c't 5/2023
S. 14
Aktuell
Entlassungen in der IT
Bild: Jonas Walzberg/dpa

Heute hier, morgen dort

Löst die Entlassungswelle in der IT-Branche den Fachkräftemangel?

Tech-Giganten wie Google, Microsoft, Salesforce, Amazon, IBM und SAP streichen weltweit rund 45.000 Stellen. Deutsche Unternehmen wittern nun ihre Chance, lang gesuchte IT-Spezialisten anzuwerben – doch die Politik macht ihnen einen Strich durch die Rechnung.

Von Falk Steiner

Die Pandemie kam, die IT-Branche boomte: Telearbeit, Lieferdienste und die digitale Durchdringung des Alltags bescherten einigen Unternehmen und ihren Aktionären hohe Gewinne. Schulden zu machen, um Investitionen auf Pump zu finanzieren, war für die Großen kein Problem. Doch mit dem Abklingen der Pandemie wächst der Druck auf die Konzerne, ihre Margen zumindest halbwegs zu halten.

So erklärte der Chef des Google-Mutterkonzerns Alphabet, Sundar Pichai, man sei in den vergangenen zwei Jahren enorm gewachsen. Dies sei auch personell bewältigt worden, doch nun stünden dem Unternehmen andere Zeiten bevor. Für die Entscheidungen, die das Unternehmen und die Mitarbeiter in diese Situation gebracht hätten, trage er die volle Verantwortung.

Pichai ist nicht der einzige Firmenchef, der die 12.000 geplanten Entlassungen wortreich verkündete. Der CEO von Salesforce, Marc Benioff, erklärte, dass das Geschäft während der Pandemie sehr gut gelaufen sei. Man habe viel Personal eingestellt, aber jetzt habe sich die wirtschaftliche Lage einfach verschlechtert, weshalb man 7000 Stellen streiche. Microsoft-Chef Satya Nadella erwartet laut einem Memo des Konzerns schlicht „zwei herausfordernde Jahre“ und trennt sich von 11.000 Mitarbeitern.

Nur zwei große Player fehlen bei der jüngsten Entlassungswelle: Facebook-Mutter Meta hatte bereits 2022 angekündigt, mehr als 11.000 Stellen zu streichen. Übrig bleibt somit nur Apple, das bisher als einziges Unternehmen keinen Stellenabbau angekündigt hat.

Grenzen des Wachstums

Trotz Gratisobst und Fitnesstrainer: Die einstigen Start-ups sind heute vor allem sehr große Unternehmen. Diese Konzernriesen scheinen an die Grenzen ihres Wachstums gestoßen zu sein. Zudem regulieren Staaten mit ihren Datenschutz- und KI-Verordnungen die Dienste immer stärker, wodurch insbesondere die werbegetriebenen Geschäftsmodelle von Meta und Alphabet unter Druck geraten.

Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch deutliche Unterschiede in den Schrumpfkursen der einzelnen Unternehmen. So will Amazon mit seinen weltweit 1,5 Millionen Beschäftigten in Abteilungen Stellen streichen, die begannen, neue Standbeine in etablierten Geschäftsfeldern aufzubauen.

Besonders betroffen sind die Bereiche Amazon Stores und PXT Solutions. Amazon Stores gibt es in Deutschland nicht, sondern vor allem in den USA. Dort soll es sogar Geister-Stores von „Amazon Fresh“ geben, die noch gar nicht eröffnet wurden. PXT Solutions ist in erster Linie für die Rekrutierung und Entwicklung des Personals zuständig. Bei sinkendem Wachstum liegt es nahe, dass der Konzern auch hier Arbeitsplätze abbaut.

Andere Unternehmen streichen hauptsächlich Nebenprojekte. Bei Google betrifft dies die erfolglose Cloud-Gaming-Plattform Stadia, das Open-Source-Betriebssystem Fuchsia sowie das Datenprojekt „Google for Clinicians“. Microsoft trennt sich von Zukäufen, die zu wenig zum Kerngeschäft beitragen. Nachdem KI-Projekte das Metaversum als Hypethema abgelöst haben, kürzt der Konzern beispielsweise bei den Bethesda Game Studios und anderen Spieleproduzenten. Die Konsolidierungen könnten sich auch auf die geplante Übernahme von Activision Blizzard auswirken.

Aber nicht nur in den USA regiert der Rotstift: Der deutsche Konzern SAP will weltweit 3000 Stellen streichen, 200 davon in Deutschland. Der schwedische Streamingriese Spotify plant, rund 600 seiner 9800 Mitarbeiter vor die Tür zu setzen und begründet die Entlassungen mit nötigen Effizienzsteigerungen, weil die Kosten doppelt so schnell angestiegen seien wie die Umsätze.

Manager managen Manager

Brancheninsider berichten zudem, dass sich die Konzerne in den vergangenen Jahren künstlich aufgebläht haben, weil sie zu viele neue Hierarchieebenen mit neuen Managementpositionen geschaffen haben. Einerseits konnten Unternehmen wie Alphabet und Meta dadurch ihre Experten halten und zumindest formal befördern. Andererseits waren viele dieser Positionen überflüssig: Höhere Manager kontrollierten mittlere Manager, die wiederum kleinere Teamleiter überwachten. Der wirtschaftliche Druck auf die IT-Unternehmen könnte dieser Bürokratisierung nun ein Ende setzen.

