c't 1/2022
S. 120
Wissen
Zahlen ohne Kasse
Bild: Amazon

Rein, eintüten, raus

Der Supermarkt ohne Kasse kommt

Der Einkaufsladen der Zukunft hat keine Kasse mehr, wie man sie kennt. Stattdessen bezahlen Kunden automatisiert, Bargeld, Karten oder das Handy können in der Tasche bleiben. Der Pionier Amazon ist nicht mehr allein, und auch in Deutschland sind erste Systeme am Start – doch vor einem flächendeckenden Einsatz müssen sie noch manche Hürde nehmen. Ein Überblick, was Sie erwartet.

Von Tobias Weidemann

Sie gehen in den Supermarkt, packen Ihre Einkäufe am Regal in die mitgebrachten Taschen und spazieren anschließend einfach wieder hinaus. Sie haben nichts geklaut, nur brauchten Sie sich nicht an einer Kasse anzustellen. Die Konzepte und Prototypen für diese Art von kassenlosem Einkauf werden mittlerweile im Alltag getestet – und das dürfte vielen Kunden sehr entgegenkommen. Die Warteschlange ist nämlich seit jeher der unbeliebteste Teil des Ladenbesuchs – jedenfalls laut der gemeinsamen Studie „Zukunft des Checkout“ des für den Einzelhandel forschenden EHI-Instituts und des Zahlungsabwicklers VR Payment.

64 Prozent der Kunden empfinden es demnach als unangenehm, im Supermarkt an der Kasse anzustehen. Über die Hälfte der Befragten empfindet Anstehen als Zeitverschwendung oder gar belastend. Handelsexperten tun ohnehin seit Jahrzehnten viel dafür, dem Kunden den Bezahlprozess so einfach wie möglich zu machen und ihn dabei so wenig wie möglich warten zu lassen, beispielsweise durch Barcodescanner an den Kassen oder kontaktloses Bezahlen. Unter den Händlern kann sich heute aber auch schon jeder Dritte sein Ladengeschäft ganz ohne die traditionelle Kassenzone vorstellen. Mit zahlreichen Strategien und Prototypen wetteifern Handelskonzerne darum, den Einkaufs- und Kassierprozess neu zu gestalten – und das geht weit über die SB-Kassen hinaus, wie sie unter anderem ein schwedisches Möbelhaus anbietet.

Unter dem Begriff „kassenloser Supermarkt“ firmieren verschiedene sogenannte Smart-Shopping-Konzepte. Sie orientieren sich alle an jeweils einem von zwei Grundkonzepten. Beim ersten handelt es sich um supermarktähnliche Geschäfte, sogenannte Walk-ins. Der Kunde geht mehr oder weniger wie gewohnt hinein, wählt seine Waren aus und verlässt das Geschäft damit. Über eine Kombination aus Kunden-App auf dem Smartphone, zahlreichen Kameras und Sensoren und 3D-Personenverfolgung im Markt erkennt das System des Händlers, was der Käufer mitgenommen hat, und verhindert zugleich Ladendiebstähle – schließlich kann man nichts mehr heimlich einpacken. Das zweite Konzept stellen die „Automated Stores“ dar, in denen der Kunde an einem Touchscreen oder mithilfe einer Smartphone-App die gewünschten Waren auswählt. Das System stellt ihm diese daraufhin automatisiert zusammen und liefert sie innerhalb weniger Minuten aus.

Rewe: Einpacken und mitnehmen

„Anmelden, Einkaufen, Rausgehen“ – so einfach soll es beim Rewe „Pick & Go“ laufen. Die erste diesem Motto folgende Filiale der Supermarktkette ging im Oktober 2021 mitten in der Kölner Innenstadt an den Start. In dem Geschäft in der Nähe des Neumarkts, einer gut frequentierten Lage mit viel Laufkundschaft, befindet sich ein herkömmlicher Mini-Supermarkt mit Kasse. In diesem können Kunden mit der „Pick & Go“-App auf dem Smartphone außerdem autonom einkaufen. Dazu betreten sie den Markt über eine gesonderte Durchgangsschranke, wo sie per App über einen QR-Code einchecken. Anschließend können sie in dem rund 200 Quadratmeter großen Markt die Artikel, die sie mitnehmen möchten, einfach in ihren Rucksack oder eine Tasche packen. Einen gesonderten Einkaufswagen oder -korb brauchen sie nicht. Das fühle sich anfangs ein wenig wie Ladendiebstahl an, berichten Menschen, die es ausprobiert haben. Es sei aber recht praktisch, wenn man sich einmal daran gewöhnt habe. Das deckt sich mit dem Ziel des Handels, den Einkaufsprozess für die Kunden so einfach wie möglich zu halten. Überdies müssen diese ihre Einkäufe, anders als an einer SB-Kasse, nicht mehrfach in die Hand nehmen.

Stattdessen erfasst ein dichtes Netz von Sensoren in den Regalböden und Kameras an der Decke die Waren. Das komplett digitalisierte Marktsystem kennt aber nicht nur die üblichen Regalplätze. Es soll vielmehr auch in der Lage sein, Waren fehlerfrei zuzuordnen, wenn sich diese am falschen Platz befinden. Ebenso kann es die Zuordnung wieder entfernen, wenn der Kunde etwas ins Regal zurückstellt. Neben abgepackten Waren, die die Bilderkennung sicher und zweifelsfrei identifizieren kann, sollen die Sensoren auch Obst und Gemüse (im Stück wie auf der Waage) sowie heiße Getränke und frisch zubereitete Speisen erkennen – Produkte, bei denen dies naturgemäß weniger trivial ist.

Rewe setzt dazu auf ein System des Anbieters Trigo Vision, das den gesamten Supermarkt in Form eines 3D-Modells abbildet und sämtliche Entnahmevorgänge der Kunden protokolliert. Das System werde mithilfe künstlicher Intelligenz zunehmend besser, erklären die Verantwortlichen von Rewe Digital. In den sechs Monaten vor der Eröffnung habe man mit mehr als 300 Testpersonen aus der Belegschaft über 3000 Testkäufe durchgeführt und so Erfahrungen sammeln können.

Kassenlos einkaufen kann man im Kölner „Pick & Go“ von Rewe nur, wenn man sich vorher mit einer speziellen App eingebucht hat.
Bild: Rewe

Die Frage, wie viele Fehler das System noch macht, beantwortet der Handelskonzern allerdings nicht. Er spricht stattdessen von einem „Entwicklungsprozess“, an dessen Ende man noch lange nicht angelangt sei. „Wir glauben daran, dass sich die Technologie durch Machine Learning rasant weiterentwickeln wird, um auch bei schwierigeren Fällen Waren und Kunden richtig zuzuordnen“, sagt Anika Vooes, Projektleiterin aus dem Bereich „Research & Innovation“ bei Rewe Digital. Das bedeute eine besondere Herausforderung – zum Beispiel, wenn ein Kunde mit mehreren Familienmitgliedern oder Freunden gemeinsam einkauft und diese im Einkaufskorb ebenfalls Waren hinzufügen. Auch bei solch einem Gruppeneinkauf muss das System die Ware korrekt erfassen und zuordnen.

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