c't 3/2023
S. 182
Story
Einer für alle
Bild: Michael Vogt

EINER FÜR ALLE

Am Ende einer langen Reise freut man sich auf daheim. Unglaubliche Überraschungen im Gepäck warten darauf, bestaunt zu werden – und dann schlägt etwas zu, das wohl jeder Reisende kennt: ein geradezu allgegenwärtiges Phänomen, das Lebenskenner gern als „fiesen Zufall“ bezeichnen.

Von Ilja Bohnet

Nun bin ich fast wieder zu Hause. So viele Jahre durchquerte ich die Tiefen des Weltalls. Eine Reise durch Raum und Zeit. Unglaubliches habe ich gesehen. Unvorstellbares erlebt. Und dank einer schicksalhaften Fügung des Kosmos bin ich ihnen begegnet. Sie brachten das Licht und befreiten mich aus der Finsternis des Eridanus. Sie gaben mir schließlich einen Schlüssel, der die Menschheit vom Joch ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit und Erniedrigung befreien kann, und schickten mich damit zurück. In wenigen Minuten werde ich nun diesen Schlüssel an die Menschen übergeben und alles wird gut. Einer für alle. Alle für einen.

Der Ausgang meiner Expedition war immer wieder ungewiss. Obgleich ich mit der modernsten Kommunikations- und Steuerungstechnik ausgestattet war, drohte bereits zu Beginn meiner Reise mehrmals die Verbindung mit der Erde abzureißen. Es gab unerwartete Probleme mit der Kommunikationsanlage: Das Bauteil zur automatischen Anpassung der Sende- und Empfangsfrequenz war ausgefallen. Zudem erwies sich die geringe Bandbreite meines Empfängers als nachteilig, weil schon Temperaturschwankungen von weniger als einem halben Kelvin zu spürbaren Frequenzverstimmungen führen konnten. Aber zusammen mit meinen Leuten auf der Erde fand ich Wege, die Kommunikation aufrechtzuerhalten. So ließen sich die Auswirkungen der durch den Dopplereffekt verzerrten Funkwellen entlang meiner Route vorausberechnen und bei Funkübertragungen in die Frequenzabstimmung hineinkorrigieren. Und die Temperaturschwankungen des Raumschiffs verfolgte ich fortan mit Argusaugen und protokollierte sie pedantisch. Einer für alle. Alle für einen.

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