c't 10/2023
S. 174
Wissen
Arbeitsrecht

Neues vom Whistleblower

Weiterhin unbefriedigende Rechtslage für Hinweisgeber in Deutschland

Die sogenannte Whistleblower-Richtlinie hatte noch keine Chance, die Lage von Hinweisgebern in Deutschland zu verbessern. Sie trat zwar bereits 2019 in Kraft, doch seitdem führt die Politik ein schier endloses Gezerre um die längst überfällige nationale Umsetzung auf. Wer Gesetzesverstöße seines Arbeitgebers melden will, trägt weiterhin ein hohes Risiko.

Von Harald Büring

Missstände und gesetzwidrige Machenschaften von Unternehmen drücken bei deren Beschäftigten bisweilen nicht nur aufs Gewissen, sondern lassen diese auch befürchten, sich mitschuldig zu machen. Wer sich mit Hinweisen treuherzig an seinen Vorgesetzten oder an Behörden wendet, riskiert arbeitsrechtliche Konsequenzen. Anonym gegen Missstände vorzugehen, ist schwierig – wer Fehlverhalten anzeigt, muss spätestens im Gerichtsverfahren als Zeuge aus der Anonymität hervortreten.

Kündigungen, Strafanzeigen und Zivilklagen im Zusammenhang mit Whistleblowing haben bereits vielfach die Gerichte beschäftigt. Erst vor wenigen Wochen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einen solchen Fall entschieden: Ein Mitarbeiter des Beratungsriesen PricewaterhouseCoopers hatte dubiose Steuerabsprachen mehrerer großer Konzerne mit den Steuerbehörden Luxemburgs aufgedeckt: Die Unternehmen konnten ihre Steuerlast zulasten von anderen Staaten auf unter 1 Prozent drücken. Obwohl die EU-Kommission festgestellt hatte, dass solche Praktiken eine illegale Beihilfe darstellen [1], verurteilten zunächst alle nationalen Gerichtsinstanzen den Mann unter anderem wegen Datendiebstahls und Verletzung des Berufsgeheimnisses. Erst der EGMR befand, dass der Whistleblower nicht zu verurteilen war: Es bestand, so der Gerichtshof, ein erhebliches öffentliches Interesse daran, die Steuermauscheleien offenzulegen. Dieses wog schwerer als der durch den Hinweisgeber entstandene Schaden. Der EGMR sprach dem Mann zusätzlich zum Ersatz seiner Prozesskosten in Höhe von 40.000 Euro eine Entschädigung von 15.000 Euro zu. Grund: Die Gerichte hatten ihn in seiner Freiheit der Meinungsäußerung nach Art. 10 der europäischen Menschenrechtskonvention (MRK) verletzt [2].

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