c't 26/2022
S. 146
Praxis
Mastodon statt Twitter
Bild: Rudolf A. Blaha

Umzug aufs Land

Was Sie beachten müssen, wenn Sie von Twitter zu Mastodon wechseln

Wer sich nach einem Twitter-Ersatz umschaut, landet schnell bei Mastodon. Weil sich technische Infrastruktur und Funktionen, aber auch die Umgangsformen unterscheiden, gestaltet sich der Umstieg etwas holperig. Ein Kultur-Guide und Umzugshelfer.

Von Jo Bager

Twitter ist kaputt. Für viele war es das schon, bevor Elon Musk das Ruder übernahm: Viel zu viel Hass, Fake, Werbung. Es fühlt sich so an, als wollen viele Twitterer einfach nur recht haben, andere Meinungen stören sie nur. Stoßen zwei Twitterer mit unterschiedlichen Ansichten aufeinander, so entsteht selten ein Dialog, aus dem beide etwas lernen können. Stattdessen schreien sie sich an oder beleidigen sich. Und jetzt richtet Elon Musk in Rekordzeit das Unternehmen, sein Geschäftsmodell und seine technische Infrastruktur zugrunde (siehe S. 34). Zeit also für einen Umstieg. Unter Twitter-Emigranten ist derzeit Mastodon die Plattform der Wahl.

Megacity vs. Kleinstadt

Twitter ist Megalopolis, eine Riesenmetropole für Hunderte Millionen Einwohner. Betreiber dieser Riesenstadt ist ein gewinnorientiertes Unternehmen. Das legt die Regeln fest, setzt sie durch und sorgt für den reibungslosen Betrieb. Nutzer bezahlen bei Twitter nichts. Gewinne erwirtschaftet der Dienst, indem er Werbeplätze in den Timelines seiner Nutzer verkauft. Die Werbung versucht Twitter möglichst zielgerichtet auf deren Interessen zuzuschneiden (Targeting). Dazu greift der Dienst auf alle Informationen zu, die er über sie erhalten kann: Alter, Geschlecht, Standort, Interessen, Konversationen und Interaktionen mit anderen Inhalten. Twitter wertet also die Daten seiner Nutzer aus und verkauft ihre Aufmerksamkeit. Anders gesagt: Jeder, der Twitter nutzt, ist das Produkt. Sieht man es einmal so, drängt sich statt der Megastadt ein anderes Bild auf – das der Legebatterie.

Mastodon ist gewissermaßen als Gegenmodell zu den großen zentralen Plattformen wie Twitter entstanden. Es lässt sich als eine Landschaft voller Kleinstädte sehen: Es gibt Tausende dieser Städte – die sogenannten Mastodon-Server oder -Instanzen – mit jeweils einer Handvoll bis zu ein paar Tausend Einwohnern.

Jede dieser Instanzen wird von einem eigenen Betreiber unterhalten. Der Mastodon-Quellcode ist als Open Source verfügbar. Jeder, der mag, kann eine eigene Instanz aufsetzen. Viele dieser Server werden von Vereinen oder Privatpersonen in ihrer Freizeit betrieben. Wie bei Twitter legt der Betreiber für seine Instanz die Regeln fest und kümmert sich um die reibungslose Funktion. Es gibt kein Geschäftsmodell, keine Datenerhebung und kein Targeting. Um den Betrieb sicherzustellen, sind einige Instanzen daher auf Spenden angewiesen oder erheben einen kleinen Mitgliedsbeitrag.

Debirdify findet die Profile Ihrer Twitter-Kontakte bei Mastodon und zeigt auch, auf welchen Instanzen sich die meisten Kontakte tummeln.
Debirdify findet die Profile Ihrer Twitter-Kontakte bei Mastodon und zeigt auch, auf welchen Instanzen sich die meisten Kontakte tummeln.

Standortvorteile

Die verschiedenen Mastodon-Instanzen bilden ein dezentrales Netzwerk. Genauer gesagt sind sie Teil eines noch größeren Netzwerks, dem Fediverse, das wir in einer FAQ auf Seite 150 vorstellen. Hier soll es aber nur um Mastodon gehen, weil sehr viele Twitterer dorthin umziehen. Alle Instanzen kooperieren miteinander. Als Nutzer können Sie also grundsätzlich Nutzer auf anderen Instanzen ansprechen oder ihre Inhalte abonnieren.

In einigen Details können sich die Instanzen aber unterscheiden, beispielsweise bei den Moderationsregeln. Bei vielen Instanzen zum Beispiel kann sich jeder anmelden, dagegen akzeptiert der Server social.bund.de nur Anmeldungen für Accounts von Bundesbehörden. Zu den Moderationsmöglichkeiten jedes Instanzadministrators gehört auch, einzelne Benutzer seiner eigenen oder einer anderen Instanz blockieren zu können. Er kann auch eine Instanz als Ganzes blockieren, beispielsweise wenn sie schlecht moderiert wird und Trolling ermöglicht.

