c't 11/2023
S. 47
Aktuell
Streaming

Wechselbad der Gefühle

Netflix: Bevorzugte Werbeabos, Live-Pleite und das Warten auf die Account-Sharing-Sperre

Der weltgrößte Videostreamingdienst gewährt Nutzern, die ihre Kontodaten an Dritte weitergeben, noch etwas Aufschub – will aber weiter gegen Account-Sharing vorgehen. Bei der Frage, wie Mitgucker zu neuen Abonnenten werden, könnten Werbeabos eine Schlüsselrolle einnehmen.

Von Nico Jurran

Das ist mal eine Kehrtwende: Bis vor einigen Jahren schloss Netflix noch Abonnements mit Werbung aus, heute gibt es nicht nur das Standard-Abo einer verbilligten Variante mit Werbung, sondern der Dienst bevorzugt Kunden mit diesem Tarif künftig sogar. Und zwar erhöht er die Auflösung bei der Variante mit Werbung zum Monatspreis von rund fünf Euro auf 1080p (1920 × 1080 Pixel), belässt sie beim Standard-Abo zum Vollpreis von acht Euro pro Monat aber bei 720p (1280 × 720 Pixel).

Wahrscheinlicher Grund für diese Maßnahme: In den USA hat Netflix laut seinem jüngsten Quartalsbericht mit dem Werbeabo pro Nutzer mehr verdient als mit dem Standardabo. Das Unternehmen wird also weitere User für das Werbeabo gewinnen wollen – zumal die Geschäftszahlen besser sein könnten: Der Umsatz stieg im Jahresvergleich zwar um 3,7 Prozent auf 8,16 Milliarden US-Dollar, der Betriebsgewinn ging im gleichen Zeitraum aber um 13 Prozent zurück und liegt jetzt bei 1,7 Milliarden Dollar. Damit sank auch der Nettogewinn um rund 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf zuletzt 1,3 Milliarden Dollar.

Bei der Bekanntgabe seiner Quartalszahlen kündigte das Streamingunternehmen zudem an, gegen die Weitergabe von Netflix-Passwörtern in weiteren Märkten erst im Verlauf des zweiten Quartals vorzugehen. Bislang hat der Dienst in mehreren lateinamerikanischen Ländern sowie Spanien, Portugal und Kanada das sogenannte Account-Sharing gesperrt. Eigentlich sollten im ersten Quartal weitere Länder folgen. Wenn es nun im zweiten Quartal so weit ist, dürften auch Kunden in den USA und Deutschland betroffen sein.

Aufgeschoben, nicht aufgehoben

Warum die Einschränkungen für das Teilen von Netflix-Accounts verschoben wurde, geht aus dem Finanzbericht nicht eindeutig hervor. Dort steht nur, dass man dazugelernt habe und die Einsichten bei künftigen Umsetzungen einbringen wolle. Informationen, was konkret damit gemeint ist und welche Änderungen dadurch im Vergleich zu Ländern wie Spanien und Portugal zu erwarten sind, blieb Netflix schuldig. Allerdings ließ der Dienst offen, ob er künftig in allen Ländern bei der Einführung der Account-Sharing-Sperre weiterhin die Option anbietet will, Personen außerhalb des Haushalts gegen Aufzahlung weiterzuversorgen.

In Kanada sei die Anzahl der zahlenden Nutzer nach dem Start der Maßnahme zwar kurzfristig gesunken, dort hat Netflix eigenen Angaben zufolge nun aber mehr zahlende User als vor Einführung der Account-Sharing-Sperre. Der Dienst sieht dies als guten Indikator für seinen wichtigen Heimatmarkt – auch dort erwartet er also ein Plus bei der Zahl der Kunden durch den umstrittenen Schritt.

„Wir haben gesagt, dass alles passieren kann“: Nach der Panne bei der Live-Ausstrahlung des „Love is blind“-Specials versuchte es Netflix mit Galgenhumor., Bild: Twitter/@netflix
„Wir haben gesagt, dass alles passieren kann“: Nach der Panne bei der Live-Ausstrahlung des „Love is blind“-Specials versuchte es Netflix mit Galgenhumor.
Bild: Twitter/@netflix

Live-Panne

Der Quartalsbericht erschien nur drei Tage nach der bislang größten Panne in der Geschichte von Netflix: Eigentlich wollte der Dienst ein Special der US-Ausgabe seiner Kuppel-Show „Love is blind“ („Liebe macht blind“) live senden, doch anstelle von Emotionsausbrüchen sahen die Nutzer wegen technischer Probleme nur eine Fehlermeldung. Am Ende benötigte der Dienst 19 Stunden, um die Aufzeichnung der Sendung zu veröffentlichen.

Das ist auch ein Rückschlag für Netflix’ Co-Chef Ted Sarandos, der Live-Übertragungen gerne zum Standard für die Endrunden bei Wettbewerbsshows machen würde – mit der Begründung, dass der Live-Charakter es spannender mache und die Zuschauer zudem nicht der Versuchung erliegen, zum Finale zu springen, um zu erfahren, wer gewonnen hat (siehe c’t 5/2023, S. 48). Nachdem Anfang März noch die Live-Premiere mit der Ausstrahlung eines Stand-up-Specials des Comedians Chris Rock geglückt war, kommen nun jedoch Zweifel auf, ob Netflix dieser Aufgabe gewachsen ist. Eine Werbung für den Dienst ist das missglückte Live-Special jedenfalls nicht. (nij@ct.de)

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