c't 3/2024
S. 16
Aktuell
Probleme beim E-Rezept
Bild: Annegret Hilse/Reuters/Pool/dpa

Geduldiger als Papier

E-Rezept legt Fehlstart hin

Eigentlich sollte mit dem E-Rezept alles schneller gehen: weniger Papier, weniger Bürokratie, weniger Wege, schnellere Versorgung. Doch der bundesweite Start offenbarte eklatante Planungs- und Umsetzungsfehler: Viele Patienten müssen einen Tag warten, bis sie ein E-Rezept in der Apotheke einlösen können.

Von Hartmut Gieselmann

Seit dem 1. Januar müssen Ärzte und Praxen das E-Rezept bundesweit unterstützen. Wer zum Arzt geht, sollte nun eigentlich kein rosa Papierrezept (Muster 16) mehr mitnehmen. Bisher konnte er den Zettel direkt in der Apotheke um die Ecke gegen ein Medikament eintauschen – eine Sache von wenigen Minuten.

Mit dem elektronischen Rezept bekommt der Patient in der Regel nichts mehr in die Hand. Die Arztpraxis lädt das Rezept digital auf einen Rezeptserver in der Telematikinfrastruktur (TI). Geht der Patient mit seiner Gesundheitskarte oder seiner mobilen App in die nächste Apotheke, ruft diese das Rezept von dort ab und gibt das Medikament aus. So weit die Theorie.

Damit ein E-Rezept gültig ist, muss der Arzt es digital signieren. Dazu steckt er seinen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) in ein Kartenlesegerät und gibt eine PIN ein. Je nach Laune der Software dauert das schon mal 20 bis 25 Sekunden. Das klingt nicht viel. Doch bei Praxen, die täglich Hunderte von Rezepten ausstellen, summiert sich das auf mehrere Stunden. Das ist Zeit, in der die Ärzte keine Patienten behandeln können.

Damit der Arzt nicht jedes Rezept einzeln signieren muss, kann er eine sogenannte Stapelsignatur durchführen. Damit signiert er über hundert Rezepte auf einmal. Manche Praxen machen das zweimal am Tag, mittags und abends. Andere Praxen senden erst kurz vor Feierabend alle signierten E-Rezepte des Tages an den Telematikserver.

Nutzt der Arzt die für ihn zeitsparende Stapelsignatur, kann der Patient das E-Rezept also nicht gleich auf dem Rückweg vom Arzt einlösen, sondern muss einige Stunden später oder am nächsten Tag zur Apotheke gehen. Und auch dann kann es passieren, dass er sich umsonst auf den Weg gemacht hat, weil bei der digitalen Übermittlung irgendetwas schiefgelaufen ist.

Luxus-Signatur

Für Patienten, die nicht auf die Stapelsignatur des Arztes warten können, gibt es die sogenannte Komfortsignatur. Dabei bleibt der eHBA den ganzen Tag im Kartenlesegerät. Der Arzt muss nur morgens einmal eine PIN eingeben und kann vorab bis zu 250 Rezepte signieren, sodass sie bei der Verschreibung gleich rausgehen. So empfiehlt es auch die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL). Allerdings benötigt der Arzt ein separates Kartenlesegerät und einen neueren Sicherheitsrouter (PTV4+-Konnektor), um die Komfortsignatur nutzen zu können. Außerdem muss seine Praxisverwaltungssoftware die Komfortsignatur fehlerfrei unterstützen.

Lädt der Arzt das Rezept einzeln oder per Komfortsignatur sofort auf den Server hoch, kann der Patient auch einen Ausdruck mit einem QR-Code für die Apotheke mitnehmen. Dieser garantiert jedoch nur, dass das Rezept bereits auf dem TI-Server liegt. Doch selbst wenn eine Praxis auf dem neuesten Stand ist, klappt das nicht immer. Ein Internist aus Ostwestfalen berichtete uns, dass er trotz Komfortsignatur keine E-Rezepte versenden könne und das spätere Abholen in der Apotheke nicht funktioniere. Gründe dafür habe er von seinem IT-Dienstleister nicht erfahren. Bis das Problem gelöst ist, stellt er seinen Patienten weiterhin Papierrezepte auf dem bewährten Muster 16 aus, die die Apotheke um die Ecke sofort einlöst.

