c't 19/2022
S. 3
Standpunkt

Metaverse: Realitätsverlust trifft Gier

Goldgräberstimmung in der deutschen IT-Industrie: Der Bitkom hat entdeckt, im Metaverse, da steckt das große Geld. In virtuellen Welten und bunten NFT-Hüten für virtuelle Avatare. Auf 83 Seiten erklärt der Verband in seinem Wegweiser (zum Download über ct.de/y5v7), dass man das auf keinen Fall verpassen dürfe – es wird groß. Und bunt. Dieselbe Digitalindustrie, die seit Jahrzehnten mit elementaren IT- und Security-Problemen in der 2D-Computerwelt kämpft und schon heute personell am Limit ist, wähnt sich sicher: In zehn Jahren wandeln wir in 3D-AR-VR-Welten. Und dort wird dann in 3D kreiert und vor allem fleißig konsumiert.

Unterhaltsame Urlaubslektüre ist das Bitkom-Dokument, weil alles zusammenkommt, was eine gute Geschichte ausmacht: Angst, Gier, großes Geld und eine noch größere Portion Realitätsverlust. Wie Dallas, nur mit digitalem Gedöns statt Öl. Unverhohlen schreiben die Bitkom-Texter da von den Segnungen der Plattformökonomie und deren Weiterentwicklung dank NFTs, als sei das etwas Erstrebenswertes – so als hätten sie verdrängt, dass deren Ansehen doch stark gelitten hat.

Als eins der Beispiele für NFT-Erfolg aus Deutschland packt der Bitkom dann Adidas aus. Die verkaufen virtuelle Turnschuhe für den eigenen 3D-Avatar an Kunden, die sonst schon alles haben. Dass ausgerechnet Adidas im Geschäft mit digitalem Nippes mitmischt, ist nur konsequent, besteht das Geschäftsmodell des Konzerns doch seit Jahrzehnten darin, für wenige US-Dollar-Cents in Asien Synthetik-Schlappen fabrizieren zu lassen, um selbige dann mit fetten Margen an Fans und Enthusiasten zu verkaufen. Und nur eine Ware ist noch billiger als billigstes Textil aus Fernost: In Produktion und Entwicklung fast kostenlose, weil beliebig klonbare Turnschuh-NFTs. 

Dabei geht es bei den Metaverse-Ideen um mehr als um windige NFT-Geschäfte. Woraus die Ideen bestehen und was man heute schon ausprobieren kann, lesen Sie ab Seite 116. Was der Bitkom noch lernen muss: Bevor man das Fell des Bären verteilen kann, muss man ihn erst mal erlegen. Bis zu einer plattformunabhängigen 3D-VR-Welt, in der Geld verdient wird, ist es noch ein weiter Weg – mit jeder Menge Problemen aus der 2D-Computerwelt.

Jan Mahn
Jan Mahn

Jan Mahn

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