c't 12/2022
S. 54
Aktuell
Metaverse-Anwendungen

„See you in the metaverse“

FMX 2022: Vom Blockbuster zur Blockchain

Game-Designer und Effektschmieden entdecken ein Betätigungsfeld in Blockchain-Gaming und Metaverse – denn dort lockt großes Geld. Auf der Konferenz für Film und Medien FMX diskutierte die Branche, wie Metaverse-Anwendungen aussehen können.

Von André Kramer

Wer vom Internet sprach, meinte bisher Webseiten. „Jetzt redet man von einer Experience“, sagt Matthew Hennick, Metaverse-Entwickler bei Epic Games. Neben virtueller Realität tritt Augmented oder Extended Reality immer mehr in den Fokus. Epic Games hat mit der Unreal Engine eine geeignete 3D-Umgebung. Seit Jahrzehnten stellt sie das Fundament vor allem für Videospiele. Das Metaverse unterscheidet sich vom Videospiel dadurch, dass ein Spielziel fehlt, es permanent online stattfindet und den Nutzern eine Umgebung gibt, in der sie Zeit verbringen, kreativ werden oder Veranstaltungen besuchen können. Und es geht ums Geschäft, denn nahezu alles vom Land über Kleidung bis hin zum Konzertticket wird als NFT verkauft [1].

Alles begann mit dem Spiel CryptoKitties. Es nutzte erstmals den ERC721-Standard, um einzelne Sammlerstücke in Form von digitalen Katzen zu verkaufen, die sich kreuzen ließen, um weitere Katzen zu züchten und zu verkaufen. Der Handel mit NFTs ist seitdem zum Milliardengeschäft explodiert. Larva Labs startete 2018 das CryptoPunks-Experiment mit 10.000 einzigartigen generierten Pixelgesichtern, die Larva Labs kostenlos an alle Nutzer eines Ethereum-Wallet verteilte, die bereit waren, die Transaktionsgebühren zu bezahlen. Das Auktionshaus Christie’s hat im Mai 2021 neun CryptoPunks für fast 17 Millionen US-Dollar versteigert. Mittlerweile hat Larva Labs viele Nachahmer inspiriert.

Alle großen Filmstudios wollen die NFT-Idee für sich nutzen. So gibt es NFT-Kollektionen für Spider-Man, Batman, Star Wars, Matrix Resurrections, SpongeBob, die Simpsons und The Masked Singer. Die Krypto-Community versucht seither gefühlt alles zu tokenisieren, beispielsweise Filmposter als NFTs zu verkaufen, die gleichzeitig als Eintrittskarten für den Film dienen.

Die Film-und-Medien-Messe FMX 2022 fand hybrid in Stuttgart und online statt. Präsentationen wie die von Rouslan Ovtacharoff animierten, mit dem Metaverse zu experimentieren.
Die Film-und-Medien-Messe FMX 2022 fand hybrid in Stuttgart und online statt. Präsentationen wie die von Rouslan Ovtacharoff animierten, mit dem Metaverse zu experimentieren.

Neben virtueller Realität entstehen immer mehr Metaverse-Anwendungen, die Augmented Reality mit dem Smartphone umsetzen. Mapstar heißt eine solche AR-Anwendung, entwickelt von der Mapstar AG aus Karlsruhe. Nutzer sollen über eine Smartphone-App „mit Leichtigkeit“ einen Teil der realen Umgebung scannen und im Mapstar Editor für Besucher um virtuelle Elemente ergänzen können.

Apple und Meta planen laut Gerücht AR-Produkte. Daran knüpfen sich große Erwartungen, ähnlich wie bei der Vorstellung des iPod. Die Produkte könnten aber auch versanden wie einst die Google Glass. „Es ist wichtig, vorhandene Metaverse-Communities mitzunehmen und gleich zu Beginn ansprechende Experiences anzubieten“, findet Raffaella Camera, Markenchefin für die Unreal Engine bei Epic Games.

Blockchain-Pferderennen

Chris Ebeling kam von visuellen Effekten zu Blockchain-Spielen, für die er mit Virtually Human Studios seit 2019 eine Nutzergemeinde aufbaut. Sein Spiel „Zed Run“ erinnert ein wenig an CryptoKitties, hat aber auch Eigenschaften eines Tamagotchi. Im Zed-Spiel kauft, züchtet und verkauft man Rennpferde – jedes Tier ist durch ein NFT repräsentiert. Spieler können Eigenschaften ihrer Pferde kombinieren, indem sie sie mit den Tieren anderer Spieler kreuzen.

