c't 4/2021
S. 12
Aktuell
Social-Media-Sperren

Putsch der Plattformen

Mit den Trump-Sperren beginnt ein postmodernes Internet

In seinen letzten Amtstagen haben US-Plattformen Ex-­Präsident Donald Trump die Kommunikationskanäle ­ent­zogen. Damit erreicht die ­Debatte um Regulierung und Meinungsfreiheit einen ­Höhepunkt.

Von Hendrik Wieduwilt

Wenn Sie dieses Heft in den Händen halten, dauert der Honeymoon mit dem neuen US-amerikanischen Präsidenten Joe Biden vermutlich noch an. Die Amtseinführung war so amerikanisch wie Apfelkuchen, und sie war ähnlich beruhigend: Ein Aufatmen ging durch die Welt, jedenfalls die „liberale“ im amerikanischen Sinn, als Donald Trump das Weiße Haus verließ.

Zum Schluss hatte der Wüterich aber noch einmal um sich geschlagen, schlimmer als manche erwartet hatten: Den ­Radikalen Steve Bannon und andere hat er begnadigt. Und in einem historischen Fanal hat der Präsident einen Sturm von Extremisten ins Kapitol gehetzt – manche sagen sogar: einen Putsch versucht. Dies war die eine Eskalation zu viel. Die Social-­Media-Plattformen drehten Trump seine Kommunikationskanäle ab.

Erst Twitter, dann Facebook, dann YouTube sperrten die Accounts des ­Präsidenten. Es entwickelte sich eine Art Whac-A-Mole, jenes in Amerika beliebte Jahrmarktspiel, bei dem man mit einem Hammer aufploppende Maulwürfe erschlägt: Trump floh von einem Dienst zum nächsten, überall senkten sich die Daumen, bis er seine Tweets schlicht auf der Website des Weißen Haus veröffentlichte. Das Internet zog den Amtswechsel praktisch vor. Im digitalen Abseits denkt Trump nun laut über den Aufbau eines eigenen Netzwerks nach.

Abschied im Groll: Vor der Amtseinführung Joe Bidens ließ sich Donald Trump mit dem Militär­hubschrauber am Weißen Haus ­abholen und aus der Stadt fliegen.
Bild: Alex Brandon/AP/dpa

Im Netz der Lügen

Doch nicht nur für Trumps Gedanken sind die Sperren ein mächtiger Ideendünger. Auch in Europa keimen alte und neue Ideen, wie man den digitalen Kommunikationsraum von Milliarden künftig regulieren sollte. Ironischerweise unter­scheiden sich die Vorschläge von Trump und seinen Gegnern nur in Details. Denn sowohl der 45. Präsident als auch europäische Meinungsführer wollen die Macht der Plattformen begrenzen.

Beide Seiten haben freilich unterschiedliche Beweggründe: Trump will Regulierung (in Gestalt einer Reform der berühmten „Section 230“), weil er sich durch vermeintliche Willkür linker Tech-Konzerne bedroht fühlt. Europäische Meinungsführer wie Vize-EU-Kommissarin Vra Jourová, Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und Binnenmarktskommissar Thierry Breton wollen Konzerne wiederum bändigen, weil sie sie als Ursprung des Populismus begreifen – oder, weniger edel, den Boden bereiten möchten für europäische Alternativen. Der Digital Services Act könnte deshalb noch einmal aufgebohrt werden.

Selbst liberale Fachleute sind angesichts der turboladerartigen Wirkung sozialer Netzwerke auf Hass, Lügen und Populismus inzwischen skeptisch: Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen, Mitautor des Buchs „Die Kunst des Miteinander-Redens“, zweifelt, ob angesichts der Flut von Verschwörungstheorien noch genug Zeit bleibt, um den Markt die Sache regeln zu lassen. Allerdings sieht er auch die traditionellen Medien in der ­Verantwortung: Sie hätten die Lügen Trumps jahrelang „mit publizistischem Sauerstoff“ versorgt, indem sie fasziniert über ihn berichtet haben.

Die Plattformen zeigen so deutlich wie nie zuvor, wer in der digitalen Öffentlichkeit das Sagen hat, wenn es hart auf hart kommt: nicht QAnon, aber auch nicht der Staat, nicht ein immunes Staatsoberhaupt, nicht der Mann mit den Nuklearcodes, sondern sie, die Konzerne. Sind sie nun eine Art fünfte Gewalt, die im Notfall einen Hetzer ausknipsen kann wie die Polizei einen Geiselnehmer?

