c't 26/2022
S. 14
Aktuell
Bitcoin: Absturz von FTX

Vertrauensmalus

Die Milliarden-Pleite der Kryptowährungsbörse FTX und ihre Folgen

Der Zusammenbruch der drittgrößten Kryptobörse FTX Anfang November hat ein gewaltiges Kursbeben bei Bitcoin & Co. mit Verlusten von mehreren Hundertmilliarden Euro ausgelöst. Die Ursache waren Verstöße gegen die eigenen Hausregeln und der Twitter-Post eines Erzkonkurrenten.

Von Mirko Dölle

Ein massiver Vertrauensverlust hat Anfang November den Crash der drittgrößten Kryptobörse der Welt verursacht: Binnen weniger Tage plünderten die Kunden ihre Konten bei FTX, am Ende war das Unternehmen zahlungsunfähig und beantragte Gläubigerschutz. Dabei hatte man Kunden in aller Welt mit dem Versprechen geködert, niemals mit ihren Geldern zu spekulieren – und doch flossen Milliarden über Umwege in Spekulationsgeschäfte.

Allgemein sind Kryptobörsen keine Kryptogeld-Schließfächer, sie verwahren die ihnen anvertrauten Bitcoins & Co. nicht einfach. Genau wie herkömmliche Banken nutzen sie Gelder ihrer Kunden für Geldgeschäfte, etwa um die Gelder zu verleihen oder mit Vermögenswerten zu handeln. So bekommt man bei manchen Kryptobörsen sogar Zinsen auf die eingezahlten Coins und Token. Es handelt sich, genau wie bei traditionellen Banken, um Giralgeld; wer einen Bitcoin einzahlt, erhält dafür eine gleich hohe Gutschrift der Kryptobörse, die er auch nur bei dieser Kryptobörse wieder gegen Bitcoins einlösen kann. Das funktioniert genau wie beim Sparbuch, bei dem man das Geld auch nur von derselben Bank oder Sparkasse wieder ausgezahlt bekommt, wo man eingezahlt hat.

Doch während Banken streng reguliert sind und eine Eigenkapitalquote einhalten sowie in Einlagensicherungs- und Bankenrettungsfonds einzahlen müssen, dürfen die Kryptobörsen in einigen Ländern völlig frei und ganz ohne eigenes Kapital agieren. Die üblichen Spekulations- und Kreditgeschäfte der Kryptobörsen sind deshalb für die Kunden riskant: Die Kryptobörse hat schlimmstenfalls nicht mehr genügend Geld, um die Einlagen sämtlicher Kunden unmittelbar zurückzahlen zu können.

Spekulationen und Kreditgeschäfte führen nicht automatisch zu einer wirtschaftlichen Schieflage. Sofern die Kryptobörse keine Verluste einfährt oder Kredite ausfallen, ist das Unternehmen weiterhin gesund. Allerdings vermindert sich die Liquidität und es sind nicht mehr genügend Kryptogelder da, um die Guthaben sämtlicher Kunden unmittelbar zurückzuzahlen – etwa bei einem „Bank Run“, einem Bankenansturm, bei dem eine Vielzahl von Kunden in kürzester Zeit ihr Geld abzieht. Die letzten beißen dann die Hunde, weil das Unternehmen erst Spekulationsobjekte wieder zu Geld machen, Kredite zurückrufen, einen Kredit aufnehmen oder von Investoren neue Gelder einwerben muss, um die für die Auszahlung nötigen Kryptowährungen am Markt zu beschaffen.

Allgemeine Verunsicherung

Spekuliert eine Kryptobörse mit Kundengeldern, bedeutet das mehr Unsicherheit für die Kunden und vergrößert die Gefahr eines solchen Bank Run – manchmal genügen schon Gerüchte über Kryptobörsen, damit die Anleger nervös werden und vorsichtshalber ihre Schäfchen ins Trockene bringen, solange das Unternehmen noch liquide ist.

