c't 7/2021
S. 168
Wissen
Kamerastreiche

Der Gag heiligt die Mittel?

Illegal veröffentlichte Streiche mit versteckter Kamera

„Hast du kurz zehn Minuten Zeit und 20 Zenti­meter Platz?“, fragte ein bekannter YouTuber junge Frauen in der Fußgängerzone und zeigte ihre Reaktionen auf TikTok. Eine Studentin fand das nicht bloß unwitzig, sondern­ ­erwirkte eine einstweilige Ver­fügung gegen ihn.

Von Verena Ehrl

Das Konzept ist uralt: Man provoziert oder verblüfft Leute in Alltagssituationen so, dass sie ihre Fassung verlieren, und zeichnet ihre Reaktion mit verborgener Kamera auf. In den USA schrieb die von Allen Funt entwickelte Fernsehshow „Candid Camera“ damit von 1948 bis 2014 Erfolgsgeschichte. In der Schweiz und in Deutschland wuchsen Generationen von Zuschauern seit 1961 mit Chris Howlands „Vorsicht Kamera“ und seit 1980 mit „Verstehen Sie Spaß?“ auf. Ein wichtiger Unterschied der Fernsehstreiche zu heutigen Amateurvideo-Pranks auf TikTok, YouTube oder Instagram: Die von den Fernsehprofis gezeigten Opfer waren mit der Veröffentlichung ihrer Schreckmomente einverstanden.

Ganz und gar nicht einverstanden war die 24-jährige Kölner Studentin, die ihre Reaktion auf die zotige Provokation „Hast du kurz zehn Minuten Zeit und 20 Zentimeter Platz?“ in einem Kurzvideo auf TikTok sehen musste. Sie hatte die versteckte Kamera zunächst nicht bemerkt und sich von dem Spruch belästigt gezeigt. Dessen ungeachtet hatte der Frager das Video veröffentlicht.

Der Verantwortliche war leicht zu finden: Der für seine Pranks bekannte YouTuber Nahim Sky hatte die Aktion in der Fußgängerzone durchgeführt, weil er nach eigener Aussage die „schlechtesten Anmachsprüche“ an ahnungslosen Opfern testen wollte. Die Frau beantragte beim Landgericht (LG) Düsseldorf eine einstweilige Verfügung. Das Gericht entschied am 11. Januar dieses Jahres, dass sie eine solche Belästigung nicht hinnehmen musste, und verbot die weitere Veröffentlichung und Verbreitung des Videos, auf dem sie zu sehen war. Wegen der Dringlichkeit der Sache erging der Beschluss im Eilverfahren ohne mündliche Verhandlung (Az. 12 O 309/20). Falls Nahim Sky gegen das Verbot verstößt, muss er bis zu 250.000 Euro Ordnungsgeld zahlen oder mit maximal sechs Monaten Ordnungshaft rechnen.

Immer krassere Pranks

Getrieben vom Wunsch nach Aufmerksamkeit, „Fame“, Klicks und nicht zuletzt Werbegeld überbieten Video-Prankster im Netz einander zunehmend mit extremen Provokationen. Das Spektrum dessen, was sie beispielsweise auf YouTube präsentieren, reicht mittlerweile von gefälschten Schwangerschaftstests bis zum Zünden von Flammenwerfern. In den USA kam ein You­Tuber, der bei einem simulierten Überfall mit gezücktem Fleischermesser auf eine Menschengruppe losrannte, ums Leben: Eines der Prank-Opfer hatte eine Waffe dabei und drückte ab (heise.de/-5049642).

Professionelle Fernsehteams sichern sich bei dem, was sie tun, rechtlich ab und senden keine versteckt gefilmten Streiche ohne ausdrückliche Einwilligung der Gezeigten. Video-Prankster im Netz zeigen sich in Sachen Recht und Gesetz bisweilen sehr gedankenlos. Der Kölner Anwalt Dr. Lucas Brost, der die Studentin im Fall Nahim Sky vertrat, meint: „Die junge Szene handelt oft noch sehr unbedarft.“ Die YouTube-Richt­linien verbieten zwar Videos von „Streichen, bei denen die Opfer glauben, sie seien in ernsthafter Gefahr, etwa von fingierten Einbrüchen oder Schieße­reien. Das verhindert jedoch nicht, dass vermeintliche Streichespieler vielerlei Rechtsbrüche begehen.

Tatsächlich drohen dabei nicht nur zivil-, sondern auch strafrechtliche Konsequenzen. So steht bereits schnell der Tatbestand der Körperverletzung im Raum – dazu reicht bereits das Abschneiden von Haaren. Beim Einsatz eines Flammenwerfers kommt gefährliche Körperverletzung in Betracht. Dafür drohen Haftstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Selbst in minder schweren Fällen sind es drei Monate bis fünf Jahre.

Schon eine schnelle YouTube-Suche bringt massenhaft Fundstellen, die das Spektrum vermeintlich witziger, häufig rechtswidriger Straßenaktionen mit ­versteckter Kamera zeigen – von „Leute anfurzen“ über „Leute ansprayen“ bis „Melonen von Frauen anfassen“.
Bilder: YouTube

Bei den auf TikTok und YouTube präsentierten Pranks finden sich noch weitere Tatbestände wie Nötigung, Beleidigung und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen.

