c't 25/2022
S. 40
Aktuell
Mixed Reality
Bild: Wolfgang Groeger-Meier

Das Auto als Game-Controller

Die Motorsportsparte von BMW zeigt ihr Experiment „M Mixed Reality“

Ein reales Fahrzeug auf einer echten Straße als Mixed-Reality-Controller für virtuelle Autorennen? Klingt abgedreht, aber BMW hat genau das als Proof-of-Concept entwickelt. Der Nutzen bleibt unklar, aber Spaß hat die Probefahrt in der Mixed Reality auf jeden Fall gemacht.

Von Holger Bleich

Nichts ist immersiver als die Realität. So dachten wohl Ingenieure der BMW-Motorsportsparte „M“ und verkoppelten einen virtuellen Rennparcours mit echten Fahrzeugen aus Stahl. Heraus kam „M Mixed Reality“, das der Konzern am Rande der Websummit-Konferenz in Lissabon einige Journalisten erstmals ausprobieren ließ: Mit aufgezogener VR-Brille fuhren wir im Auto auf einer leeren Parkfläche einen virtuellen Parcours ab. Was von außen betrachtet unheimlich wirkte, funktionierte in der Praxis tatsächlich. Es kostete die meisten anwesenden Journalisten allerdings ein wenig Überwindung, sich auf das Experiment einzulassen.

Das Projekt ist ein Proof-of-Concept, weit weg von der Serienreife. Zum Einsatz kamen zwei Vorserienmodelle der 460 PS starken M2-Sportlimousine. Diese Fahrzeuge hat BMW umgerüstet: Der Fahrer trägt das Mixed-Reality-Headset XR-3 (Verkaufspreis: 6500 Euro). Diese Edel-Brille des finnischen Herstellers Varjo kann in Echtzeit und extrem hoher Auflösung reale mit zugespielten Bildern kombinieren. Der Clou im BMW-Setup: Den Parcours blendet das Headset nur auf den Fensterscheiben ein, den Innenraum des Fahrzeugs bildet das Gerät anhand seiner eingebauten Kameras live nach. Dadurch entsteht ein ungemein realer Eindruck der virtuellen Außenwelt.

Auf der Mittelkonsole des Cockpits verarbeitet ein Tracking-System des Weilheimer Herstellers ART (Advanced Realtime Tracking) die Fahrer-Bewegungsdaten. Diese sowie alle Fahrzeug-Sensordaten – beispielsweise die Position – laufen in einem Rechner auf, den BMW im Kofferraum verbaut hat und nicht zeigte. Es handle sich um einen „handelsüblichen Oberklasse-Gaming-PC“, versicherte Alexander Kuttner, BMW-M-Projektleiter Digital Driving. Bei der Entwicklung kam den Ingenieuren wohl die langjährige Kooperation mit Epic Games in anderen Bereichen zugute: Man konnte den Parcours mit der Unreal Engine realisieren.

Der Fahrer des realen Autos sieht im Headset ausschließlich den virtuellen Parcours, inklusive des in Echtzeit gerenderten Cockpits.
Der Fahrer des realen Autos sieht im Headset ausschließlich den virtuellen Parcours, inklusive des in Echtzeit gerenderten Cockpits.

Der PC projiziert den Parcours ins Headset. Es gilt, Hindernissen auszuweichen und Münzen einzusammeln. Im realen Experiment sollten die anwesenden Journalisten zunächst je drei Runden (jeweils weniger als eine Minute Fahrzeit) auf der virtuellen Rennstrecke drehen. Stets konnte man beobachten, dass die erste Runde von einer gesunden Skepsis gegenüber dem System geprägt war, bevor die Hemmungen fielen und das Gaspedal gedrückt wurde, bis die Reifen qualmten. Zur Sicherheit saß dem Journalisten stets ein Profifahrer von BMW M mit eigenem Bremspedal zur Seite.

Auto im Metaverse

Die berüchtigte „Motion Sickness“ blieb bei allen Probanden aus. Dass niemandem übel wurde, begründete Projektleiter Kuttner damit, dass man nicht nur das GPS-Signal einfließen lasse, „sondern auch sämtliche Bewegungen, die das Fahrzeug in sich tut“. Die Magie bestehe darin, alle Signale möglichst latenzarm abzugreifen und richtig zu interpretieren: „Weil wir möglichst wenig Differenz zwischen dem visuellen Signal und den vom Fahrer wahrgenommenen Bewegungen zulassen, stellt sich die Übelkeit nicht ein.“

Offen blieb, wie dieses Setup in konkrete Produkte einfließen könnte. „Wer die Frage stellt, wie künftige virtuelle Erlebnisse im Automotive-Sektor aussehen können: Das ist die Antwort“, erklärte BMW-M-Chef Frank van Meel recht unkonkret in Lissabon. Man könne sich aber einiges vorstellen, versicherte Projektleiter Kuttner. So sei es möglich, mit dem System ein virtuelles Fahrsicherheitstraining aufzusetzen. Oder man könne potenzielle Kunden ihr Fahrzeug in beliebigen, projizierten Umgebungen ausprobieren lassen. „Auf jeden Fall sind wir nun auch beim Metaverse dabei“, schmunzelte der Ingenieur.

Hinweis: BMW hat die Reisekosten des Autors zum Websummit übernommen. (hob@ct.de)

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