c't 7/2021
S. 28
Aktuell
Elektronischer Rechtsverkehr

Digitalisierungslaunen

Der Online-Ausweis soll aufs Handy, die Justiz elektronischer werden

Die Bundesregierung hat ­Ge­setzesentwürfe auf den Weg ­gebracht, mit denen sie die ­Digitalisierung von Verwaltung und Justiz vorantreiben will. Dabei sind bereits bestehende gesetzliche Möglichkeiten kaum praktisch umgesetzt, wie Fachleute kritisieren.

Von Dr. Stefan Krempl

Deutschland hinkt beim E-Government und beim elektronischen Rechtsverkehr anderen europäischen Ländern hinterher. Erst im September hatte die EU-Kommission in ihrem Rechtsstaatlichkeits­bericht die Digitalisierung der Justiz in Deutschland als „andauernde Herausforderung“ bezeichnet. Davon unbeirrt fühlte sich die Bundesregierung laut Mitteilung ihres Innenministeriums (BMI) „im Start­up-Modus“, als sie Mitte Februar mehrere Gesetzesvorhaben zur Digitalisierung von Verwaltung und Justiz auf den Weg ins parlamentarische Verfahren brachte. Bundestag und Bundesrat müssen sich nun damit beschäftigen. Letzterer wird sich voraussichtlich im April dazu positionieren, danach gehen die Entwürfe an den Bundestag.

Ernst machen will das BMI mit der Idee, wonach die Bürger die mit dem Personalausweis verknüpfte elektronische Identität (eID) direkt im Smartphone speichern können sollen. Der Online-Ausweis soll so einfacher einsetzbar sein, seine Akzeptanz verbessert, die Nutzung um mindestens 50 Prozent gesteigert werden.

Bürger sollen die Übertragung der notwendigen Schlüssel aus dem Speicher des Personalausweises auf das Handy online beantragen können, wobei sie sich per eID identifizieren müssen. Der Ausweishersteller muss Maßnahmen gegen eine missbräuchliche Verwendung der Daten vorsehen, etwa durch einen neuen Sperrschlüssel. Der Ausweisinhaber soll die Daten für die eID-Funktion auf dem Handy oder Tablet selbst löschen können.

Der elektronische Identitätsnachweis mit mobilen Endgeräten wird Bürger jährlich insgesamt um 11.806 Stunden entlasten, die sie sonst mit dem klassischen Identifizierungsverfahren etwa per Video-Chat verbringen müssten, schätzt das BMI. Bei ihm selbst und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) entstünden einmalige Entwicklungskosten von gut 19 Millionen Euro und jährliche Betriebskosten von über 25,4 Millionen Euro. Jede eingesparte Stunde kommt dem ­Steuerzahler so mit rund 2200 Euro zu stehen, lässt man die Produktionsausgaben weg. Anwendungen für die eID sind zudem nach wie vor überschaubar (siehe S. 3).

Ein Smartphone benötigt ferner eine eingebettete Sicherheitsarchitektur auf hohem Niveau, um die Lösung nutzen zu können. Momentan leisten dies laut dem Vitako-­Verband der kommunalen IT-­Dienstleister nur Samsung-Geräte der Reihe Galaxy S20, was auch da nur dem staatlich geförderten Projekt Optimos 2.0 zu verdanken sei. Dies könnte Wettbewerb verhindern. Die federführende Bundesdruckerei verweist dagegen darauf, dass die vorgesehenen Sicherheitselemente wie ein integriertes „Secure Element“ oder die eSIM-Karte „keine Einschränkung von Smartphones“ vornehme. Die Technologie sei grundsätzlich breit anwendbar, Gerätehersteller und Mobilfunkanbieter müssten aber die Nutzung ermöglichen.

Bürgerportal bei Gerichten

Ganz im „Startup-Modus“ will Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) das Smartphone zum elektronischen Ausweis machen.
Bild: Marijan Murat/dpa

Das Bundesjustizministerium steuerte einen Gesetzentwurf zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten bei. Für Bürger, Unternehmen, Organisationen, Verbände und andere am Prozessgeschehen Beteiligte will die Regierung damit eine rechtliche Basis für ein „besonderes elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach“ (eBO) schaffen und dafür unter anderem die Zivilprozessordnung ändern. Pate dafür stand das seit Jahren umstrittene und von zahlreichen anfänglichen technischen Problemen gezwickte Anwaltspostfach bEA.

Derzeit besteht laut der Regierung für die genannten Betroffenen nur die Möglichkeit, mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder per De-Mail-Dienst elektronische Dokumente bei den Gerichten einzureichen. Beide Verfahren seien in der Praxis allerdings kaum verbreitet und hätten „strukturelle Nachteile“. Das eBO soll daher „möglichst kostenneutral“ den schriftformersetzenden Versand elektronischer Dokumente an die Gerichte sowie die Zusendungen von diesen an die Postfachinhaber erlauben. Ferner bestehe die Option, die nach dem Onlinezugangsgesetz zu errichtenden Nutzerkonten für E-Government-Portale in die Kommunikation einzubinden.

Zahlreiche Verbände begrüßen den Ansatz prinzipiell, um vor allem das Fax im Rechtsverkehr abzulösen, bringen aber auch teils massive Bedenken vor. Der EDV-Gerichtstag bemängelt etwa, dass mit den Vorschriften schon für die eBO-­Einrichtung per eID „hohe Hürden“ aufgestellt würden. Kaum ein Bürger werde für seine meist allenfalls gelegentliche Korrespondenz mit der Justiz diesen mühsamen Weg gehen. Zumindest diesen Schritt würde der Online-Ausweis auf dem Handy erleichtern. Statt für Anwälte, Notare sowie nun Bürger und Firmen je eigene Infrastrukturen aufzubauen, sollten Politik und Justiz „auf allgemein verfügbare und vorhandene internationale Standards setzen“. (tig@ct.de)

Gesetzentwürfe und Stellungnahmen: ct.de/ycyt

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