Zensur, wie Trump-Unterstützer ­meinen, ist das Einschreiten der großen Tech-Konzerne nicht. Zensur geht vom Staat aus, hier handeln private Plattformen. Sie können Nippel verbieten, Hetze, das Spoilern von Filmen oder Unwahrheiten – es ist ihre Plattform, und für sie streiten Grundrechte der Eigentumsfreiheit und die eigene Meinungsfreiheit. Die ­Informationsrechte der Nutzer sind sicher betroffen, denn ihr Zugang zu den Meinungen des Präsidenten ist nun erschwert – auch wenn private Unternehmen nur mittelbar an die Grundrechte gebunden sind. In jedem Fall ist es eine demokratisch nicht legitimierte Stumm-Taste für ein demokratisch legitimiertes Staatsoberhaupt. Das klingt vielleicht nicht nach Zensur – aber schon ein wenig nach Putsch, wenn auch nach einem irgendwie schönen.

Und wer sind eigentlich „die Konzerne“? Man kann wohl nicht behaupten, dass überall die Chefs nach Gutdünken entscheiden. Zwar begründete Facebook-­Gründer Mark Zuckerberg die Sperre mit einem selbstverfassten Post. Doch ­Twitter-Chef Jack Dorsey wurde laut ­Recherchen der New York Times von den eigenen Mitarbeitern zum Handeln ­gedrängt: Ihn beschlichen demnach grundsätzliche Skrupel – doch die Mit­arbeiter im eigenen Konzern wollten nicht mehr. Sie verlangten die Sperre.

Das harte Vorgehen führte nach anfänglicher Euphorie schnell zu Kritik: „Zu spät“ lautete der Tenor vieler eher linker Kommentatoren in Medien und unter Anti-Hass-Aktivisten. „Zu inkonsistent“ lautete eine andere Kritik, etwa im Hinblick auf Ajatollah Chamenei. Der iranische Religionsführer darf immerhin immer mal wieder die Vernichtung Israels in Aussicht stellen – Twitters ausdrückliche Vorzugsbehandlung für „public interest accounts“ ist nach wie vor in Kraft. Die Trump-Sperre war eine Art Notwehr.

Erst einen Tag nach der Sperre mehrten sich Zweifel an der Begründung der Plattformen – sogar die Bundeskanzlerin meldete sich kritisch zu Wort. Was hatte Trump denn eigentlich getwittert? Einen Gewaltaufruf findet man in seinen Tweets nämlich nicht. Trump blies zwar fleißig in die „dog whistle“, sendete also Codes und Signale, die bei seinen Anhängern als Aufruf zum Handeln gelesen werden konnten. Doch reicht das? War nicht eher seine Rede vor dem Kapitol ausschlaggebend für den Sturm?

Zornige Ansagen

Juristisch betrachtet spricht viel für den Befund, dass die zwei Hauptgeschehnisse nach geltendem Recht schlicht legal waren, die Tweets des Präsidenten ebenso wie das Einschreiten der Plattformen. Und dennoch bleibt das Gefühl, dass man diese Macht nicht einfach so in den Händen großer werbefinanzierter Konzerne belassen sollte.

Der andere Aspekt ist die von den Plattformen verschärfte Gesamtlage: „Wir erleben einen Angriff auf die Demokratie und die Wahrheit“, hat Joe Biden bei seiner Amtseinführung beklagt. Sein Vorgänger soll je nach Zählweise bis zu 30.000 Mal gelogen haben. Aber was heißt das genau, Wahrheit? Wie sieht eine auf Wahrheit zielende Politik aus? Niemand will das Extrem, ein Wahrheitsministerium.

Und doch kam es hierzulande im Schatten anderer Ereignisse zu einem ersten großen medienpolitischen Tabubruch: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat mit Google einen Deal abgeschlossen, damit Gesundheitsinformationen künftig prominent platziert sind. Wer „Kopfschmerzen“ googelt, geht also künftig seltener auf irgendwelche privaten Seiten. Weil das gegen die Medienordnung verstoßen könnte, ist inzwischen die Medienaufsicht in Hamburg eingeschritten. Das Verfahren läuft noch.