Allerdings wissen viele Unternehmen noch nicht genau, in welchen Ländern sie die Stellen einsparen wollen. Die USA wird es auf jeden Fall stark treffen. Besonders problematisch ist dies für Mitarbeiter, die dort mit einem eingeschränkten Arbeitsvisum leben und nun möglicherweise das Land verlassen müssen. Auch in Indien sind bereits größere Stellenstreichungen geplant. In Deutschland hingegen profitieren die Mitarbeiter von einem nicht zu unterschätzenden Standortvorteil: Dank des hiesigen Arbeitsrechts sind Entlassungen in Deutschland für global agierende Konzerne deutlich teurer als in anderen Ländern – insbesondere in den USA.

Verpasste Chance

Nicht nur große, sondern auch viele kleinere Firmen in den USA haben angekündigt, Stellen abzubauen. Die Frage ist: Können Unternehmen in Europa oder gar in Deutschland davon profitieren?

Hierzulande blickt die Wirtschaft mit gemischten Gefühlen auf die Pläne der Tech-Giganten. Einerseits hofft der Mittelstand, dass IT-Fachkräfte künftig nicht nur bei Google & Co. anheuern wollen, sondern auch Arbeitgeber in Betracht ziehen, die bislang gegenüber den großen IT-Konzernen das Nachsehen hatten.

Immerhin gebe es in Deutschland derzeit 137.000 offene Stellen für Computerspezialisten, und der Bedarf steige, berichtet Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder, gibt aber zu bedenken: „IT-Fachkräfte aus den USA nach Deutschland zu holen, ist ein schwieriges Unterfangen und nur in absoluten Einzelfällen erfolgversprechend“, sagt Rohleder. „Auch in den USA haben die Unternehmen einen hohen Bedarf an IT-Know-how, sodass die Betroffenen innerhalb des eigenen Landes meist sehr gute berufliche Perspektiven haben.“

Auch die IG Metall glaubt nicht, dass deutsche Unternehmen vom Stellenabbau in den USA profitieren: „Die Entlassungen im Technologiesektor in den USA werden nach unserer Einschätzung keine spürbaren Auswirkungen auf den Fachkräftemangel in Deutschland haben“, sagte eine Sprecherin der Gewerkschaft auf c’t-Anfrage. „Sicherlich wird es einzelne Mitarbeiter in den USA geben, die sich nach Europa orientieren, aber insgesamt ist nicht mit einer größeren Abwanderung zu rechnen.“

Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder kritisiert die politischen und bürokratischen Hindernisse, die der Zuwanderung von IT-Fachkräften nach Deutschland im Wege stehen., Bild:Joerg Carstensen/dpa
Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder kritisiert die politischen und bürokratischen Hindernisse, die der Zuwanderung von IT-Fachkräften nach Deutschland im Wege stehen.
Bild:Joerg Carstensen/dpa

Rechtliche Hürden

Für Bitkom-Chef Rohleder sind es vor allem die deutschen Zuwanderungsregeln, die Abwerbeversuche erschweren. Weder die vor zehn Jahren eingeführte Blue Card noch das Fachkräftezuwanderungsgesetz der Großen Koalition konnten die Zuwanderung von IT-Fachkräften nennenswert steigern. Bis heute überwiegt in Politik und Verwaltung die Sorge, dass ausländische Fachkräfte zwar angeworben, aber schnell wieder entlassen werden und dann im Land bleiben und die Sozialsysteme belasten.

Rohleder hält dieses Argument für nicht stichhaltig. Um den Bedarf an Fachkräften zu decken, seien die formalen Prozesse oft zu langsam. Auch bei den gesetzlich geforderten Qualifikationen mahnt er Realismus an: „In der IT sind oft keine Deutschkenntnisse erforderlich, um den Job erfolgreich ausüben zu können, und Kompetenzen werden überwiegend durch Lehrgänge und Qualifizierungsmaßnahmen jenseits der formalen Institutionen erworben“, meint Rohleder. „Niemand kann die Eignung von Bewerberinnen und Bewerbern besser beurteilen als die potenziellen Arbeitgeber in Deutschland. Das sollte den Ausschlag geben, und nicht ein oft Jahre oder Jahrzehnte zurückliegender Hochschulabschluss.“

Doch seine Forderung nach einem einfacheren Zuwanderungsrecht bleibt vorerst Wunschdenken: Nach über einem Jahr Ampelregierung ist die Neuregelung der Fachkräftezuwanderung bisher gerade einmal im Status des Referentenentwurfs angekommen – Fertigstellungstermin offen. Im politischen Berlin rechnet man frühestens nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern im Oktober mit einer Lösung.

Auch die Regelungen zur Anerkennung von Qualifikationen werden absehbar kompliziert bleiben: Eine branchenspezifische Erleichterung für den IT-Sektor gilt als ausgeschlossen, eine Lockerung in anderen Bereichen als nahezu unmöglich.

Es ist daher kaum zu erwarten, dass die deutsche Wirtschaft von den weltweiten Entlassungswellen in der IT-Branche profitieren kann. Immerhin will die Bundesregierung künftig den Familiennachzug von Fachkräften erleichtern. Bislang handelt es sich dabei um ein kompliziertes und kaum nachvollziehbares Verfahren, an dem nach Angaben von Personalverantwortlichen schon so manches Mal die Rekrutierung von Fachkräften gescheitert ist. (hag@ct.de)

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