Massive Probleme

Der Internist ist kein Einzelfall. Zum Start des E-Rezepts kam es am 2. Januar zu erheblichen Ausfällen. Unter vielen anderen berichtete die Kassenzahnärztliche Vereinigung Brandenburg von einer „massiven Störung“ in der TI, mutmaßlich im Zusammenhang mit der sicheren Auflösung von Domainnamen in IP-Adressen, die eine Vielzahl von Konnektormodellen betraf.

Die für die Planung zuständige Gematik, die die TI überwacht, nannte auf Anfrage von heise online keine Zahlen zu Problemen beim Start des E-Rezepts. Stattdessen meldete der Apothekerverband Nordrhein in einer Blitzumfrage am 4./5. Januar unter 450 Apotheken, dass in den ersten Tagen nur die Hälfte aller Rezepte digital eingereicht wurden. Vier von fünf E-Rezepten wurden mit der elektronischen Gesundheitskarte eingelöst. 18 Prozent der Patienten legten einen Papierausdruck mit QR-Code des Rezepts vor. Nur ein Prozent nutzte die E-Rezept-App der Gematik.

Drei Viertel der Apotheken berichteten von Störungen beim Abruf des E-Rezepts: Bei jedem fünften E-Rezept gab es erhebliche Probleme. Zwei Drittel beklagten, dass die Bearbeitung des E-Rezepts wegen des erhöhten Dokumentationsaufwands und der langsamen Verbindung länger dauere als beim herkömmlichen Papierrezept.

Recht auf Papier

Die meisten Probleme bereiteten fehlerhaft ausgestellte E-Rezepte sowie Verbindungsprobleme zu den Servern. Im Interview mit heise online beklagt Anke Rüdinger, Vorstandsmitglied des Deutschen Apothekerverbands (DAV) und Leiterin des Digital Hub des Bundesverbands (ABDA), dass die federführende Gematik ihre Branche bei der Planung vieler Prozesse übergangen habe.

Die Apotheken hätten beispielsweise einen Referenzvalidator entwickelt, der Formfehler beim E-Rezept automatisch erkennt. Dieser sei jedoch von der Gematik nicht umgesetzt worden. Trotz Zertifizierung durch die Gematik würden einige Praxisverwaltungsprogramme immer noch fehlerhaft ausgestellte E-Rezepte übermitteln.

Es gäbe zwar eine Fallback-Lösung für Ärzte, die bei einem Ausfall der E-Rezeptserver einfach wie bisher ein Muster 16 ausstellen. Tritt der Fehler aber erst bei der Abholung in der Apotheke auf, gibt es keinen Ersatz. Die Patienten müssen dann unverrichteter Dinge zurück zum Arzt und sich ein Papierrezept abholen. „Prinzipiell haben die Versicherten ohnehin ein Anrecht auf den Papierausdruck der elektronischen Verordnung in der Arztpraxis“, erklärte Rüdinger. Die Stapelsignatur bereite „große Probleme“, weshalb sie dringend zur Komfortsignatur rät.

Aber auch bei ausgedruckten QR-Codes komme es immer wieder zu Störungen: Sei es, weil eine Krankenkasse gerade ihren Server mit dem Versichertenstammdatenmanagement wartet, oder weil die Internetverbindung einer Apotheke komplett zusammenbricht. Für letzteren Fall empfiehlt Rüdinger den Apotheken, sich einen LTE-Router als Backup zuzulegen.

Pflegeheime blieben von dem Digital-Chaos verschont: Sie sollen am 1. Juli 2025 zum E-Rezept wechseln. Doch die Heime sind noch nicht an die TI angeschlossen. Für das E-Rezept müssten daher bei jeder Verordnung die elektronischen Gesundheitskarten eingesammelt und ausgegeben werden. Dafür gibt es weder Personal noch sonstige logistische Lösungen. (hag@ct.de)

Interview und Details auf heise Online: ct.de/y5kp

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