website des BMVg veröffentlicht wurde, stuft die sogenannte "Software Defined Defence" (softwarebestimmte Verteidigung, SDD) als "ein zentrales Leit-Prinzip für die Streitkräfteentwicklung der Zukunft" ein.

Ein Programm entwickelt man schneller als einen Panzer, und noch schneller, wenn man standardisierte Softwaremodule verwendet. Die müssen allerdings erst einmal entwickelt werden.

Um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, hatte sich die Bundeswehr in der Vergangenheit vorwiegend auf Hardware konzentriert. Das Prinzip der SDD mit seiner Fokussierung auf Software soll gemäß dem Positionspapier die IT-Infrastruktur vorhandener Systeme digital ertüchtigen und dafür sorgen, dass sie besser vernetzbar und flexibler an neue technische und taktische Anforderungen und Bedrohungen angepasst werden können. Neue Systeme sollen von vornherein SSD-ready hergestellt werden.

Generalleutnant Michael Vetter, Abteilungsleiter Cyber/Informationstechnik und Ressort Chief Information Officer im Bundesministerium der Verteidigung, sagte: "Software und digitale Technologien haben immer größeren Einfluss." Man sei noch sehr stark auf die Hardware fokussiert und benötige für die Zukunft eine Plattform für mehrere Applikationen.

So etwas ist für ein Unternehmen nicht ganz einfach zu stemmen, erklärt Martin Karkour, Vice President und Head of Aerospace & Defense beim Beratungshaus Capgemini: Das hänge davon ab, "wie weit man in der eigenen Entwicklung ist. Wenn sich ein klassischer Hardwarelieferant zu einem Softwarelieferanten entwickeln will, hat das einen Impact auf die eigene Organisation, die digitale Auslieferung, das Geschäftsmodell, das operating model." Es handele sich nicht um eine Frage nach bestimmten Firmen, sondern nach dem Entschluss zu modernisieren. "Wir brauchen mehr Software-First-Companies. Aber nicht mehr Software-Only." Man habe schon "herausragend gute Produkte der Wehrtechnik", benötige aber mehr Start-ups, strategische Ökosysteme.

Auterion-Chef Lorenz Meier etwa hat mit PX4 eine Open Source Community für Autopiloten aufgebaut. Damit wollte er Drohnen autonom machen, sodass diese nicht mehr von Piloten manuell gesteuert werden müssten. "Das Betriebssystem ist sehr generisch, es wird in den USA von Walmart für die Auslieferung genutzt", berichtet er. Dabei sei es nicht geblieben: "Wir haben jetzt Defence entdeckt. Wir liefern das Betriebssystem und einige Kernanwendungen." Ihre Partner könnten dafür dann Spezialfälle und -anwendungen entwickeln und aufspielen.

"Das ist ein sehr schneller Zyklus", sagt Meier, ein und dasselbe Betriebssystem sei auf verschiedene Drohnen aufsetzbar und darauf seien dann unterschiedliche Softwares aufspielbar. Die Arbeit für das Zivile und Militärische habe viele Gemeinsamkeiten, sagt Meier: Man benötige genauso lange Verkaufszyklen, Beziehungen und Fachwissen. Einen Unterschied allerdings muss man wohl immer im Hinterkopf behalten: "Man muss wissen, wenn das Produkt versagt, riskiert man das Leben seiner Kunden."

Auch in anderer Hinsicht stellt sich die Frage nach der Sicherheit, etwa bei den Schnittstellen. Wenn die Bundeswehr die Sensoren besitzen wolle, müsse sie die Schnittstellen bestimmen und die gesamte Datenplattform müsse aus Sicherheitsgründen im Besitz der Bundeswehr sein, sagt Frank Leidenberger, CEO des Bundeswehr IT-Dienstleisters BWI GmbH. Man brauche ein "Internet of Things" für das Militär. "Wie stelle ich sicher, dass das System mir gehört?", fragt er. Man müsse eben auch Themen wie Datenabfluss und Cloud-Sicherheit bedenken. Wenn es in Deutschland kaum Anbieter für eine Cloud gebe, arbeite man dann mit US-Firmen zusammen? Entwickle man in Friedenszeiten gemeinsam mit anderen Staaten Software? Open Source werde nicht kuratiert, "man braucht immer jemand, der es prüft und bewertet" und der dann auch über den Nutzen entscheidet, so Vetter. Man benötige darüber hinaus zuverlässige Krypto-Lösungen.

Der Generalleutnant a.D. kritisierte die Zivilklausel, die zahlreichen wissenschaftlichen Einrichtungen wie Universitäten die Forschung selbstverpflichtend ausschließlich für zivile Zwecke erlaubt – außer natürlich die Universitäten der Bundeswehr in Hamburg und München. Das Fehlen einer solchen Zivilklausel in autoritären Systemen sei für diese ein Vorteil.

Um Sicherheit geht es bei Hard- und Software gleichermaßen. So Gundbert Scherf, CEO und Mitbegründer des Software-Unternehmens Helsing, das viel mit Streitkräften zusammenarbeitet und Produkte für die Nachrüstung bestehender Verteidigungssysteme und zur KI-Befähigung neuer Hardware-Programme entwickelt. "Wir brauchen Klasse. Masse schaffen wir ohnehin nicht. Die Wirkung zählt." Gefragt seien Präzision, moderne Technologie – Spitzentechnologie –, Software und Vernetzung.

Wann? "Die Zukunft ist schon hier, sie ist nur ungleich verteilt", sagt Scherf. KI sei kein Thema für morgen: "Wir sehen es im Osten, jetzt, live und in Farbe." Innerhalb von zwei Jahren habe sich der Krieg enorm verändert.

Die Ukraine müsse derzeit 50 Prozent ihres Staatsbudgets für die Verteidigung ausgeben, "wir schaffen nicht mal zwei Prozent!" Scherf befürwortet die Abschreckung: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wolle eine Million Drohnen und "unsere Aufgabe in Europa muss eine NATO-Ostflanke ohne Trump sein".

Früher konnte eine Kriegspartei mit Infanterie und Panzern einen Überraschungsangriff an einer Front starten. Das ist unter anderem dank der Luftaufklärung durch Drohnen heutzutage viel schwieriger geworden. Jetzt spricht man von einer "gläsernen Front: Was reinrollt, ist weg." Wichtig seien daher Abstands- und Aufklärungsfähigkeit und auch die Störung von Daten. Man soll laut Scherf teilautonomer werden: "Das findet jetzt statt, im Januar und Februar 2024." Diese Entwicklung habe zwei Seiten: Einerseits die bestmögliche Unterstützung der Ukraine, andererseits die Lehren, die man für sich selbst ziehe, für die eigene Zeitachse von fünf bis sieben Jahren.

Das oben erwähnte Positionspapier stuft KI – als eine spezielle Form von Software – immer wichtiger ein. Die etwas trockene Definition von KI auf der Website des Fraunhofer Instituts für Kognitive Systeme zeigt allerdings das ethische Problem des Einsatzes von KI im Krieg: KI "imitiert menschliche kognitive Fähigkeiten, indem sie Informationen aus Eingabedaten erkennt und sortiert. Diese Intelligenz kann auf programmierten Abläufen basieren oder durch maschinelles Lernen erzeugt werden." Maschinen lernen zu töten – aber dürfen sie darüber auch entscheiden?

Man müsse fragen, mahnt Sibylle Bauer vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI), wie viel Autonomie in welchen Funktionen notwendig sei, und entsprechend: "Wie viel Kontrolle ist möglich und sinnvoll?"