Die App „Zed AR“ steht für Android und iOS zur Verfügung. Über Augmented Reality sollen die Pferde Teil der wirklichen Welt sein. Ins Kamerabild auf dem Smartphone eingeblendet, lässt sich das eigene Rennpferd jetzt schon auf den Strand oder den Küchentisch setzen. Pioniere wie Chris Ebeling hoffen auf AR-Brillen, die Metaverse und echte Welt zusammenbringen.

Mit dem AR-Spiel Zed kann man Rennpferde züchten und als NFTs handeln.
Mit dem AR-Spiel Zed kann man Rennpferde züchten und als NFTs handeln.

Das Spiel funktioniert nach dem Prinzip „play to earn“: Gamer sollen möglichst viel Zeit im Spiel verbringen, mit der Aussicht, ihr bestes Pferd im Stall am Ende teuer zu verkaufen. Axie Infinity hat vorgemacht, wie das funktionieren kann. In den Philippinen hat sich eine Community gebildet, die mit dem Blockchain-Spiel Geld verdient.

Bisher hat Zed Run etwa 60.000 Nutzer. Das Problem: Neue Spieler müssen relativ große Hürden überwinden, indem sie eine MetaMask-Wallet erstellen, das erste Rennpferd kaufen und als NFT auf der Ethereum-Blockchain registrieren (minten genannt). Mit Erklärvideos auf YouTube versucht der Entwickler den Einstieg zu erleichtern. Das Zed-Hauptquartier befindet sich in Decentraland. Interessenten können sich im Metaverse treffen, vom Entwickler engagierten DJs lauschen und digitales Stella-Bier kaufen.

„Es wird nicht wie in Ready Player One“

Die dezentralisierte virtuelle Welt Decentraland steht im Fokus vieler Investoren. Vom Start weg setzten die Gründer an einem Tag über 24 Millionen US-Dollar mit virtuellen Grundstücken um – zu einem Startpreis von 0,08 Ether, nach aktuellem Kurs etwa 180 Euro.

Markenhersteller wollen Nutzer für digitale Varianten ihrer Produkte im Metaverse begeistern. Der Sporthersteller Adidas verkauft seine Outfits mittlerweile sehr profitabel als NFTs. Wer Schuhe verkaufen will, muss aber auch die Kundschaft zur Marke bringen. Digitale Bankfilialen und Einkaufsläden machen noch kein Metaverse. Mark Curtis von der Unternehmensberatung Accenture Interactive vergleicht das Metaverse mit dem Gamification-Ansatz eines Hometrainers, der nur das denkbar simpel umgesetzte, zweidimensionale Bild einer Rennstrecke einblendet, aber durch die Interaktion und das Sich-Messen mit anderen Nutzern Spannung erzeugt. Menschen interessieren sich für Menschen: ohne Interaktion keine spannende Anwendung.

Viele Fragen des Metaverse sind noch ungeklärt. Es gibt keine Notare, die über den sauberen Wechsel von Landparzellen wachen – immerhin geht es oft um Millionen. Standards fehlen. APIs beispielsweise zur Anbindung an bestehende Shopsysteme stehen noch nicht zur Verfügung. Das Metaverse ist fragmentiert wie früher der Videokassettenmarkt. „Es wird nicht wie in Ready Player One“, sagt Curtis. Denn die Industrie hat auf die Frage nach plattformübergreifenden Ansätzen bisher keine Antwort, obwohl einflussreiche Vordenker genau dies postulieren. Firmen, die am Metaverse arbeiten, konkurrieren, statt zu kooperieren.

Curtis sieht noch 20 Jahre ins virtuelle Land gehen, bevor solche Standards bereitstehen. Bis es so weit ist, könnte Pionieren wie Adidas, die viel investiert haben, die Luft ausgehen, auch weil sich das Metaverse vielleicht nicht in die gewünschte Richtung entwickelt.

Fazit

Fortnite, Roblox, World of Warcraft und andere Community-getriebene Spiele ziehen Hunderte von Millionen Gamer an; der NFT-Markt setzt mit digitaler Kunst Milliarden um. Das Metaverse soll Gamer und Geld zusammenbringen. Es wird das Internet, wie wir es kennen, nicht ersetzen, soll es aber ergänzen, wie Fortnite auch jetzt schon eine Plattform bereitstellt für die, die sich dafür interessieren.

Wenn sich das Metaverse als Einbahnstraße in eine andere Welt erweist, wird es nach Ansicht der Entwickler nicht funktionieren. Daher setzen sie auf AR-Anwendungen wie das Pferderennspiel Zed. Das Metaverse soll sowohl mit dem bestehenden Web als auch mit der wirklichen Welt interagieren. (akr@ct.de)

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