c't 21/2022
S. 160
Wissen
Pixel-Adventure-Games
Bild: Rudolf A. Blaha

Pixel-Nostalgie

Wie in alten Zeiten? Adventure-Games

Sie sehen altbacken und überholt aus, begeistern aber Tausende Fans: aktuelle, pixelige Adventure-Games, die an die frühen 90er erinnern. Woher kommt diese Faszination?

Von Dominik Schott

Auf unserem Bildschirm sehen wir ein Pixelmännchen, das auf der Terrasse eines Restaurants steht und grübelt. Schwarzer Anzug und Krawatte, weißes Hemd, blasse Haut, dichtes dunkles Haar – so viel ist in den groben Grafikblöcken zu erkennen, aus denen die Spielwelt besteht. Um ihn herum: noch mehr Pixel, die sich mal zu Pflanzen, Tischen und Stühlen, mal zu anderen Passanten zusammensetzen. Fehlende Details muss die Vorstellungskraft ergänzen.

Ein Hauch von 90er Jahre liegt in der Luft, als die meisten Videospiele wegen technischer Limitierungen derart grobkörnig inszeniert waren: pixelig, wenige Details, irgendwie roh. Egal, ob Shooter, Rennspiel, Sportsimulation oder Abenteuer-Epos, wer damals spielen wollte, kam um die Pixelei nicht herum. „Lacuna“ sieht ganz so aus wie eins der Spiele von früher, ein Relikt aus den Anfangstagen des Mediums. Doch das Spiel erschien erst vergangenes Jahr, wurde mehrfach prämiert und von Fans hochgelobt: nicht trotz, sondern auch gerade wegen seines groben Pixel-Looks. Ein Beispiel von vielen für ein Phänomen der Spielwelt, das wortwörtlich aus der Zeit gefallen ist.

Zwischen Stilmittel und Nostalgie

„Lacuna“ müsste so nicht aussehen. Selbst mit den begrenzten finanziellen Möglichkeiten des kleinen sechsköpfigen Entwicklerteams (plus zwei Büro-Hunde) wären auch andere, vermeintlich zeitgemäßere Grafikstile umsetzbar gewesen: 3D, abstrakter Fiebertraum, surreale geometrische Formen, selbst zeitloser Fotorealismus standen zur Auswahl. Doch die beiden Hauptverantwortlichen Julian Colbus und Jasmin Pfeiffer entschieden sich bewusst für den Retro-Look, der im Fachjargon „Pixel Art“ genannt wird.

Im Gespräch mit c’t erklärt Colbus die Gründe für diese so wichtige Entscheidung: „Pixel Art ist für viele retro, aber darauf wollte ich persönlich nicht hinaus. Ich bin mit einem Game Boy Classic groß geworden und erinnere mich an die Zeiten, als Spiele Pixel Art haben mussten – aber ich bin kein nostalgischer Mensch. Für mich ist das eine Stilrichtung wie jede andere und sie gefällt mir einfach gut.“

Neben dem persönlichen Geschmack griff das Team aber auch noch aus anderen, gewichtigen Gründen zum Pixelblock, wie Colbus weiter erklärt: „Pixel Art ist relativ schnell und günstig zu produzieren, sie gefällt den Genre-Fans und sie lässt vor allem Raum zur Interpretation und Projektion durch den Rezipienten.“

Lacuna kleidet seine Kriminalspielwelt mit vielen Details aus, doch  bei der Mimik stößt der Pixel-Look an seine Grenzen. Sie ist schlicht nicht vorhanden. , Bild: DigiTales Interactive
Lacuna kleidet seine Kriminalspielwelt mit vielen Details aus, doch bei der Mimik stößt der Pixel-Look an seine Grenzen. Sie ist schlicht nicht vorhanden.
Bild: DigiTales Interactive

Was Colbus damit meint, lässt sich in fast jeder Szene von „Lacuna“ leicht nachvollziehen: Keine der Figuren hat Augen oder Mund, Mimik gibt es nicht in diesem Spiel, obwohl die dramatische Kriminalgeschichte eine so wichtige Rolle spielt. Von Fans werden die ausdruckslosen Gesichter aber nicht unbedingt als Makel, sondern als Leinwand für die eigene Interpretation und Vorstellung wahrgenommen – bis heute ein Grund für die Beliebtheit des Looks.

Während Entwickler wie Julian Colbus den groben Pixelblock nicht aus Nostalgiegründen, sondern als künstlerisches Stilmittel schätzen, gibt es aber auch viele Entwickler, die eben doch ganz bewusst den Grafikstil heraufbeschwören wollen, mit dem sie aufgewachsen sind. Zu ihnen zählt auch Gregor Müller, der Anfang dieses Jahres erfolgreich sein Spiel „The Casebook 1899“ auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter von Fans finanzieren lassen konnte. Sein Spiel dreht sich um einen Detektiv, der im Leipzig des Jahres 1899 knifflige Kriminalfälle lösen muss, lose basierend auf einer Buchreihe, die Müller selbst geschrieben hat.

