c't 15/2023
S. 3
Standpunkt

Digitalisierung: Warten auf die ELFE

Manche Leute meinen, die Digitalisierung der Verwaltung sei nicht wichtig, weil man eh nur alle paar Jahre was vom Amt braucht. Das Problem ist, dass das meistens dann der Fall ist, wenn man gerade andere Sorgen hat. Zum Beispiel, wenn man Nachwuchs bekommen hat. Das Kind hat Ausschlag, Nabelbruch, Drei-Tage-Fieber, es schreit die halbe Nacht durch. Und auf dem Esstisch stapeln sich die Anträge auf Geburtsurkunde, Elterngeld, Kindergeld, Krankenversicherung ...

Bei der Geburt unseres ersten Kindes nahm ich den Irrsinn noch sportlich. Allein fürs Elterngeld kämpften meine Frau und ich uns durch ein zehnseitiges Formular, druckten Steuerbescheide, Nachweise und 24 Gehaltsabrechnungen aus und lieferten alles brav beim Amt ab.

Später hörte ich von einem Projekt namens "ELFE – Einfache Leistungen für Eltern". Bremer Beamten war 2017 aufgefallen, dass fast alle Daten, die die Behörden für Elterngeld & Co. benötigen, schon bei anderen Behörden liegen. Die Bremer entwarfen eine App, mit der man fix und nachweisfrei Eltern- und Kindergeld beantragen kann, wenn man den Ämtern den Datenaustausch gestattet. Die Bundesregierung unterstützte den Plan. Die ELFE sollte in allen Bundesländern fliegen.

Ich berichtete in c’t hoffnungsfroh über das Projekt (22/2020, S. 142). Endlich hatte mal jemand erkannt, dass Digitalisierung nicht bedeutet, PDFs ins Internet zu stellen! Endlich hatte mal jemand nachgedacht!

Vor einem Monat kam unser zweites Kind zur Welt. Ich erinnerte mich an ELFE und entdeckte das Behördenportal "ElterngeldDigital". Das entpuppte sich jedoch als Ausfüllhilfe für das altbekannte Formular: "Nach Abschluss können Sie Ihren Antrag ausdrucken, unterschreiben und an die für Sie zuständige Elterngeldstelle schicken." Das hatte mit ELFE nichts zu tun, streng genommen nicht einmal mit "Digital".

Die ELFE hat sich im Dickicht des Föderalismus verfangen. Bislang existiert sie nur in Bremen, und nicht einmal dort fliegt sie: "Aufgrund einer technischen Störung ist die automatisierte, elektronische Übermittlung der Gehaltsdaten momentan nicht möglich", heißt es auf der Webseite.

Manche Leute meinen, das wird schon noch mit der Digitalisierung. Ich meine: Wenn ein Land es in sechs Jahren nicht schafft, einen Elterngeldantrag zu digitalisieren, läuft grundsätzlich etwas schief.

Christian Wölbert
Christian Wölbert

Christian Wölbert

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