c't 25/2023
S. 160
Wissen
40 Jahre c’t

Unixoide

c’t testet 1988 das PC-Betriebssystem Minix

Das eigentlich als Lehrbetriebssystem gedachte Unix-ähnliche Minix galt in den ersten Jahren des IBM-PCs als multitaskingfähige Alternative zu DOS, da es preisgünstig war und wenig Ressourcen beanspruchte. Linus Torvalds animierte es zur Entwicklung des Linux-Kernels.

Von Rudolf Opitz

Als IBM Anfang der 1980er-Jahre das Zeitalter des Personal Computers auf Basis von Intels 16-Bit-Prozessoren einläutete, kam sehr schnell der Wunsch nach einem Unix für die vergleichsweise günstigen Rechner auf. Doch hatte AT&T mit dem Erscheinen von Unix V7 unlängst die freie Vergabe der Quellen beendet, Lizenzen mussten teuer erworben werden. IBM ließ sich von der Interactive Systems Corporation PC/IX entwickeln, Microsoft erwarb ebenfalls Lizenzen ohne den Namen Unix und nannte daher ihr PC-System Xenix.

Doch waren die PC-Unixe teuer und benötigten mindestens eine Festplatte, die zu der Zeit für viele Anwender unerschwinglich waren. Richard Stallman hatte 1983 das GNU-Projekt (Gnu is Not Unix) mit dem Ziel begonnen, ein freies unixoides Betriebssystem ohne die AT&T-Quellen zu entwickeln, doch kam es nur langsam voran und es fehlte der Betriebssystemkern. Als 1987 Minix erschien, erregte es Aufsehen. Minix, ein unixähnliches Multitaskingsystem, das mit 256 kByte Arbeitsspeicher sowie zwei Diskettenlaufwerken auskam und nur 80 US-Dollar kostete, machte auch unseren Autor Hans-Joachim Ermen neugierig. Sein Test erschien in der c’t 6/1988, wo er die Motivation des Minix-Schöpfers erklärte:

„Der Informatiker und Betriebssystem-Spezialist Andrew S. Tanenbaum hat MINIX geschrieben, um dem interessierten Anwender neben der trockenen Theorie und der Arbeit mit fertig konfektionierter Software auch einen tieferen Einblick in die Materie ’Betriebssysteme‘ zu ermöglichen.“

Der US-Amerikaner Tanenbaum promovierte 1971 in Berkeley und zog dann mit seiner niederländischen Frau nach Amsterdam, wo er an der Freien Universität lehrte. Minix erstellte er als kostengünstige Shareware für seine Studenten. Minix ist auf Ebene der Systemaufrufe kompatibel zu Unix V7 und sehr gut dokumentiert. Gegenüber den 1988 populären Plattformen hatte es aber einen Nachteil:

„Doch oh weh: weit und breit keine Spur von Windows, Pull-Down-Menüs oder Mäusen.“

Dafür gab es eine der Bourne-Shell nachempfundene Minix-Shell, einen Editor, einen C-Compiler mit Assembler und verschiedene Dienstprogramme. Da Minix direkt auf die Hardware zugreift, war eine hohe IBM-Kompatibilität gefordert. Ermen konnte in seinem Minix-Test aber beruhigen:

„Ich habe es auf einem Commodore PC- 10 II mit NEC V20 und einer Lapine Filecard ohne Probleme zum Laufen gebracht.“

Anders als das AT&T-Unix besitzt Minix einen mehrlagigen Micro-Kernel – nicht schnell, aber zuverlässig. Bei C-Compiler und Assembler orientierte sich Tanenbaum aber an Unix-Vorbildern:

„Den letzten Pass des C-Compilers bildet ein Assembler, der Programmcode verarbeitet, wie ihn auch der PC-IX-Assembler erwartet; MINIX wurde zum Teil auf einem PC-IX-System entwickelt.“

So wie Tanenbaum ein PC/IX-System als Entwicklungsplattform genutzt hatte, experimentierte ein finnischer Student namens Linus Torvalds mit Minix, um die erweiterten Funktionen seines neuen 386er-Prozessors auszuprobieren. Daraus entstand der Linux-Kernel, die Basis des heute verbreitetsten unixoiden Betriebssystems. Minix spielte dagegen in späteren Jahren keine große Rolle, bis russische Sicherheitsexperten die Intel Management Engine in PC-Chipsätzen x86-basierter Mobilprozessoren analysierten und auf Minix als ME-Betriebssystem stießen.

Steven P. Steinkraus: erst Minix-Fachmann bei Prentice-Hall, dann 20 Jahre Geschäftsführer beim Heise Zeitschriften Verlag.
Steven P. Steinkraus: erst Minix-Fachmann bei Prentice-Hall, dann 20 Jahre Geschäftsführer beim Heise Zeitschriften Verlag.

Auch für die c’t hatte Minix unerwartete Auswirkungen. Der damals für den Test verantwortliche Kollege und heutige stellvertretende Chefredakteur Axel Kossel interessierte sich weiter für Minix und traf sich auf einer Messe mit einem Vertreter des Verlags Prentice-Hall, der den Vertrieb von Minix übernommen hatte. Der Vertreter hieß Steven P. Steinkraus und war von 1991 bis 2011 Geschäftsführer des Heise Zeitschriften Verlags. (rop@ct.de)

Artikel „Multitasking für jedermann“ zum Nachlesen: ct.de/ymw3

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