Ein Grund für den Erfolg seines Spiels auf Kickstarter, wo er seine Idee bewerben konnte: die unverkennbare Ähnlichkeit zu den Genre-Vorfahren der frühen 90er Jahre. „Ich habe den Look, die Auflösung und auch einige Animationen sehr stark an Indiana Jones and the Fate of Atlantis (1992) angelehnt – eines meiner Lieblingsspiele. Da ich als Solo-Entwickler absolut unabhängig bin, kann ich das Spiel machen, das ich immer spielen wollte“, erklärt Müller im Gespräch mit c’t: „Ich wünschte, ich wäre mit einem Spiel aufgewachsen, das so ausgesehen hätte wie meines, während es gleichzeitig die teilweise sehr modernen Gameplay-Elemente beinhaltet.“

Sonderfall Point-&-Click-Adventure

Und ganz offensichtlich ist Gregor Müller mit diesen nostalgischen Gefühlen nicht allein. Es gibt eine große Zielgruppe, die Anfang der 1990er Jahre mit Spielen wie „Indiana Jones“ aufgewachsen ist – und den Pixel-Look mit schönen Erinnerungen an die Kindheit verbindet. Das beobachtete Müller, als er zuletzt sein Spiel auf einer Messe ausstellte: „Der Art-Style löst in Spielern, die in meinem Alter und älter sind, sofort eine unglaublich emotionale Reaktion aus. Für das Marketing muss ich eigentlich gar keine Worte mehr finden. Wenn man auch nur einen oder zwei Screenshots aus dem Spiel sieht, weiß man sehr genau, was einen erwartet.“ Nämlich ein Point-&-Click-Adventure der alten Schule. Und das scheint der wichtigste Grund zu sein, warum Spiele wie „Lacuna“ oder „Casebook 1889“ bis heute ein so leidenschaftliches Publikum für sich erobern können. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, hilft eine kurze Zeitreise.

Kreativer Workaround: Höher aufgelöste Zwischensequenzen zeigen in „Lacuna“ zusätzliche Details der Spielwelt, die in der Pixelgrafik fehlen., Bild: DigiTales Interactive
Kreativer Workaround: Höher aufgelöste Zwischensequenzen zeigen in „Lacuna“ zusätzliche Details der Spielwelt, die in der Pixelgrafik fehlen.
Bild: DigiTales Interactive

Anfang der 1990er beleben die sogenannten Point-&-Click-Adventures die Bildschirme hunderttausender Fans weltweit. Der Name dieser Spiele ist Programm: Man blickt von der Seite in die Spielwelt hinein, in der sich die Figuren wie auf einer sehr schmalen Theaterbühne zweidimensional von links nach rechts und von rechts nach links bewegen. Mithilfe des Mauszeigers werden die Helden und Heldinnen durch ihre Abenteuer geschickt, sie sammeln Genre-typisch Gegenstände, verstauen sie in ihrem Inventar und kombinieren sie schließlich zu neuen Gegenständen, mit denen dann mal mehr, mal weniger skurrile Rätsel gelöst werden.

Damals beherrschten vor allem Sierra und Lucas Arts Games den Markt, die bis in die späten 1990er hinein Klassiker um Klassiker veröffentlichten: die mehrteilige Reihe King's Quest, Monkey Island, Day of the Tentacle, Maniac Mansion, Sam & Max – die Liste ist lang, sie alle teilten sich aber bestimmte Gemeinsamkeiten: Wortwitz und Humor, charmante Spielwelten und eben grobe Pixel.

Die einstige technische Notwendigkeit ist heute willkommenes Einfallstor ins Land der Nostalgie und davon profitieren Entwickler wie Colbus und Müller. Und doch birgt der vermeintlich leicht zu bändigende, weil wenig aufwendige Grafikstil eigene technische Herausforderungen.