Für die Kommunikation mit Konten, die auf der gleichen Instanz beheimatet sind, genügt ein @-Zeichen, gefolgt vom Kontonamen. Bei Nutzern einer anderen Instanz müssen Sie die Adresse der Instanz dranhängen, etwa @beispieluser@mastodon.radio. Auch wenn Sie nachsehen möchten, wem ein bestimmter Nutzer folgt oder wer einem bestimmten Nutzer folgt, ist das umständlicher, wenn dieser auf einer anderen Instanz beheimatet ist.

Standardmäßig zeigt Mastodon die persönliche Timeline an, also die Beiträge derjenigen Nutzer, denen Sie folgen. Die Nachbarschaft auf der Heim-Instanz kann aber auch als Nachrichtenaggregator für Sie fungieren – so ähnlich wie der algorithmische Feed bei Twitter, aber transparenter. So können Sie sich die „Lokale Timeline“ mit allen Posts aller Nutzer der eigenen Instanz anzeigen lassen. Unter „Entdecken“ finden Sie zudem Beiträge aus dem gesamten Mastodon-Netzwerk, die auf dem eigenen Server aktuell an Reichweite gewinnen.

Instanzwahl

Man sollte seine Instanz also mit Bedacht wählen. Es gibt Instanzen mit regionalem Einschlag, etwa norden.social für Nordlichter, wien.rocks und ruhr.social. Unter https://umap.openstreetmap.fr/en/map/mastodon-near-me_828094 finden Sie eine Karte mit einer Auswahl von Mastodon-Servern für bestimmte Länder, Regionen oder Städte.

Viele Nutzer mit IT-Bezug finden Sie beispielsweise bei digitalcourage.social, toot.cafe, fosstodon.org, floss.social, chaos.social, social.tchncs.de und hachyderm.io. Es gibt auch Mastodon-Instanzen für bestimmte Themen (bildung.social), Berufsgruppen (journa.host) und Hobbies (metalhead.club) sowie von Parteien (gruene.social) und Firmen (vivaldi.social). Alternativ können Sie sich unter instances.social anhand der Moderationsregeln Instanzen vorschlagen lassen.

Bei vielen Instanzen können Sie vorab einen Blick in die lokale Timeline sowie die populären Beiträge werfen, um zu erkennen, ob die Gemeinschaft zu Ihnen passt. Hängen Sie dazu einfach „/public/local“ beziehungsweise „/explore“ an die URL an. Mit einem angehängten „/about“ zeigen Ihnen viele Instanzen Infos zum Betreiber und den Moderationsregeln an. Sie erfahren dort auch, wie man sie finanziell fördern kann. Nicht alle Instanzen nutzen dieselben URL-Anhänge. Bei metalhead.club/explore etwa finden Sie das Benutzerverzeichnis. Im Zweifelsfall müssen Sie sich von der Startseite durchklicken.

In der erweiterten Ansicht der Web-Oberfläche von Mastodon können Sie neben Ihrer Standard-Timeline noch weitere einblenden.
In der erweiterten Ansicht der Web-Oberfläche von Mastodon können Sie neben Ihrer Standard-Timeline noch weitere einblenden.

Umzugsvorbereitungen

Nachdem Sie sich für eine Instanz entschieden haben, kann der eigentliche Umzug starten. Das größte Hemmnis, von Twitter zu Mastoden rüberzumachen, dürfte das oft über Jahre aufgebaute soziale Netz bei Twitter sein. Die Dienste Debirdify und Fedifinder helfen dabei, diese Kontakte, falls vorhanden, im Mastodon-Netz aufzuspüren und sich wieder mit ihnen zu vernetzen.

Debirdify geben Sie dazu Zugriff auf Ihren Twitter-Account. Anschließend durchforstet der Dienst die Biografie-Angaben der Nutzer, denen Sie folgen, nach Mastodon-Adressen und sammelt diese ein. Praktischerweise ordnet er die gesammelten Adressen danach, auf welchen Mastodon-Instanzen sie liegen – ein weiterer Hinweis darauf, auf welche Instanz sie migrieren sollten. Debirdify generiert eine CSV-Datei mit den gefundenen Adressen, die Sie bei Mastodon hochladen können. Auch Listen Ihrer Follower und der Accounts, die Sie blockiert oder stumm gestellt haben, lassen sich so übertragen.

Nach der ersten Anmeldung sollten Sie nicht sofort Ihre Brücken zu Twitter abbrechen. Aktualisieren Sie vielmehr zunächst Ihre Twitter-Biografie mit Ihrer neuen Mastodon-Adresse. So können andere Sie ebenfalls bei Mastodon finden.

Vielleicht möchten Sie Ihre Twitter-Inhalte archivieren? Die betreffende Funktion findet sich in den Einstellungen des Dienstes unter „Dein Account/Ein Archiv Deiner Daten herunterlassen“. Nach ein paar Stunden stellt Twitter eine Zip-Datei zum Herunterladen bereit.

