c't 3/2023
S. 130
Wissen
Neuromorphes Computing

Magnetwellen-KI

Neuartige Chiptechnik erkennt Muster in schnellen Sensordaten

Forscher am Helmholtz-Zentrum in Dresden entwickeln eine künstliche Intelligenz, die mit Magnetwellen auf Mikrochips rechnet. Im Projekt mit Halbleiterherstellern wollen sie daraus schnelle KI-Systeme zum Beispiel für autonome Autos zur Industriereife bringen.

Von Arne Grävemeyer

Klassische Rechnerkonfigurationen in der Von-Neumann-Architektur nutzen eine Recheneinheit und davon getrennte Datenspeicher. Insbesondere darauf simulierte neuronale Netze erzeugen viel zeitfressenden Datenverkehr zwischen Prozessor und Speicher. Dieser Zeitbedarf erschwert es, schnelle Sensordaten umfassend in Echtzeit zu verarbeiten und Muster im zeitlichen Ablauf zu erkennen. Das wirkt sich zum Beispiel aus, wenn es darum geht, andere Verkehrsteilnehmer und Hindernisse in den Daten von Radar- und Lidarsensoren eines autonomen Fahrzeugs zu entdecken. Gerade bei einer solchen Aufgabe kommt es darauf an, Veränderungen in den aufeinanderfolgenden Signalen zu erkennen und in Echtzeit einzuordnen.

Ein Team um Katrin und Helmut Schultheiß am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) entwickelt einen neuen Hardware-Ansatz für künstliche Intelligenz, bei dem Wechselstromsignale im Gigahertzbereich Mikrowellen auf Computerchips abstrahlen. Diese erzeugen magnetische Wellen und beeinflussen diese mit jeder Frequenzänderung. Dabei entstehen aus nacheinander eintreffenden unterschiedlichen Eingangssignalen magnetische Muster auf dem Chip. Anhand dieser Muster kann man die Eingangssignale in Echtzeit klassifizieren. In einem vom HZDR koordinierten Projekt wollen Forscher gemeinsam mit den Chipherstellern GlobalFoundries und Infineon nach diesem Ansatz eine neuartige neuromorphe Chiptechnik entwickeln.

Neuromorphe Technik

Im Unterschied zur verbreiteten Von-Neumann-Architektur orientiert sich der Ansatz des neuromorphen Computings am Beispiel von natürlichen Nervennetzen. Diese verarbeiten Eingangssignale dadurch, dass Neuronen untereinander vernetzt sind und Reize nur dann an andere Neuronen weiterleiten, wenn diese festgelegte Schwellwerte überschreiten. Zugleich repräsentiert die Struktur der miteinander vernetzten Neuronen die gespeicherten Erfahrungen – dasselbe System speichert und verarbeitet also die Daten. Dieses Konzept erweist sich in der Natur als erstaunlich leistungsfähig. Das menschliche Gehirn ist heutiger künstlicher Intelligenz in vielerlei Hinsicht überlegen, obwohl seine Neuronen nicht im Gigahertztakt Signale feuern können und obwohl seine Speicherkapazität begrenzt ist. In einer der kommenden Ausgaben geben wir einen Überblick über die gängigen Konzepte für neuromorphe Computer.

Viele heutige KI-Systeme simulieren zwar neuronale Netze, die einmal in Anlehnung an biologische Nervennetze konzipiert worden sind. Die KI läuft aber in der Regel auf klassischen Rechnersystemen, was ein indirekter und energieaufwendiger Weg ist. Insbesondere bei der Verarbeitung schneller Sensorsignale in Echtzeit stoßen solche Architekturen an ihre Grenzen.

Auf einer Goldleitung liegen verschiedene magnetische Mikroscheiben, hier mit einem Durchmesser von zwei Mikrometern. Mikrowellensignale auf der Leiterbahn können in den Scheiben zahlreiche Spinwellen erregen., Bild: HZDR
Auf einer Goldleitung liegen verschiedene magnetische Mikroscheiben, hier mit einem Durchmesser von zwei Mikrometern. Mikrowellensignale auf der Leiterbahn können in den Scheiben zahlreiche Spinwellen erregen.
Bild: HZDR

Neuromorphe Ansätze beschäftigen sich beispielsweise mit lichtverarbeitenden Computerchips [1]. In einem Forschungsprojekt mit den Universitäten in Oxford und Exeter experimentierte ein Team um Johannes Feldmann schon 2019 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster mit Lichtwellenleitern und Phasenwechselmaterialien, wie sie sonst auf wiederbeschreibbaren DVDs zum Einsatz kommen. Diese Materialien verändern ihren Zustand unter Lichteinfluss. Chips mit photonischen Schaltkreisen transportieren Daten in Form von Licht und verarbeiten diese Signale anstelle fließender Elektronen, auf denen verbreitete Chiptechnik beruht.

Mit ihren optischen Elementen bauten die Forscher auf Chips einfache neuronale Netze auf. Die konnten beispielsweise aus einer Reihe optisch eingegebener Buchstaben, Muster wiedererkennen. Durch die schnelle Lichttechnik und die hohe Zahl an Rechenoperationen, die sich mit den optischen Komponenten auf einem Chip verwirklichen lassen, verspricht dieser Ansatz eine schnelle Klassifikation insbesondere optischer Eingangssignale. Mit fest verdrahteten, trainierten neuronalen Netzen ausgestattet, könnten derartige Chips in Zukunft helfen, medizinische Aufnahmen zu bewerten oder Kamerabilder aus autonomen Fahrzeugen in Echtzeit einzuschätzen.

Magnonen statt Photonen

Der Ansatz der HZDR-Forscher beruht dagegen auf magnetischen Wellen, sogenannten Spinwellen. Diese erzeugen sie auf magnetisierbaren Scheiben, mit nur wenigen Mikrometern Durchmesser.

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