c't 14/2022
S. 122
Wissen
Satellitenbild-Auswertung
Bild: ESA / ATG medialab

All-Mächtige!

Krieg der Satellitenbilder: Was sie verraten (oder auch nicht)

Satellitenbilder enttarnen Militäroperationen und untermauern Hinweise auf Getreidediebstahl: Nahezu täglich demonstrieren im Zuge des Ukrainekriegs beeindruckende Aufnahmen aus dem All, wie scharf der Blick der Späher mittlerweile ist. Sie liefern auch wertvolle Daten für Umweltforscher.

Von Andrea Trinkwalder

Der Krieg in der Ukraine lenkt den Blick nicht nur aufs irdische Geschehen zwischen Luhansk und Lwiw, sondern auch ins All. Mehr als 5000 militärische, kommerzielle und Forschungssatelliten ziehen im erdnahen Orbit ihre Bahnen und überwachen mit Adleraugen die Erde. Sie registrieren Truppenbewegungen, liefern Hinweise auf Kriegsverbrechen, beobachten historisch wertvolle Kulturstätten – und analysieren den Zustand des Lebensraums Erde. Doch wer späht da eigentlich, welche Erkenntnisse gewinnt man mit den Satellitenbildern – und vermitteln sie ein neutrales Bild der Lage?

Mittlerweile liefern zahlreiche kommerzielle Anbieter Bilder in einer Qualität und Auflösung, die früher dem Militär vorbehalten war. Ein Großteil der aus dem All aufgenommenen und publizierten Dokumentationen über den Ukraine-Krieg stammt beispielsweise von den US-Unternehmen Maxar Technologies, Planet und Capella Space sowie von MDA aus Kanada.

Mit Abstand dominieren dabei die detailreichen Bilder von Maxar die Berichterstattung der US-amerikanischen und europäischen Presse. Seit 2017 versorgt das News Bureau des Satellitenkonzerns Leitmedien und Blogger teils kostenlos mit Bildern, Analysen und menschlicher Expertise – mit Erfolg: Als sich im vergangenen Frühjahr das US-Militär aus Afghanistan zurückzog, dokumentierten dem Unternehmen zufolge mehr als 700 Medien die Geschehnisse am Kabuler Flughafen anhand von Maxar-Aufnahmen.

Am 20. Februar und den Folgetagen 2022 gingen Bilder durch die Presse, die Hinweise auf eine nahe bevorstehende russische Invasion in die Ukraine zeigen sollten: Spuren von schwerem Gerät im Schnee, Truppenverlagerungen entlang der belarussisch-ukrainischen Grenze. Quelle und Einordnung: erneut Maxar. Es handele sich um andere Bewegungsmuster als in den vorhergehenden Wochen, das weise auf „erhöhte Einsatzbereitschaft“ hin, erklärte der Leiter des Maxar News Bureau Stephen Wood damals gegenüber Reuters.

Auch zu den Fotos und Berichten über erschossene Zivilisten auf den Straßen von Butscha fanden Journalisten eine passende Zeitreihe im Maxar-Archiv. Primär sollte diese belegen, dass die Körper bereits während der russischen Besatzungszeit dort lagen und nicht erst nach dem Abzug der russischen Armee zu Propagandazwecken drapiert wurden, wie der Kreml behauptete. Und eine zwischen dem 19. und 21. Mai aufgenommenen Serie soll laut Maxar zeigen, wie ein russisches Handelsschiff im Hafen von Sewastopol (Krim) mit mutmaßlich gestohlenem ukrainischem Getreide beladen wird, um dieses nach Syrien zu verkaufen.

Insbesondere das Getreidebeispiel demonstriert, dass die Momentaufnahmen auch einigen Interpretationsspielraum lassen und lediglich Hinweisgeber beziehungsweise Teil einer Beweiskette sein können. Insgesamt wird es aber für alle Akteure immer schwieriger, im Verborgenen zu operieren.

Der eng mit der US-Regierung verbandelte Satellitenbetreiber Maxar gewährt der Presse kostenlosen Zugang zu seinem Satellitenbildarchiv (zumindest einem Teil davon) – und dominiert damit die aktuelle Kriegsberichterstattung.
Der eng mit der US-Regierung verbandelte Satellitenbetreiber Maxar gewährt der Presse kostenlosen Zugang zu seinem Satellitenbildarchiv (zumindest einem Teil davon) – und dominiert damit die aktuelle Kriegsberichterstattung.

Scharfsinnig

Die diversen militärischen und kommerziellen Beobachtungssatelliten zeichnen recht unterschiedliche Bilder von der Erde, abhängig davon, welche Abtastsysteme sie mitführen: Vergleichbar mit Fotokameras sind optische Sensoren wie Maxars Worldview-3 oder die Sentinel-2-Serie der europäischen Raumfahrtagentur ESA, die das gesamte sichtbare Lichtspektrum sowie Infrarotbereiche erfassen und damit quasi Farbfotos aus der Vogelperspektive schießen.

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