c't 18/2022
S. 40
Aktuell
TikToks unheimlicher Erfolg

TikTokisierung

Google, Instagram, YouTube, Facebook: TikToks riesiger Erfolg treibt die Konkurrenz um

Die Facebook-Mutter Meta und der Google-Konzern Alphabet sind gezwungen, an ihren Diensten herumzuschrauben, um an den Erfolg der Kurzvideo-Plattform TikTok anzuknüpfen. Der Nutzen mancher Neuerung ist aus Anwendersicht allerdings zweifelhaft.

Von Jo Bager

Meta hat Ende Juli die Mobil-App seines sozialen Netzwerks Facebook umgebaut. Wichtigstes neues Element ist seitdem der sogenannte Home-Tab. Damit treibt Meta eine Entwicklung auf die Spitze, die bereits in der Vergangenheit bewirkt hat, dass Nutzer in ihrem Facebook-Newsfeed immer weniger Posts von ihren „Freunden“ gesehen haben.

Wenn ein Nutzer die App öffnet, präsentiert sie ihm stattdessen noch mehr Inhalte von Accounts, denen er nicht folgt. Dazu zählen auch viele Reels – kurze, sich endlos wiederholende Videos. Damit die Inhalte im Home-Tab zu den Interessen des Nutzers passen, wertet eine KI laut Facebook „Tausende von Signalen“ aus. Wird etwa ein Reel in kurzer Zeit von vielen Menschen kommentiert, steigen seine Chancen, in vielen Home-Tabs zu erscheinen. Im Home-Tab können Nutzer zudem selbst Beiträge, Reels und Stories erstellen.

Neben dem Home-Tab hat die App mit dem Redesign auch einen neuen Feeds-Tab erhalten. Er zeigt dem Nutzer nur Posts an, die von seinen Freunden, Seiten und Gruppen stammen. In den Feeds-Tab muss man aber von Hand wechseln, die App startet immer im Home-Tab.

Man muss nicht lange scrollen in Facebooks Home-Tab, schon fühlt man sich in TikTok hineinversetzt.
Man muss nicht lange scrollen in Facebooks Home-Tab, schon fühlt man sich in TikTok hineinversetzt.

Dass sich diese Beschreibung des Home-Tabs kaum von der der TikTok-App unterscheidet, ist kein Zufall. Die App der chinesischen Kurzvideoplattform ist ein Riesenerfolg und droht, Facebook und Instagram, aber auch anderen großen Plattformen den Rang streitig zu machen.

Meta unter Druck

Zwar hat Meta mit Facebook, Instagram, Messenger und WhatsApp insgesamt mehr als drei Milliarden Nutzer – deutlich mehr als TikTok mit gut einer Milliarde. TikTok wächst aber viel schneller als Facebooks Dienste und ist vor allem bei den Nutzern in der Altersgruppe der 15- bis 25-Jährigen sehr beliebt.

Bei der Nutzerbindung verweist TikTok viele Konkurrenten bereits heute auf die Plätze. So verbringen Anwender laut den Zahlen des Marktforschungsunternehmens Sensor Tower täglich 95 Minuten in der TikTok-App. Zum Vergleich: Bei YouTube sind es nur 74, bei Instagram 51 und bei Facebook 49 Minuten.

TikToks Erfolg ist einer der Gründe, aus denen der einst erfolgsverwöhnte Meta-Konzern unter Druck steht. 36 Prozent weniger Nettogewinn musste Meta für das zweite Quartal 2022 melden. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet unter Berufung auf ein internes Meta-Memo, dass bestimmte Positionen unbesetzt bleiben sollen. Außerdem werde der Leistungsdruck erhöht, um Angestellte auszusortieren, die nicht in der Lage seien, „aggressivere Ziele“ zu erreichen.

Als weitere Maßnahme baut Meta die Funktionen von TikTok in seinen Diensten nach, auch bei Instagram. Schon vor einigen Monaten hatte Instagram Kurzvideos eingeführt, Reels. Bislang fanden sich diese allerdings in einem eigenen Reiter, getrennt von den anderen Inhalten auf der Plattform. Im Juli integrierte Instagram die Kurzvideos dann in den Newsfeed. Genau wie TikTok zeigte die App außerdem ihren Nutzern vermehrt Inhalte von Konten an, denen sie gar nicht folgen.