Erster Eindruck

Wer sich mit Twitter auskennt, wird sich in der Bedienung von Mastodon schnell zurechtfinden. Kurzmeldungen heißen dort Tröts oder Toots statt Tweets und dürfen 500 statt 280 Zeichen lang sein – auch wenn der betreffende Knopf in der just erschienenen Version 4.0 von Mastodon von „Tröt!“ auf „Veröffentlichen“ umbenannt wurde. In Toots lassen sich Links, Videos, Bilder oder Audio-Dateien einbetten. Sie können Toots, anders als Tweets, nachträglich editieren. Toots lassen sich zudem mit einer Warnung versehen, wenn Sie Inhalte enthalten, die emotional belastend sein könnten. Sie werden dann zunächst unscharf angezeigt und erst scharfgestellt, wenn man draufklickt. Wenn Sie in mehreren Sprachen posten, sollten Sie die Sprache mit angeben. Das hilft Screenreadern bei der Ausgabe.

Das Äquivalent eines Retweets nennt sich Boost. Bei Mastodon können Sie nicht per Zitat auf andere Posts reagieren. Das ist eine bewusste Entscheidung. Sie soll ungesunde Diskussionensverläufe verhindern, wie sie bei Twitter bei dieser Form der Reaktion mitunter entstehen.

In der Web-Oberfläche zeigt Mastodon per Default ausschließlich die Toots von Personen an, denen Sie folgen. Über die Navigationsleiste rechts wechseln Sie zur lokalen Timeline, die alle Posts von Nutzern Ihrer Instanz enthält, sowie zur Föderierten Timeline, durch die alle Nachrichten aller Instanzen rauschen, die Ihre Instanz kennt. Dort findet sich auch der Punkt „# Entdecken“ mit Beiträgen, Hashtags und Nachrichten, die aktuell auf der eigenen Instanz eine große Rolle spielen. In der Navigationsleiste finden Sie auch Direktnachrichten, Favoriten, Lesezeichen und Listen.

Grundmöblierung

In den Einstellungen unter „Profil“ sollten Sie ein Profil- und ein Hintergrundbild hochladen sowie die Biografie ausfüllen – gerne mit #Hashtags Ihrer Interessen. So werden Sie auf Verzeichnissen wie fediverse.info/explore/people gefunden. Es hat sich außerdem eingebürgert, dass neue Nutzer sich mit einem Beitrag mit dem Hashtag #neuhier oder #newhere vorstellen. Wenn Sie ein Blog oder eine andere unabhängige Webpräsenz haben, können Sie sich selbst „verifizieren“. Setzen Sie dazu von dieser Website aus einen Link zu Ihrem Mastodon-Profil:

<a rel="me" href="https://mastodon.social/@johoo">Mastodon</a>

Verlinken Sie dann in Ihrem Mastodon-Profil diese Webseite.

Weitere wichtige Ersteinstellungen: Sie sollten versuchsweise unter „Erscheinungsbild/Erweitertes Webinterface verwenden“ ein Häkchen setzen. Das aktiviert eine Bedienoberfläche, in der Sie mehrere Spalten mit Inhaltefeeds nebeneinander anordnen können. Unter „Import und Export/Import“ können Sie die mit Debirdify erzeugten CSV-Dateien mit Ihren Kontakten importieren. Wen gibt es sonst noch so im Netz der Netze? Bei mastodir und Trunk finden Sie thematische Verzeichnisse mit Mastodon-Profilen.

Die Original-Weboberfläche von Mastodon funktioniert gut. Sie können sie auf allen gängigen Plattformen auch als Progressive Web App installieren. Daneben gibt es auch Apps für Android und iOS sowie eine Reihe von Drittanbieter-Apps, etwa Metatext oder Toot! auf iOS und Tusky auf Android. Pinafore ist eine sehr schlichte und flotte Progressive Web App. Über die Apps hinaus gibt es ein recht breites Sortiment an Anwendungen und Werkzeugen rund um Mastodon. Unter ct.de/yx23 finden Sie Links zu Verzeichnissen mit weiteren Werkzeugen.

Lieber tröten als zwitschern

Auch wenn es bei Mastodon wie bei Twitter um den Austausch von Kurznachrichten geht, ist der Gesamteindruck ein ganz anderer. Bei Mastodon gibt es keine polarisierenden (Quote-)Tweets, die der Algorithmus von Twitter Nutzern offenbar in die Timeline streut, um sie bei der Stange zu halten, keine Retweets- oder Likes-Zähler. Das Klima ist viel weniger aufgeheizt, sondern konstruktiv, hilfsbereit. Zeit, um auf das Urviech aufzusteigen. (jo@ct.de)

Erwähnte Tools: ct.de/yx23

Kommentare lesen (2 Beiträge)