c't 19/2022
S. 38
Aktuell
Digitalisierung der Verwaltung
Bild: Sven Hoppe/dpa

Hiergeblieben!

Bundesländer gegen Online-Kirchenaustritt

Landauf, landab predigen Politiker eine digitale, bürgerfreundliche Verwaltung. Doch der Kirchenaustritt soll fast überall analog und kompliziert bleiben, wie eine c’t-Umfrage unter den Bundesländern ergab.

Von Christian Wölbert

Dass überregionale Zeitungen auf ihrer Titelseite über die Digitalisierung der Verwaltung berichten, kommt selten vor. Mitte Juli war es mal wieder so weit: „Wüst blockiert digitalen Kirchenaustritt“, meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf Seite eins. Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen sperre sich gegen die nötige Gesetzesänderung. Ein Aufreger, selbst für die konservative FAZ.

Schließlich singen Politiker sonst das Hohelied der Digitalisierung. „Verwaltungsprozesse wollen wir medienbruchfrei vollständig digitalisieren“, geloben CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag für NRW. Im Online-Zugangsgesetz (OZG) haben Bund und Länder sich sogar verpflichtet, bis Ende 2022 rund 580 Verwaltungsleistungen ins Netz zu stellen – auch den Kirchenaustritt. Mancherorts warten Austrittswillige derweil monatelang auf einen Termin beim Amtsgericht.

All das ficht Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) nicht an. Digitalisieren müsse man nur dort, wo rechtlich möglich, sagte ein Regierungssprecher gegenüber c’t. Das Landesrecht erlaube keine digitale Form, und daran werde man auch nichts ändern.

Wüsts Weigerung besitzt bundesweite Relevanz. Denn NRW hat im Rahmen der OZG-Umsetzung das Themenfeld „Engagement & Hobby“ übernommen, zu dem der Kirchenaustritt gehört. Das bedeutet: NRW soll einen Onlinedienst entwickeln, den andere Bundesländer übernehmen können.

Allerdings müssten die anderen Länder die Software auch wirklich haben wollen. Außerdem dürfen Länder und Kommunen auch parallel programmieren – niemand muss auf Verweigerer wie NRW warten. c’t hat deshalb alle 16 Landesregierungen zu dem Thema befragt.

Das Ergebnis: Nicht nur in NRW, sondern fast überall ist ein Onlinedienst aktuell nicht möglich, weil Landesrecht die persönliche Vorsprache oder eine schriftliche Erklärung „in öffentlich beglaubigter Form“ verlangt. In letzterem Fall muss man in Gegenwart eines Notars unterschreiben. Zu den Gebühren für den Austritt selbst (NRW: 30 Euro) kommen dann noch rund 20 Euro hinzu.

Fast alle Länder wollen ihre entsprechenden Gesetze auch nicht ändern – obwohl Rechtsanpassungen bei OZG-Projekten durchaus üblich sind. Die Ablehnung geht quer durch alle Lager: Sogar Thüringen, wo Linke, SPD und Grüne regieren, legt die Hände in den Schoß.

Das CDU-geführte hessische Kultusministerium erinnerte im Juli alle Kommunen im Lande daran, dass die „vollständig digitale Erklärung des Austritts“ illegal ist und bleibt. Eventuelle Modellprojekte seien „rechtzeitig mit mir abzustimmen“, warnt der zuständige Referent in dem Rundschreiben.

Nur Berlin plant Onlinedienst

Einzig das Land Berlin will aus der Phalanx der Kirchentreuen ausscheren: „Die Koalition ändert das Kirchenaustrittsgesetz, um Austritte im Onlineverfahren zu ermöglichen“, heißt es im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linken. Passiert ist aber noch nichts. Man prüfe „Voraussetzungen, Möglichkeiten und Vorgehensweise“, sagte eine Senatssprecherin.

Ein Sonderfall ist Brandenburg: Dort wäre ein Onlinedienst rechtlich möglich. Doch programmiert wird in Potsdam deshalb noch lange nicht. Man müsse „schon aus finanziellen Gründen“ erst prüfen, ob eine Zusammenarbeit mit anderen Ländern möglich sei, sagte ein Regierungssprecher.

Gründe für ihre Verweigerungshaltung nennen nur wenige Länder. Der Standesbeamte habe „sich bei der Entgegennahme der mündlichen Erklärung Gewissheit über die Person des Erklärenden zu verschaffen und die Erklärung auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen“, meint das bayerische Kultusministerium. Als gebe es nicht für genau diesen Zweck den E-Perso. Dieser wird vom Staat ansonsten fast für alle Verfahren akzeptiert, auch dann, wenn es um Geld geht, etwa bei BAFöG-Anträgen, oder um Dokumente wie den Führerschein.

Mecklenburg-Vorpommern argumentiert mit der angeblich geringen Nachfrage: Es gebe Anträge, „die deutlich mehr Menschen in unserem Bundesland betreffen“. Aber zumindest bundesweit sind die Zahlen beachtlich: 2021 traten 640.000 Menschen aus der katholischen oder evangelischen Kirche aus – ähnlich viele Menschen, wie BAFöG empfangen. Das Ausbildungsgeld kann man mittlerweile bundesweit digital beantragen. (cwo@ct.de)

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