Bei der zuletzt auf den Bahamas beheimateten Kryptobörse FTX sollten sich die Kunden keine Sorgen um ihr Kryptogeld machen müssen. FTX versprach unter Punkt 8.2.6 Absatz B seiner Nutzungsbedingungen, keinesfalls mit Kundengeldern zu spekulieren oder diese zu verleihen: „None of the Digital Assets in your Account are the property of, or shall or may be loaned to, FTX Trading“. FTX wollte die Kundengelder also lediglich verwahren. Für Spekulationsgeschäfte, denen der Gründer und Vorstandschef Sam Bankman-Fried seinen Milliardärstitel verdankte, gründete er eine angeblich unabhängige Firma, Alameda Research.

Doch Alameda hatte kein besonders glückliches Händchen, im Mai 2022 soll es laut Wall Street Journal zu großen Spekulationsverlusten gekommen sein – es musste neues Geld her. Alameda bekam Geld; woher, war zunächst unklar. Mitte September berichtete das Nachrichtenportal Bloomberg über starke finanzielle Verflechtungen zwischen Alameda und FTX: Alameda sei ein Marktbereiter für das von FTX frei erfundene FTT-Token mit einer Marktkapitalisierung von gut 50 Milliarden US-Dollar.

Tief verflochten

Wie stark Alameda mit dem FTT-Token von FTX verbandelt ist, veröffentlichte die Kryptonews-Seite CoinDesk Anfang November: Sie schrieb über Zahlen aus internen Berichten von Alameda, wonach die von Bankman-Fried gegründete Alameda Research mehr als ein Drittel ihres Firmenkapitals von knapp 15 Milliarden US-Dollar in den von ihm erfundenen FTT-Token angelegt hatte. Alameda hatte also mehr als ein Achtel aller existierenden FTT-Token aufgekauft – und damit mutmaßlich den Kurs der Währung massiv beeinflusst.

Diese Berichte griff der kanadische Gründer und CEO des Erzkonkurrenten Binance auf. Changpeng Zhao verkündete am 7. November öffentlich via Twitter, dass Binance aufgrund der aktuellen Berichterstattung sämtliche FTT-Token verkaufen werde. Das brachte das Fass zum Überlaufen, in Scharen zogen Kunden ihre Gelder von FTX ab und verkauften ebenfalls ihre FTT-Token. Laut CoinDesk verlor FTX allein in den ersten drei Tagen des Bank Run über sechs Milliarden Dollar an Einlagen und der Kurs der FTT-Token brach um gut zehn Prozent ein.

Danach wurde es regelrecht bizarr: Nur einen Tag nach der Ankündigung, alle FTT-Token zu verkaufen, schrieb Zhao, dass Binance in unverbindlichen Übernahmeverhandlungen mit FTX stehe. Das ist insofern bemerkenswert, weil Bankman-Fried und Zhao sich bereits lange und oft über Twitter-Scharmützel befehden.

Noch am gleichen Tag stürzte der Kurs des FTT-Token von gut 22 Euro auf unter 5 Euro ab. Tags darauf blies Binance die Übernahme offiziell wieder ab, nachdem man einen ersten Blick in die Bücher geworfen hatte.

Versprochen – gebrochen

Auf der Website von FTX war inzwischen zu lesen, dass keine Auszahlungen mehr bearbeitet würden. Bankman-Fried schrieb in einer Stellungnahme, dass das Firmenvermögen zwar die Forderungen der Kunden übersteigen würde, man aber nicht mehr genügend Liquidität für Auszahlungen besäße. Man benötige erst frisches Geld. Doch wie konnte FTX, die gemäß ihrer eigenen Vorschriften nicht mit Kundengeldern spekuliert und auch keine Kundengelder verleiht, nicht mehr liquide sein?