Point-&-Click-Adventures der frühen 1990er Jahre:  Kultklassiker wie Monkey Island gelten bis heute als Goldstandard des Genres., Bild: LucasArts
Point-&-Click-Adventures der frühen 1990er Jahre: Kultklassiker wie Monkey Island gelten bis heute als Goldstandard des Genres.
Bild: LucasArts

Inszenatorischer Albtraum

„Ursprünglich dachten wir, dass der Pixel-Look leichter umzusetzen ist als andere Art-Styles, aber das hat sich nicht bewahrheitet.“ So fasst Jasmin Pfeiffer die mehrjährige Entwicklung von „Lacuna“ zusammen, als wir im Interview nach den größten Herausforderungen von Pixel Art fragen. Denn von denen gibt es reichlich, wie Julian Colbus ergänzt: „Wenn man ein Spiel wie Lacuna macht, in dem die Figuren recht klein auf dem Bildschirm sind, stehen einem sehr viele Mittel nicht zur Verfügung, derer sich andere Spiele wie auch Serien und Filme bedienen können. Wir haben nur eine einzige Kameraeinstellung, wir können den Blick viel schlechter lenken oder Gesichter und andere Details an den Charakteren fokussieren.“

Um die fehlenden Möglichkeiten der Inszenierung mit verschiedenen Kameraperspektiven auszugleichen, muss das kleine Team sich andere Kniffe einfallen lassen. Nur auf die Nostalgie der Fans wollen sich die Entwickler nämlich nicht verlassen, wie Colbus ausführt: „Deshalb müssen wir uns vieler anderer Mittel bedienen, um die Geschichte persönlicher und die Charaktere lebendiger zu machen: zum Beispiel mit Voice-Over-Monologen und detaillierten Porträts mit verschiedenen Gesichtsausdrücken in den Dialogen.“

„Casebook 1899“ lässt Charaktere immerzu kommentieren, was sie sehen und tun. Das liefert notwendige Informationen, die der grobe Pixelstil verschlucken könnte. , Bild: Gregor Müller
„Casebook 1899“ lässt Charaktere immerzu kommentieren, was sie sehen und tun. Das liefert notwendige Informationen, die der grobe Pixelstil verschlucken könnte.
Bild: Gregor Müller

Neben den inszenatorischen Einschränkungen hatte insbesondere Jasmin Pfeiffer während der Entwicklung noch mit ganz anderen Hürden zu kämpfen: „Die größte Herausforderung für meine Zuständigkeitsbereiche, Game und Narrative Design, liegt in der Schwierigkeit, kleine Gegenstände oder Details darzustellen. ‚Lacuna‘ ist ein Detektivspiel, in dem häufig ein Tatort untersucht und herausgefunden werden muss, was geschehen ist. Da die Beweisstücke und Hinweise nur aus wenigen Pixeln bestehen, müssen wir sie dem Spieler beschreiben, damit er sie für seine Ermittlungen benutzen kann.“ Details in den Gesten oder der Körpersprache der Charaktere, so Pfeiffer weiter, können mit Pixel Art nicht abgebildet werden – ganz im Gegensatz zum Film, der diese Stilmittel als Möglichkeit für nuanciertes Erzählen nutzen könne.

Auch Gregor Müller kennt diese Probleme, die typisch für Pixel Art sind: „Alle Assets in Casebook 1899 sind auf eine Bildschirmauflösung von 320 × 200 Pixeln ausgelegt. Da muss man natürlich aufpassen, dass alles klar und lesbar bleibt. Ich löse das, indem ich den Spielercharakter alles kommentieren lasse: Wenn er eine Schublade öffnet, sagt er das auch so. Manchmal ist das natürlich redundant, aber das ist besser, als wenn der Spieler nicht weiß, was passiert.“

Ein weiteres Problem der niedrig aufgelösten Pixel-Adventures: Wenn man einen bestimmten Gegenstand für die Lösung eines Rätsels sucht – ihn aber einfach nicht erkennen kann. Damals wie heute frustrierend, wie Müller weiß: „Das Ganze darf nicht zur reinen Pixeljagd verkommen, wo man auf dem Bildschirm herumklickt, bis man zufällig genau das richtige Pixel trifft. Da habe ich mich für ein Hotspot-System entschieden, wie es ja eigentlich mittlerweile in diesen Spielen seit Jahren üblich ist.“ Dabei wird der Bereich in einer Szene, mit dem man interagieren kann, durch ein Leuchten kenntlich gemacht, sobald man ihn mit dem Mauszeiger berührt. Außerdem stehe dem Protagonisten immer ein Begleitcharakter zur Seite, der auf Wunsch hilfreiche Tipps und Hinweise gibt. Die Suche nach der Nadel im Pixelhaufen soll so wesentlich erträglicher werden.

