c't 12/2022
S. 132
Wissen
Retrotrend
Bild: Thorsten Hübner

Back to the Roots

Spiel- und Hardware-Entwickler setzen auf Retro-Ästhetik

Pixelgrafik und Chiptune-Musik sind zurück: Computerspiele erleben einen anhaltenden Retro-Trend. Dank günstiger Mikrocontroller gibt es zudem immer mehr Spielkonsolen, die zwar nicht viel Leistung, aber mehr kreativen Minimalismus bieten. Ein Rundgang durch die Welt der neuen alten Spiele und Geräte.

Von Sonja Wild

Jenseits des Massenmarktes rollt eine moderne Retro-Welle durch die Spieleszene. Hinter diesem Trend verbirgt sich mehr als nur Nostalgie: Aus der Ästhetik von gestern entsteht etwas völlig Neues. Der aktuelle Retro-Minimalismus ist Designentscheidung, Verneigung vor der Vergangenheit und Gegenbewegung zu den Materialschlachten im Gaming-Mainstream zugleich. Indie-Entwickler setzen für ihre Spiele auf Pixelgrafik und Chiptune-Musik, arbeiten an minimalistischen Spielentwicklungstools und bringen Retro-inspirierte Konsolen auf den Markt – mit Monochrom-Display statt 4K.

Eigentlich galten Spiele in Pixelgrafik der 90er-Jahre als erledigt. Die 3D-Grafik hatte Einzug gehalten und das Ziel lautete von da an Fotorealismus. Doch bereits wenige Jahre nach der Jahrtausendwende kehrte die totgeglaubte Technik still und leise zurück: Das Erscheinen des Action-Adventures Cave Story von Daisuke Amaya 2004 gilt heute als Geburtsstunde der modernen Pixelgrafikspiele. Seither sind unzählige Spiele im Retro-Look erschienen, einige davon mit beachtlichem kommerziellen Erfolg.

Zu den prominentesten Beispielen zählen das Open-World-Spiel Terraria, das Rollenspiel Undertale und das Jump-&-Run Celeste, sie erschienen zwischen 2011 und 2018. Celeste verkaufte sich im Erscheinungsjahr 500.000 Mal und knackte weniger als zwei Jahre später die Millionengrenze, Undertale brauchte für die erste Million nur wenige Monate. Das zehn Jahre alte Terraria wurde bis heute sogar mehr als 35 Millionen Mal verkauft. Viele weitere Spiele mit Pixelgrafik schafften es in den vergangenen zehn Jahren in die Jahresbestenlisten der Spielemagazine, wurden massenhaft gestreamt und verkauften sich teilweise ebenfalls sehr gut.

Das Open-World-Spiel Terraria trotzt erfolgreich dem Fotorealismus in großen Mainstream-Spielen. In den prozedural generierten Welten des modernen Pixel-Pioniers verlieren sich Spielerinnen und Spieler bereits seit 2011. , Bild: Re-Logic
Das Open-World-Spiel Terraria trotzt erfolgreich dem Fotorealismus in großen Mainstream-Spielen. In den prozedural generierten Welten des modernen Pixel-Pioniers verlieren sich Spielerinnen und Spieler bereits seit 2011.
Bild: Re-Logic

Als in den 90er-Jahren die 3D-Ära begann, hätte sich kaum jemand träumen lassen, dass die vermeintlich veraltete Technik in dieser Größenordnung zurückkehren würde: Mehr als 12.000 Ergebnisse liefert aktuell eine Suche nach dem Schlagwort „Pixelart“ im Katalog von Steam, der größten digitalen Vertriebsplattform für Computerspiele. Fast alle sind – wie Cave Story, Terraria, Undertale und Celeste – Indie-Spiele, also solche, die ohne großes Budget von kleinen, unabhängigen Studios oder Teams, manchmal sogar von Solo-Entwicklern produziert werden. Das ist kein Zufall, sondern hat mit den niedrigen Einstiegshürden zu tun, die Pixelgrafik für die Entwicklung von Indie-Spielen so reizvoll macht. Die nötige Software ist zugänglich, meist einsteigerfreundlich und vor allem günstig oder sogar kostenlos erhältlich. Die Zielgruppe reicht zudem weit über Menschen mit Gaming-PC hinaus, denn Spiele in Pixelgrafik laufen für gewöhnlich auch auf älteren oder schwächeren Rechnern problemlos.

Mehr als nur retro

Diese praktischen Gründe erklären die Wiedergeburt der Pixelkunst aber nur zum Teil: Für viele Entwickler ist die Wahl dieser Technik auch eine kreative Entscheidung. Dahinter steckt zum einen natürlich der Reiz der Nostalgie. Viele, die mit Spielen wie Pac-Man, Super Mario oder King’s Quest aufgewachsen sind, fühlen sich heute bei Spielen in Pixelgrafik in ihre Kindheit und Jugend zurückversetzt – ein Gefühl, das schwer zu schlagen ist. Nicht ohne Grund wird der lukrative Retro-Markt seit Jahren von Spiel- und Hardwareentwicklern gleichermaßen beackert. Mit Remakes beliebter Spiele wie Monkey Island 2 oder der Final-Fantasy-Serie und Neuauflagen von Systemen wie dem C64, Nintendos Game & Watch oder Sonys Playstation werben sie um die Geldbeutel der heute 30- bis 50-Jährigen.

Vermeintlich veraltete Pixelgrafik auf Erfolgskurs: Mit minimalistischer Optik, interessanter Geschichte und anspruchsvoller Spielmechanik begeistert das Jump-&-Run-Spiel Celeste seit 2018., Bild: Matt Makes Games Inc.
Vermeintlich veraltete Pixelgrafik auf Erfolgskurs: Mit minimalistischer Optik, interessanter Geschichte und anspruchsvoller Spielmechanik begeistert das Jump-&-Run-Spiel Celeste seit 2018.
Bild: Matt Makes Games Inc.

Doch Nostalgie allein erklärt nicht, warum Pixelgrafik auch bei Spielerinnen und Spielern ankommt, die zur Frühzeit der Computerspiele noch gar nicht geboren waren. Vielmehr gibt es auch ästhetische Gründe, die den Stil attraktiv machen. Und dazu tragen gerade die begrenzten technischen Möglichkeiten bei: Pixelgrafik kann, ihrem groben Raster geschuldet, kein realistisches Bild der Wirklichkeit zeichnen. Sie setzt immer auch auf die Vorstellungskraft der Betrachter, die im Kopf ergänzen müssen, was die Grafik nur andeutet. Erfahrene Künstler können Pixel für Pixel Kunstwerke entstehen lassen, deren Charme gerade in ihrem Minimalismus liegt.

Hinzu kommt, dass heutige Rechner und Konsolen, auf denen die Spiele laufen, auch für Spiele im Pixel-Stil vieles möglich machen, was vor 30 Jahren undenkbar gewesen wäre: realistische Lichteffekte zum Beispiel oder die Darstellung im heute üblichen Breitbildformat 16:9. Obwohl sich am grundsätzlichen Prinzip nichts geändert hat, sehen Spiele mit Pixelgrafik also heute viel raffinierter und schöner aus als früher.

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