Ein Artikel des Wall Street Journal vom 10. November brachte Licht ins Dunkel: Demnach habe die Redaktion aus anonymen Quellen erfahren, dass Alameda Research FTX 10 Milliarden US-Dollar schulde. Dies bestätigte Bankman-Fried indirekt: jemand schulde FTX 10 Milliarden Dollar. Damit stand der Verdacht im Raum, FTX hätte Gelder veruntreut. Nach Recherchen des Wall Street Journals habe FTX weit über die Hälfte der Kundeneinlagen an Alameda Research weitergegeben, um damit zu spekulieren – die Finanzspritze für Alameda, wie Bankman-Fried Mitte November in einem Interview mit dem Online-Magazin Vox.com bestätigte. Dies sei zwar nicht der Plan gewesen, die „chaotische Buchführung“ habe aber letztlich dazu geführt.

Am 11. November schließlich beantragten FTX Alameda Research und etliche andere mit Bankman-Fried verbandelte Unternehmen Gläubigerschutz gemäß Chapter 11. Eine Bankrotterklärung, auch für den FTT-Token, dessen Kurs bei Redaktionsschluss deutlich unter 1,50 Euro lag – ein Kursverlust von über 95 Prozent gegenüber Ende Oktober.

Der auf den Insolvenzantrag hin eingesetzte Restrukturierungsexperte John J. Ray lässt an Bankman-Fried angesichts der „chaotischen Buchführung“ kein gutes Haar: „Noch nie in meiner beruflichen Laufbahn habe ich ein derartiges Versagen der Unternehmenskontrolle und ein derartiger Mangel an belastbaren Finanzinformationen erlebt wie in diesem Fall“.

Verlierer über Verlierer

Dass ausgerechnet ein Twitter-Post von Binance-Chef Zhao den Bank Run auf FTX auslöste, wurmt Bankman-Fried offenkundig mächtig. In einem seiner unzähligen Twitter-Posts schreibt er: Irgendwann könne er mehr über einen gewissen Gegenspieler zu sagen haben. Wer im Glashaus sitze, ... Bis dahin könne er nur sagen: „Gut gespielt; du hast gewonnen.“

Die Liste der Verlierer ist ungleich länger: Neben FTX haben nach ersten Recherchen rund 140 Firmen aus dem Umfeld von Bankman-Fried Insolvenz anmelden müssen. Deren Kunden und Investoren dürften größtenteils leer ausgehen. Hinzu kommen etliche Krypto-Finanzierer, die Gelder bei FTX geparkt oder in FTT-Token investiert hatten und nun nicht mehr an ihr Geld kommen – genauso wenig wie deren Kunden.

Außerdem geht die weltweit drittgrößte Handelsbörse nicht pleite, ohne dass dies Auswirkungen auf den Markt für Kryptowährungen allgemein hätte. So gab während der FTX-Krise auch der Bitcoin nach, er büßte innerhalb weniger Tage ein Viertel seines Kurswerts ein. Allein das vernichtete rund 100 Milliarden Euro Marktkapitalisierung. Auch die Kurse der meisten anderen Kryptowährungen stürzten ab. Wenn man den Zusammenbruch des FTT-Token einrechnet, bei dem alleine rund 50 Milliarden Euro verbrannten, liegen die Verluste bei rund einer Viertel Billion Euro. Das ruft auch die Regierungen auf den Plan. Auf beiden Seiten des Atlantiks wurden Rufe nach einer globalen Regulierung des Kryptowährungshandels laut, um Anleger künftig besser zu schützen.

Für Bankman-Fried als vermeintlichem Rädelsführer wird die FTX-Pleite noch ein Nachspiel haben: So ist in Florida bereits eine Sammelklage anhängig. Auch das US-Repräsentantenhaus will sich noch im Dezember mit dem Fall FTX befassen und Bankman-Fried vorladen. Dort dürfte er auf seinen Lieblingsfeind Zhao treffen, denn die Abgeordnetenkammer plant, neben dem FTX-Gründer auch Binance zu befragen. (mid@ct.de)

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