Gespräche im Spiel zeichnen ein feineres Bild der Charaktere: Diese Lösung ist effektiv, kostet aber viel Zeit, Mühe und Geld in der Produktion., Bild: DigiTales Interactive
Gespräche im Spiel zeichnen ein feineres Bild der Charaktere: Diese Lösung ist effektiv, kostet aber viel Zeit, Mühe und Geld in der Produktion.
Bild: DigiTales Interactive

Eine Frage der Technik

Auf den ersten und auch zweiten Blick ähneln sich „Lacuna“ und „Casebook 1899“ stark, allerdings greifen beide Spiele auf zwei völlig unterschiedliche technische Grundgerüste zurück. Da wäre einmal Gregor Müller, der als Autodidakt an einer der gängigsten Engines scheiterte: „Ich habe mir am Anfang der Entwicklung ein wenig Zeit genommen und verschiedene Engines ausprobiert. Nach etwa einer Woche habe ich mich zwar gefreut, dass ich in Unity ein Viereck von rechts nach links bewegen kann, wusste aber, dass ich in dieser Geschwindigkeit kein Spiel fertig bekommen werde.“

Erlösung fand der Programmierneuling, der eigentlich Archäologie und Geschichte studiert hat, in dem Programm Visionaire Studio, einem Editor für die Programmiersprache Lua: „Grundlegende Funktionen sind extrem einfach zu bedienen, die meisten von ihnen gelingen auch ohne eine einzige Zeile Programmcode. Dank einiger YouTube-Tutorials und der extrem hilfreichen Community ist Visionaire Studio unglaublich einsteigerfreundlich. Viele sagen ja immer, sie würden auch gern ein Spiel machen, haben aber Angst vor dem Programmieren. Denen kann ich nur empfehlen, Visionaire einmal auszuprobieren.“

Auch Casebook 1899 nutzt Pixel Art, baut allerdings auf einer grundsätzlich anderen Technik auf als Lacuna. Die Hürden für den Entwickler bleiben aber die gleichen. , Bild: Gregor Müller
Auch Casebook 1899 nutzt Pixel Art, baut allerdings auf einer grundsätzlich anderen Technik auf als Lacuna. Die Hürden für den Entwickler bleiben aber die gleichen.
Bild: Gregor Müller

Julian Colbus macht indes den Eindruck, als hätte er diesen Ratschlag von Gregor Müller gern gekannt, bevor er mit der Arbeit an „Lacuna“ begann. Denn Colbus und sein Team entschieden sich zwar für die viel genutzte Engine Unity, waren aber von der Komplexität und Größe des Baukastens bald gestresst: „Das Tool ist durchaus zugänglich, aber wenn man täglich professionell damit arbeitet, geht es einem oft auf die Nerven, vor allem bei dem recht hohen Abo-Preis.“

Seine Kollegin Jasmin Pfeiffer musste ebenfalls viel mit Unity arbeiten und lobt zwar die hilfreichen Tutorials und Automatismen, die in Unity grundlegende Arbeitsschritte vereinfachen, musste aber auch ein paar nervige Schlachten gegen die Engine schlagen: „Wenn man etwas programmieren will, was auf die Bedürfnisse des eigenen Spiels zugeschnitten ist, muss man häufiger Workarounds finden oder eigene Systeme implementieren. Auch Bugs und technische Probleme, die über lange Zeiträume nicht behoben werden, stellen ein häufiges Problem dar.“

Gern unterschätzt

Die beiden sind stolz auf das, was sie mit „Lacuna“ geschafft haben, aber der Weg war steinig – eben auch, weil sich das Team für Pixel Art und die Unity-Engine entschieden hat, wie Colbus resümiert: „Alles in allem muss ich sagen, dass Spieleentwicklung unfassbar schwierig ist. Man muss sich in sehr vielen, sehr unterschiedlichen Bereichen auskennen, vom Künstlerischen über das Technische bis zum Menschlichen, um irgendwie über viele Jahre hinweg eine Idee zum spielbaren Kunstwerk zu machen.“

„Jedes Mal“, so Colbus weiter, „wenn ein Spiel irgendwie über die Ziellinie geschoben wird, ist das ein kleines Wunder, auf das man stolz sein sollte.“ Gerade im Vergleich zu grafisch beeindruckenden Spielen an der Grenze zum Fotorealismus hängt Point-&-Click-Adventures mit Pixel-Look der Ruf nach, uninspirierte „Cashgrabs“ zu sein: gezieltes Melken der Fan-Geldbeutel, die mit Nostalgie und wohligen Kindheitsgefühlen manipuliert werden. Die Realität könnte davon allerdings nicht weiter entfernt sein.

Die Geschichten von Julian Colbus, Jasmin Pfeiffer und Gregor Müller legen Zeugnis über die Schwierigkeiten ab, mit denen sich Entwicklerteams herumschlagen müssen, wenn sie sich für Pixel Art entscheiden. Fehlenden Spielraum für abwechslungsreiche Inszenierung müssen sie mit innovativen Ideen ausgleichen. Mangelnder Detailgrad mag retro sein, kostet aber auch Lesbarkeit und Orientierung im Spiel oder kann im schlimmsten Fall Rätsel unlösbar machen. Spieleentwicklung ist nicht leicht – und selbst hinter den gröbsten Pixelblöcken steckt eine ganze Menge Arbeit. (lmd@ct.de)

Links zu den Spielen & Videos: ct.de/y3ak

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