Zeig mich nicht!

Bei all dem nehmen Polizei und Staatsanwaltschaft auf Strafanzeigen hin Ermittlungen auf. Auf der oft unterschätzten ­zivilrechtlichen Seite geht es hingegen „nur“ um Ansprüche von Betroffenen, die in ihren Rechten verletzt worden sind, gegen den Rechtsverletzer. Für den kann aber auch ein verlorener Zivilprozess empfindliche wirtschaftliche Konsequenzen haben. Typischerweise geht es bei Prank-­Videos um die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 des deutschen Grundgesetzes (GG) sowie um Verstöße gegen daraus abgeleitete Bestimmungen.

Im Wesentlichen regeln das Kunsturhebergesetz (KUG) und die euro­päische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), wann es zulässig ist, Personen in einem Video zu zeigen. Nach Paragraf 22 des KUG ist grundsätzlich für jede Aufnahme, ob Bild, Ton oder beides, eine Einwilligung des Aufgenommenen beziehungsweise Abgebildeten nötig. Ausnahmen gelten unter anderem für rein private, nicht veröffentlichte Aufnahmen. Aus diesem Bereich fallen aber bereits Videos heraus, die man etwa über Whats­App an Klassenkameraden und Kollegen verteilt.

Weitere Ausnahmen (§ 23 KUG Abs. 1), die eine Einwilligung entbehrlich machen können, kommen nur dann in ­Betracht, wenn keine berechtigten Inte­ressen der Abgebildeten dagegenstehen (Abs. 2). Selbst Prominente, die als Personen der Zeitgeschichte gelten können, sind nicht schutzlos gestellt: Bilder aus der Intimsphäre sind ebenso wenig statthaft wie Aufnahmen an Orten, wo die Betroffenen nicht mit öffentlicher Beobachtung zu rechnen brauchen.

Hier spricht der Datenschutz

Die Abbildung einer wiederzuerkennenden Person fällt unter die personenbezogenen Daten, die Thema der DSGVO sind. Deren Artikel 6 Abs. 1 lit. a) erfordert bei einem Video somit ebenfalls die ausdrückliche Einwilligung derer, die darauf zu sehen sind. Zwar gibt es auch hier Ausnahmen, aber die sind für Prank-­Videos durchweg irrelevant. Nach lit. f) des erwähnten Absatzes kann ein Veröffent­lichender sich auf berechtigte Interessen berufen – aber nur, wenn nicht die Inte­ressen, Grundrechte und Grundfreiheiten des Betroffenen dagegenstehen. Ganz besonders betont die DSGVO dabei das Gewicht der Rechte von Kindern.

Gegen die unerlaubte Veröffentlichung eines Prank-Videos steht Betroffenen ein Unterlassungsanspruch zu. Der Veröffentlicher muss dann das Video löschen und gegebenenfalls Gerichts- sowie Anwaltskosten ersetzen. Zudem verklagen Betroffene ihn möglicherweise auf Schadenersatz. Die Palette von Schäden, um die es gehen kann, reicht von Aufwendungen für Arzt, Anwalt, Detektiv, Sachverständigengutachten und Bearbeitungsgebühren bis hin zu entgangenem Gewinn. Letzteres ist denkbar, wenn etwa ein Betroffener als Folge einer Videoveröffentlichung seinen Job verliert oder eine Geschäftsbeziehung einbüßt.

Darüber hinaus steht auch der Gewinn des Pranksters auf dem Spiel, den dieser durch Werbeeinnahmen und Sponsorengelder im Zusammenhang mit seinen Videos erzielt. Gerichte können entscheiden, dass der durch das Video generierte Gewinn herauszugeben ist. Alternativ setzen sie eine fiktive angemessene Lizenzgebühr fest, die der Prankster seinem Opfer hätte zahlen müssen, wenn er es zuvor um Erlaubnis gefragt hätte – plus 100 Prozent Verletzeraufschlag.

Nach § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann dem Opfer zudem Schmerzensgeld für erlittene seelische wie körperliche Schmerzen zustehen.

In Zeiten Corona-bedingten Online-Unterrichts haben selbsternannte ­Spaß­vögel wie der YouTuber „Buny“ Lehrkräfte durch gezieltes Stören zum ­Ausrasten gebracht und deren Reaktionen dann unerlaubt veröffentlicht.

Rechner weg

Eine besondere Spielart der Online-Bloßstellung mit versteckter Kamera hat sich übrigens beim Schulunterricht per Videokonferenz zu einer regelrechten Modeerscheinung entwickelt: das „Zoom Bombing“. Besonders viele solcher Prank-­Videos hat beispielsweise der YouTuber „Buny“ veröffentlicht. Die meisten davon sind jetzt nicht mehr zugänglich. „Buny“ geriet ins Visier der Staatsanwaltschaft, die seine Art von Spaß offenbar überhaupt nicht verstand. Es gab eine Hausdurchsuchung und die Ermittlungs­behörden beschlagnahmten seine Hardware. Seitdem beklagt der YouTuber sich öffentlich über das, wie er findet, unfaire Vorgehen der amtlichen Spaßverderber. (psz@ct.de)

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