c't 15/2022
S. 118
Wissen
Sportstreaming

„Harter Verdrängungswettbewerb“

Sportwissenschaftler Marcel Fahrner im Interview über die Entwicklungen am Sportstreaming-Markt

Sportwissenschaftler Marcel Fahrner beobachtet einen harten Konkurrenzkampf im Sportstreaming-Markt. Den noch werden Fans weiterhin mehrere Abos abschließen müssen, um alle Spiele ihrer Mannschaft zu sehen, prognostiziert Fahrner und erklärt, warum DAZN in der jungen Zielgruppe an Attraktivität verloren hat.

Von Robin Brand

Marcel Fahrner lehrt und forscht am Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen. Er beschäftigt sich vor allem mit Fragen der Sport Governance sowie der medialen und werblichen Verwertung von Sport. Im Interview erklärt er, warum im Fußball die Zeiten immer neuer Rekordsummen für Übertragungsrechte vorerst vorbei sind und warum es kein Zurück zu mehr Sport auf einer Plattform geben wird.

c’t: Herr Fahrner, früher haben die Öffentlich-Rechtlichen und vielleicht ein Privatsender gereicht, um Fußball zu schauen, heute braucht man etliche Abos. Warum?

Dr. Marcel Fahrner: Ursächlich sind im Wesentlichen zwei Triebfedern: Zum einen die originären Rechteinhaber – also beispielsweise die UEFA für die Champions League oder die DFL für die Bundesliga –, die vor allem an der Maximierung ihrer Erlöse interessiert sind. Das ist nicht neu, aber zum anderen stoßen seit einigen Jahren neue Rechteverwerter in den Markt: DAZN, Telekom oder Amazon – jüngst S Nation Media. Das hat die Rechteinhaber in die Lage versetzt, ihre Rechte in exklusive Pakete aufzusplitten und somit insgesamt höhere Verwertungserlöse zu erzielen.

Sportwissenschaftler Dr. Marcel Fahrner forscht und lehrt an der Universität Tübingen., Bild: Jäckle
Sportwissenschaftler Dr. Marcel Fahrner forscht und lehrt an der Universität Tübingen.
Bild: Jäckle

c’t: Ist das die alleinige Erklärung dafür, dass die Kosten für Sportrechte in den vergangenen Jahren dermaßen explodiert sind?

Fahrner: Ich denke schon, dass es am verschärften Wettbewerb zwischen den Rechteverwertern liegt, und dass mit exklusiven Sportrechten in besonderer Weise Kunden gebunden und Sender-Images kreiert werden können. Mediale Sportrechte sind ein sehr teures, aber auch sehr werthaltiges Gut für die Rechteverwerter. Die Steigerung bei den Fußball-Bundesliga-Rechten von 16/17 zur Verwertungsperiode bis 20/21 war plus 85 Prozent, von rund 600 Millionen auf 1,1 Milliarden Euro. Zuletzt hat es sich auf diesem hohen Niveau stabilisiert. Das kann ein Corona-bedingter Einmaleffekt gewesen sein, aber möglicherweise ist auch ein gewisser Sättigungsgrad erreicht. Die Dynamik, die den Markt in den 2010er-Jahren ausgezeichnet hat, scheint zumindest vorerst vorbei.

c’t: Reichen Imagepflege und Kundenbindung als Argumente für die Streaminganbieter, solche Summen zu investieren? Können zahlende Kunden allein das refinanzieren?

Fahrner: Man kann man mit einiger Sicherheit sagen: Keiner der Anbieter ist in der Lage, diese Rechtekosten zu refinanzieren. Alleinige Ausnahme dürfte Amazon Prime mit seinem datengestützten Geschäftsmodell sein. Wenn der Fußballfan am Dienstagabend auf der Plattform Champions League schaut, ist er genau dort, wo Amazon ihn haben will. Er hinterlässt Datenspuren und nimmt auf der Plattform möglicherweise Services in Anspruch oder kauft Produkte, die er sonst mangels Gelegenheit vielleicht nicht – oder eben nicht hier – kaufen würde.

c’t: Wie lange können das DAZN oder Sky durchhalten? Was bedeutet es, dass mit DAZN der wichtigste Anbieter mal eben seine Preise verdoppelt?