Auch Alphabet reagiert

Meta ist nicht das einzige Unternehmen, das den Einfluss von TikTok zu spüren bekommt, sondern auch Alphabet mit seinen Diensten Google Suche, Google Maps und YouTube ist betroffen. Der Konzern hatte bereits 2021 auf TikTok reagiert und seinen Videodienst um das stark von TikTok inspirierte YouTube Shorts erweitert sowie TikTok- (und Instagram-) Inhalte in seiner Suchmaschine berücksichtigt.

Junge Menschen kommen trotzdem immer seltener auf die Idee, bei Google zu suchen. Das erklärte der Google-Manager Prabhakar Raghavan auf einer Konferenz. Wenn sie etwa nach einem Restaurant suchten, öffneten 40 Prozent der jungen Nutzer nicht Google Maps oder die Google-Suche, sondern TikTok oder Instagram. Das hätten Studien von Google ergeben, zu denen auch eine Umfrage unter 18- bis 24-Jährigen in den USA gehöre.

Laut Raghavan bevorzugen junge Menschen allgemein „visuell reichhaltigere Formen“ der Suche. Als Negativbeispiel nannte er Google Maps, dessen Aussehen auf gedruckten Karten basiere – einem Medium, mit dem junge Menschen kaum noch in Kontakt kämen.

Googles Suchmaschine findet TikTok-Videos, wenn man den Begriff „tiktok“ in die Suchanfrage aufnimmt. Vor allem junge Leute suchen dennoch lieber direkt bei TikTok.
Googles Suchmaschine findet TikTok-Videos, wenn man den Begriff „tiktok“ in die Suchanfrage aufnimmt. Vor allem junge Leute suchen dennoch lieber direkt bei TikTok.

News und Musik

Sogar über das Weltgeschehen informieren junge Menschen sich inzwischen bei TikTok. Das zeigen Studien der britischen Medienaufsicht und des Reuters Institute Digital News Report 2022. Laut den Zahlen der Reuters-Studie nutzen weltweit bereits 15 Prozent der 18- bis 24-Jährigen TikTok für News.

In der Reuters-Studie reicht der Marktanteil von TikTok nicht an die anderer Onlinedienste wie Facebook, YouTube und Instagram heran. Aber auch in diesem Markt gilt: TikTok wächst am schnellsten.

Hunderttausende wollten ein Instagram zurück, das nicht versucht, so zu sein wie TikTok – mit Erfolg.
Hunderttausende wollten ein Instagram zurück, das nicht versucht, so zu sein wie TikTok – mit Erfolg.

Kopier-Widerstand

TikTok ist der Online-Player der Stunde. Dem Erfolg des rasant wachsenden Dienstes können sich auch die Online-Granden nicht entziehen. Allerdings fällt ihnen außer „Nachmachen“ nicht viel ein. Facebook zum Beispiel treibt seine Anleihen beim stilprägenden Kurzvideodienst fast bis zur Selbstaufgabe.

Meta ist sich dessen offensichtlich bewusst, sonst hätte der Konzern parallel zum Home-Tab nicht auch den Feeds-Tab eingeführt, der offenbar Facebook-Traditionalisten besänftigen soll. Und damit Facebook-Nutzer originäre Videos hochladen und nicht bereits bei TikTok veröffentlichte Filmchen zweitverwerten, hat sich Meta ein Bonusmodell ausgedacht: 20 Prozent der Werbeeinnahmen winken Usern, die Videos mit Facebook-lizenzierter Hintergrundmusik hochladen. Ob die Nutzer die Neuerungen akzeptieren, muss sich aber erst noch zeigen.

Bei Instagram jedenfalls hat Meta überzogen. Insbesondere Fotokünstler sind gegen die Integration von Videos auf die Barrikaden gegangen. Sie befürchteten, dass ihre Werke in einem Video-Newsfeed nicht mehr die angemessene Beachtung finden würden und starteten die Petition „Make Instagram Instagram again“. Kurz nachdem sich die Top-Influencerin Kylie Jenner der Petition angeschlossen hatte, verkündete der Instagram-Chef Adam Mosseri eine Rücknahme der Neuerungen – vorerst. (jo@ct.de)

Studien zum Nachrichtenkonsum: ct.de/y75r

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