Wie, außer durch ein Wahrheitsministerium, könnte der Staat für mehr Wahrheit im Internet sorgen? Mit Bildung, dafür plädiert etwa die frühere Piratenchefin, die Psychologin Marina Weisband, stellvertretend für zahllose Fachleute. Aber hat nicht die Pandemie die Unbeweglichkeit von Schulen gezeigt? Eine Studie der Stiftervereinigung der Presse zeigte zudem im September, dass sagenhafte 40 Prozent der Lehrer meinen, Medien hätten die Aufgabe, die Bevölkerung für bestimmte Dinge „zu mobilisieren“. Fast ein Fünftel meint, wichtige Nachrichten würden in normalen Medien verschwiegen und wären daher nur in sozialen Netzwerken, Foren oder Blogs zu finden.

Soll der Staat die Plattformen stärker in die Verantwortung nehmen? In Europa scheint die Idee Gefallen zu finden. Der französische EU-Binnenmarktskommissar Thierry Breton verbreitete sogar einen Tweet, in dem er im Zusammenhang mit der Erstürmung des Kapitols forderte, die Regierungen müssten kontrollieren, wer was posten darf – selbst für das etatistische Frankreich eine zornige Ansage. Es wird gern vergessen, wer die Regierung in den Vereinigten Staaten bis vor sehr kurzer Zeit stellte: Trump und seine Schergen. Sollen solche Leute etwa noch mehr ­Kontrolle bekommen?

Wissenschaftler wie Bernhard Pörksen plädieren schon länger für Plattformräte, also Gremien, die über die Moderation der Konzerne urteilen, Fälle publizieren und Beweggründe offenlegen. Facebook hat im vergangenen Jahr mit dem „Oversight Board“ ein Gremium dieser Art ins Leben gerufen – es braucht nicht viel Fantasie, um darin auch eine Reaktion auf den anwachsenden Regulierungsdruck zu erkennen. So kann Facebook die Zusammensetzung des Gremiums kon­trollieren, auch wenn die Entscheidungen über ein rechtliches Konstrukt de facto extern gefällt werden. Auch die Trump-­Sperre liegt ­inzwischen dem Oversight Board zur Bearbeitung vor.

Das ist für die Plattform allemal angenehmer als ein echter externer Rat, eine Art Medienaufsicht für die Inhalte-­Moderation. Mit den Rundfunk- und Fernsehräten und den sie beaufsichtigenden Medienanstalten gibt es für so eine Regelung durchaus Vorbilder. Ordnungspolitisch würde das eine Teilenteignung der Konzerne bedeuten – linken Kritikern des „Datenkapitalismus“ gefällt das.

Postmodernes Internet

Eines steht fest: Die alten, wilden Freiheitsideale schmelzen im politischen Klima von Populismus und Täuschung. Schon das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) war ein frühes Signal für ein postmodernes Internet. Der Staat fordert Strukturen, Transparenz und Personal für das Meinungsmanagement. So dürfte es nun ­weitergehen: An Universitäten ertüftelte Strukturprinzipien wie die „Santa Clara Principles“ (santaclaraprinciples.org) ­werden Plattformen stärker zwingen, ihre ­Beweggründe offenzulegen und den Nutzern „Rechtsmittel“ an die Hand zu geben. Es wäre Regulierung, ohne unmittelbar den Diskurs zu manipulieren.

Damit würden immerhin fragwürdige Sperren nachvollziehbarer. In Deutschland hat Twitter unter anderem den Zorn von Anwälten auf sich gezogen, weil die Plattform sich als komplett ironieresistent zeigte. Ein spöttischer Tweet mit der höhnischen Formulierung „Auf den Scheiterhaufen mit dem Ketzer!“ etwa führte zur Sperre des Juraprofessors Arnd Diringer. Im Massenverfahren ist eben kein Raum für Nuancen.

Humor und Satire werden es schwerer haben, nicht zufällig war der Titanic-­Account auf Twitter eines der ersten Opfer nach Inkrafttreten des NetzDG. Im postmodernen Internet ist die Position der Plattformen allerdings gefestigter denn je: Es wird noch schwieriger werden, aus dem Nichts eine neue, konkurrierende Plattform zu gründen – auch wenn das gehypte Clubhouse (siehe S. 51) gerade das Gegenteil beweisen will. (hob@ct.de)

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