Fahrner: Das zeigt, dass dort offensichtlich mit mehr Neukunden kalkuliert wurde. Ich denke, DAZN hatte eine andere Vorstellung davon, wie zugkräftig die Champions League ist. In der Vergangenheit hatten die Verantwortlichen noch genau solche Preiserhöhungen ausgeschlossen. Aber unter strategischen Gesichtspunkten macht es für neue Anbieter natürlich Sinn, über niedrige Preise schnell substanzielle Marktanteile anzustreben. Schon mit den früheren Preisanpassungen hat DAZN meines Erachtens aber bei den jungen Zielgruppen an Attraktivität eingebüßt. Hinzu kommt sicherlich ein pandemiebezogener Effekt: Bei vielen Fans scheint die emotionale Bindung zum Profifußball schwächer geworden zu sein, weil die ökonomischen Interessen der Klubs stark in den Vordergrund gerückt sind – oder weil sie sich als Reaktion auf die Kontaktbeschränkungen der vergangenen zwei Jahre alternative Freizeitaktivitäten erschlossen haben.

c’t: Sind bei anderen Sportarten ähnliche Kostensteigerungen zu beobachten?

Fahrner: In den anderen Teamsportarten spielen die Medienerlöse eine geringere Rolle. Die Profi-Handballer oder -Basketballer sind in viel stärkerem Maße auf die Spieltagserlöse vor Ort angewiesen. Die Übertragungsrechte für die Olympischen Spiele hat Discovery erworben, aber das IOC gibt zum Beispiel vor, dass 200 Sendestunden von den Sommerspielen frei empfangbar sein müssen.

c’t: Wenn Sportarten nur noch im Bezahlfernsehen stattfinden, erreichen sie weniger Menschen. Was hat das für Auswirkungen?

Fahrner: Das wirkt sich zum Beispiel auf junge Menschen aus, die sich weniger leicht an diese Sportarten binden. Ein gutes Beispiel ist meines Erachtens die Deutsche Eishockey Liga, die Ende der 90er-Jahre sprichwörtlich im Pay-TV verschwand. In dieser Zeit konnten selbst Sportstudierende kaum sagen, wer aktuell deutscher Eishockeymeister war. Und auch wenn eine Liga höhere Erlöse für die medialen Rechte erzielt: Durch die geringere Reichweite verlieren die werblichen Rechte der Klubs – Stichwort Trikotwerbung – deutlich an Wert. Es macht für die Klubsponsoren eben einen wesentlichen Unterschied, ob sie praktisch nur im Stadion zu sehen sind oder eine millionenfache Verbreitung über die Massenmedien haben. Daraus ergibt sich nach wie vor die substanzielle Relevanz von Sendungen wie der ARD-Sportschau, die trotz nachlassendem Interesse weiterhin eine Zielgruppe im mittleren einstelligen Millionenbereich erreicht.

c’t: Sind vor diesem Hintergrund die Bekundungen von DFL- und DFB-Spitze ernstzunehmen, dass sie gerne wieder mehr Fußball im Free-TV sähen?

Fahrner: Ich kann mir vorstellen, dass die Verantwortlichen das Problem sehen. Aber: Die Summen, die zuletzt von den privatwirtschaftlichen Rechteverwertern für die Übertragungsrechte bezahlt wurden, können die öffentlich-rechtlichen Sender nicht annähernd aufbringen und gegenüber ihren Beitragszahlern rechtfertigen.

c’t: Wie sehen Sie die Zukunft des Sportstreamings? Wird es ab jetzt immer so bleiben, dass ich als Fan mehrere Abos abschließen muss, um alle Spiele, die mich interessieren, zu sehen? Oder halten Sie ein Modell für denkbar, in dem ich zum Beispiel nur Tennis, aber dafür über die Plattformen hinweg abonnieren kann?

