c't 24/2022
S. 3
Standpunkt

Adobes Midlife-Crisis

In der größten Akquise seiner Firmengeschichte hat Adobe den Screendesign-Dienst Figma übernommen. Er ist populär und ein scharfer Konkurrent von Adobe XD. Figma verdient allerdings wenig Geld. Am 15. September wurde der Preis für die Übernahme bekannt: 20 Milliarden US-Dollar, das 50-Fache des angepeilten Jahresumsatzes. In zwei Tagen fiel der Kurs der Adobe-Aktie um 100 Euro auf unter 300 Euro. Anscheinend möchte Adobe um jeden Preis Konkurrenten aus dem Weg räumen – koste es, was es wolle.

Adobe verdient weiterhin viel Geld, erzielte im dritten Quartal 2022 einen Rekordumsatz von 4,43 Milliarden US-Dollar. Allerdings sind die Zeiten der Quasi-Monopolstellung vorbei, die der Softwarehersteller nach der Übernahme von Macromedia lange Jahre innehatte (geschehen im Jahr 2005 für 3,4 Milliarden US-Dollar).

Immer mehr junge, frische Konkurrenten wie Figma betreten die Bühne. Der britische Softwarehersteller Serif verkauft sehr erfolgreich Affinity Photo, Affinity Designer und Affinity Publisher. Für jeweils 65 Euro als Einmalzahlung greift er drei Kernkompetenzen von Adobe an: Bildbearbeitung, Vektorgrafik und Schriftsatz. Dafür bekommt man gerade mal einen Monat die Creative Cloud. Auch etliche Raw-Entwickler wie DxO PhotoLab und Video-Editoren wie DaVinci Resolve machen in den Augen vieler Nutzer mittlerweile bessere Arbeit als die Adobe-Software. Für das Abomodell bekommt Adobe derweil immer noch Dresche aus der Community, zehn Jahre nach Umstellung.

Professionelle Grafiker abonnieren weiterhin Adobe für über 60 Euro im Monat. Das größte Argument dafür ist der weitgehend unkomplizierte Austausch über die von Adobe definierten Formatstandards. Private und semiprofessionelle Anwender setzen jedoch vermehrt auf Affinity. Die Produkte sind nicht nur ungleich günstiger, sie fressen auch um Größenordnungen weniger Arbeitsspeicher als die aufgeblähten Dinosaurier aus Mountain View.

Einst stand Adobe unangefochten auf dem Olymp der Kreativsoftware. Jetzt laufen jüngere Konkurrenten den einstigen Platzhirschen Lightroom, Photoshop oder Premiere Pro den Rang ab. Und Adobe kann sie nicht alle kaufen.

André Kramer
André Kramer

André Kramer

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