c't 23/2022
S. 172
Wissen
Online-Bewertungen

Kritische Bewertungen

BGH legt das Recht auf Meinungsäußerung für Bewertungen weit aus

Häufig streiten sich Käufer und Verkäufer zu kritischen Bewertungen auf Plattformen wie eBay und Google. Der Bundesgerichtshof musste nun entscheiden, wie weit die Meinungsfreiheit bei solchen Äußerungen reicht und wann die Grenze der zulässigen Kritik überschritten ist.

Von Joerg Heidrich
, Bild: Monika Skolimowska/dpa
Bild: Monika Skolimowska/dpa

Es sind harte Worte: „Ware gut, Versandkosten Wucher!!“ So bewertete der Käufer von vier Gelenkbolzenschellen die Abwicklung des Verkaufs über eBay. Seine Aussage zog eine juristische Auseinandersetzung nach sich, die im September dieses Jahres schlussendlich den Bundesgerichtshof (BGH) beschäftigte (Az.: VIII ZR 319/20). Das oberste Zivilgericht musste die Grenzen der Äußerungsfreiheit ausloten – im konkreten Fall darüber urteilen, ob ein Versandkostenanteil von 4,90 Euro an einer Gesamtkaufsumme von 19,26 Euro tatsächlich als Wucher bezeichnet werden darf.

Nachvollziehbar ist, dass sich Kunden über schlechten Service, überhöhte Preise oder arrogante Verkäufer beschweren wollen, um andere Kunden zu warnen. Gerade solche Äußerungen sind der Sinn und Zweck von Bewertungen auf Plattformen. Allerdings schlagen Bewerter dabei auch häufig über die Stränge, werden beleidigend oder behaupten Unwahrheiten.

Rezensionen verstoßen dann gegen geltendes Recht, wenn sie falsche Tatsachenbehauptungen enthalten, also Behauptungen, die man mit einem Tatsachenbeweis entkräften kann. Wenn also beispielsweise der Käufer eines Smartphone-Cases behauptet, dieses passe nicht zu seinem iPhone, obwohl es das sehr wohl tut, ist die Behauptung in seiner Bewertung offenkundig falsch und daher von der Plattform zu löschen.

Schmähkritik

Gerichte urteilen seit jeher bei angegriffenen Äußerungen sehr unterschiedlich, die Juristen als „Schmähkritik“ bezeichnen. Bei Schmähkritik geht es um Aussagen, die nicht in erster Linie der sachlichen Auseinandersetzung dienen, sondern eine Person oder ein Ding herabwürdigen oder diffamieren sollen. 2019 hat sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einem Urteil mit Abgrenzung der Meinungsfreiheit von der Schmähkritik beschäftigt (Az. 1 BvR 2433/17).

Dabei kam es zu dem Ergebnis, dass die Grenzen für zulässige Äußerungen sehr weit zu ziehen sind. Dem Beschluss zufolge kann es sogar zulässig sein, die Verhandlungsführung einer Richterin mit „nationalsozialistischen Sondergerichten“ und „Hexenprozessen“ in Verbindung zu bringen. Derlei Äußerungen hielt das BVerfG nicht für reine Schmähkritik, da sie in einem Ablehnungsgesuch gegen die Richterin getätigt wurde – und damit im Rahmen einer sachlichen Auseinandersetzung.

In der jetzt vom BGH entschiedenen „Wucher!!“-Sache waren die Vorinstanzen zu unterschiedlichen Entscheidungen gekommen. Das Amtsgericht (AG) Weiden (Oberpfalz) hat die auf Entfernung der Bewertung und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage des Verkäufers abgewiesen. Die strittige Äußerung erachtete der Richter als zulässiges Werturteil. Es weise einen Sachbezug auf, weil es in Zusammenhang mit den Versandkosten gestellt sei. Dies sah das Landgericht (LG) Weiden komplett anders und verurteilte den Beklagten dazu, die Bewertung zu entfernen und die Anwaltskosten zu begleichen.

Eine besondere Rolle spielen nach Ansicht der LG-Richter die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von eBay. Der Anbieter fordert darin, dass Bewertungen „sachlich gehalten sein“ müssen und „keine Schmähkritik enthalten“ dürfen. Bei der Bewertung handle es sich dem Gericht zufolge um eine „überspitzte Beurteilung ohne sachlichen Bezug“, die nicht gerechtfertigt sei. Insbesondere sei für einen objektiven Leser nicht erkennbar, warum sich die Versandkosten aus Sicht des Käufers als „Wucher“ darstellten.

Keine Diffamierung

Der BGH entschied in der Revision des vorinstanzlichen Urteils, dass der Verkäufer keinen Anspruch auf Entfernung der Bewertung hat. Insbesondere enthalte die Regelung der eBay-AGB keine Formulierung, die über allgemeine Grenzen der Schmähkritik hinaus strengere vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen festlege. Nach gängiger Rechtsprechung sei grundsätzlich auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik möglich, ohne Grenzen der Rechtswidrigkeit zu überschreiten.

Rechtswidrig wäre die Äußerung erst, wenn der Verkäufer als Person herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt würde. Daran fehle es jedoch in dem zu entscheidenden Sachverhalt. Entscheidend sei, dass sich der Beklagte – wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form – kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinandersetzt habe, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandete. Dies müsse er auch nicht mit einer Begründung versehen. Die Äußerung sei daher in dem konkreten Fall zulässig. (hob@ct.de)

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