Fahrner: Streaming wird uns auf absehbare Zeit erhalten bleiben, auch weil es so gut zu den Sehgewohnheiten insbesondere der jüngeren Zielgruppen passt. Plattformübergreifende Angebote wird es vermutlich nur geben, wenn ökonomischer Druck die Anbieter dazu nötigt. Für eine freiwillige Kooperation scheint mir der Wettbewerb aktuell zu intensiv und jeder arbeitet noch darauf hin, dass er den zukünftigen Ausscheidungskampf für sich entscheidet.

c’t: Findet dieser nicht schon statt? Speziell DAZN agiert gegenwärtig sehr aggressiv auf dem Markt.

Fahrner: Es ist ein harter Verdrängungswettbewerb im Gange, ja. DAZN hat zum Beispiel Sky komplett aus der Champions League-Übertragung verdrängt, was die Attraktivität des Sportportfolios von Sky stark beeinträchtigt hat.

c’t: Könnte das am Ende den positiven Effekt haben, dass doch wieder alles auf einer Plattform landet?

Fahrner: Eher nicht, zumindest so lange die originären Rechteinhaber mehr erlösen, wenn sie die Rechtepakete an mehrere Verwerter verkaufen können. Und auch das Kartellamt hat immer ein Auge darauf, inwiefern die exklusive Verbreitung – quasi als Monopol – gerechtfertigt werden kann. Dass man nur ein Abo braucht, um zum Beispiel alle Spiele der Fußballbundesliga oder der Champions League sehen zu können, wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Im Gegenteil: Zur EM 2024 rückt mit MagentaTV ein weiterer Anbieter in den Mittelpunkt. Zumindest theoretisch stünde aber ein Hebel zur Verfügung.

c’t: Und zwar?

Fahrner: Wenn die Rechteinhaber ihre Pakete nicht mehr exklusiv vergeben würden. Dann könnte ein Wettbewerb um das beste Programm stattfinden, zum Beispiel mit inhaltlichen Konzepten oder durch Daten und Analysen, die das Bewegtbild ergänzen. Dadurch würden aber die garantierten Erlöse der originären Rechteinhaber sinken. Und auch wenn die Abo-Erlöse zwischen Verwertern und Rechteinhabern aufgeteilt würden, scheint mir die praktische Umsetzung eines solchen Modells eher unwahrscheinlich.

c’t: Was hat es mit Sport als Teil der Grundversorgung durch die Öffentlich-Rechtlichen auf sich? Was müssen diese zeigen?

Fahrner: Der Medienstaatsvertrag regelt, dass Sportereignisse mit erheblicher gesellschaftlicher Bedeutung frei empfangbar sein müssen – darunter fallen laut Paragraph 13 neben Olympischen Spielen nur ausgewählte Fußballspiele von Männermannschaften. Generell sind die Öffentlich-Rechtlichen aber in ihren Möglichkeiten beschränkt, weil ihr Programm europaweit über Astra ausgestrahlt wird. Das heißt, sie können für Sportübertragungen keinen national-exklusiven Zugang garantieren, was die internationale Vermarktung der Rechteinhaber einschränkt. Das hat unter anderem verhindert, dass ARD und ZDF die Übertragungsrechte der Handball-WM 2017 erhielten. Damals wurden die Spiele kurzfristig über die Website eines wichtigen Sponsors des Deutschen Handballbunds gezeigt. Aber solche Übertragungen erfordern als zulassungspflichtiger Rundfunk eigentlich entsprechende Sendelizenzen, insofern war das kein zukunftsträchtiges Modell. (rbr@ct.de)

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