c't 7/2024
S. 36
Aktuell
EU gegen Amazon

Platzverweis

Amazons Lobbyisten verlieren Zutritt zum EU-Parlament

Das EU-Parlament wollte Amazons Logistikzentren besichtigen und Jeff Bezos zu Gesprächen einladen. Nach etlichen Absagen an die Parlamentarier dürfen Amazons Lobbyisten jetzt nicht mehr in das Parlamentsgebäude.

Von Jan Vollmer
Nach Monsanto ist Amazon der zweite Konzern, dessen Lobbyisten der freie Zutritt zum EU-Parlament entzogen wurde. , Bild: Virginia Mayo/AP/dpa
Nach Monsanto ist Amazon der zweite Konzern, dessen Lobbyisten der freie Zutritt zum EU-Parlament entzogen wurde.
Bild: Virginia Mayo/AP/dpa

Nachdem Amazon zwei Einladungen zu Sitzungen mit einem EU-Ausschuss abgelehnt und eine Besichtigung seiner Logistikzentren in Europa abgesagt hat, sind die Beziehungen zwischen dem Versandhändler und dem EU-Parlament auf einem Tiefpunkt angekommen: Amazons Lobbyisten dürfen die Gebäude des Parlaments nicht mehr ohne Einladung betreten.

Beantragt hatte die Sperre der rumänische Abgeordnete Dragoș Pîslaru, Vorsitzender des Beschäftigungsausschusses. Aus seinem Schreiben an die Selbstverwaltung des Parlaments geht hervor, dass der Ausschuss mehrfach erfolglos versucht hatte, mit Amazon über die Arbeitsbedingungen in den Logistikzentren zu sprechen.

Amazon sagt ab

So hätte Amazon erst die Teilnahme an einer Anhörung im Mai 2021 abgesagt. Konkret wollte der Ausschuss über Presseberichte sprechen, in denen es darum ging, dass Amazon seine Mitarbeiter offenbar am Arbeitsplatz überwacht.

Als der Ausschuss daraufhin Amazons damaligen CEO Jeff Bezos zu Gesprächen einlud, lehnte dieser ab. Er bot lediglich an, die Fragen der Abgeordneten schriftlich zu beantworten. Auch als Ausschussmitglieder im Dezember 2023 Amazons Logistikzentren in Deutschland und Polen besuchen wollten, sagte der Konzern ab. Die jüngste Absage eines für Ende Januar 2024 angesetzten Termins brachte das Fass offenbar zum Überlaufen: Pîslaru beantragte, die Zugänge der Amazon-Lobbyisten sperren zu lassen. Die Parlamentsverwaltung gab dem Antrag statt.

Keine Art des Umgangs

Dem US-amerikanischen Magazin Wired sagte Pîslaru, er halte das für „keine ernsthafte Art, mit dem Europäischen Parlament umzugehen“. Das Parlament vertrete 500 Millionen Bürger – wenn es nach einem Treffen frage, könne man nicht einfach ablehnen.

Agnes Jongerius, eine niederländische Abgeordnete aus dem Beschäftigungsausschuss, kommentierte den Rauswurf laut Netzpolitik.org mit den Worten „Wenn sie dem Parlament den Mittelfinger zeigen, warum sollten wir sie dann auf unserem Territorium willkommen heißen?“. In einer E-Mail an c’t schreibt sie: „Das ist kein isolierter Vorfall. Viele Tech-Unternehmen sind bekannt dafür, gegenüber dem EU-Parlament eine abschätzige Haltung einzunehmen.“ Auch in anderen Fällen hätten Tech-Konzerne Einladungen zu Anhörungen abgelehnt oder ignoriert. Im vergangenen Jahr sei das EU-Parlament mit Lobbyisten überschwemmt worden, die versuchten, das Modell von Uber und anderen Plattformunternehmen voranzutreiben.

Amazon sieht die Situation anders: In einer Stellungnahme stimmt der Konzern zu, dass große Unternehmen gründlich untersucht werden sollten, äußert aber dennoch Enttäuschung über den Rauswurf seiner Lobbyisten. Man sei überzeugt, dass diese sich den Abgeordneten gegenüber kooperativ gezeigt hätten. Lediglich die Teilnahme an dieser „klar einseitigen“ Sitzung habe man abgelehnt. Sitzungen sollten dazu dienen, die Fakten zu verstehen, nicht nur um politische Argumente vorzubringen. Die Besuche der Abgeordneten in den Logistikzentren habe man abgesagt, weil man die Termine eine Woche vor Weihnachten nicht einrichten konnte. Alternativtermine habe man selbstverständlich angeboten.

In einem Jahr, in dem das EU-Parlament neu gewählt wird, dürfen Abgeordnete solche Besuche von April bis zur Wahl nicht unternehmen. „Sie waren scheinbar offen dafür, uns einzuladen – wohl wissend, dass wir nicht kommen können“, sagte Pîslaru gegenüber Wired.

„Symbolischer Akt“

Jan Penfrat, Senior Policy Advocate bei der digitalen Bürgerrechtsorganisation Edri sagte gegenüber c’t, es sei „natürlich erst einmal ein symbolischer Akt, 14 Amazon-Lobbyistinnen und -Lobbyisten den Zugang zum Parlamentsgebäude zu verwehren. Sie können auf Einladung weiterhin rein und können sich außerhalb des Gebäudes mit Abgeordneten treffen.“ Außerdem bezahle der Konzern viel Geld an Beratungsfirmen und Lobby-Agenturen. Deren Mitarbeiter hätten weiter vollen Zugang. Am Ende käme es darauf an, „ob der Imageschaden für Amazon groß genug sein wird, dass sie klein beigeben und doch noch an einer Anhörung teilnehmen.“

Der einzige andere Konzern, dessen Lobbyisten bisher aus dem EU-Parlament ausgeschlossen wurden, war 2017 der Agrochemiekonzern Monsanto. Auch der Glyphosat-Hersteller hatte die Teilnahme an einer kritischen Sitzung abgelehnt. Die Sperre erübrigte sich, nachdem der Chemiekonzern Bayer das Unternehmen ein Jahr später aufkaufte. Laut Pîslarus Sperrantrag kann der Zugang der Amazon-Lobbyisten wiederhergestellt werden, wenn Amazons Management sich gewillt zeigt, einen ernsthaften Dialog zu führen. (kst@ct.de)

Antrag auf Sperrung, Statement von Amazon, weitere Quellen: ct.de/ygqz

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