c't 23/2021
S. 48
Aktuell
Bio-Programmierung

Erzwungene Fehlgriffe

Wie Kopierfehler gegen Covid-19 helfen könnten

Im Kampf gegen das SARS-CoV-2-Virus melden Forscher die Entwicklung der ersten Pille. Es ist aber offen, ob das Mittel zugelassen wird.

Von Dušan Živadinović

Die US-amerikanischen Pharmaunternehmen MSD und Ridgeback Biotherapeutics melden, die erste Tablette gegen Covid-19 entwickelt zu haben. Noch ist unklar, ob und welche Nebenwirkungen die Molnupiravir genannte Pille verursacht. Aber nachdem das Medikament bei Covid-19-Kranken mit erhöhtem Risiko für schwere Verläufe die Zahl der Klinikaufenthalte halbiert habe, sei die Studie in Absprache mit der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde Food and Drug Administration vorzeitig beendet worden.

Studienabbrüche sind üblich, wenn schon früh ersichtlich wird, dass ein Wirkstoff Vorteile bringt; es ist dann ethisch nicht mehr vertretbar, Menschen der Kontrollgruppe mit dem wirkungslosen Placebo (Scheinpräparat) zu behandeln. Nun sollen Studien ohne Placebo folgen.

Mit Remdesivir und monoklonalen Antikörpern gibt es zwar bereits zwei Medikamente gegen Covid-19, aber beide werden über die Blutbahn verabreicht und kommen daher nur für hospitalisierte Patienten infrage. Medikamente in Tablettenform könnten aber auch Patienten mit milden Symptomen helfen und wären eine Alternative zu Impfungen.

MSD und Ridgeback haben nun in den USA eine Notfallzulassung beantragt. An der klinischen Phase-3-Studie haben 775 Covid-19-Patienten teilgenommen. Alle wiesen eine leichte bis mittelschwere Covid-19-Erkrankung auf und zusätzlich einen Risikofaktor, der oft zu schlechten Krankheitsverläufen führt.

Von den Patienten, die ein Placebo erhielten (377), mussten 53 in ein Krankenhaus eingewiesen werden (14,1 Prozent). Acht dieser Patienten verstarben. Unter denen, die Molnupiravir erhielten, betrug der Anteil der hospitalisierten Personen nur 7,3 Prozent (28 von 385). Keine davon starb während des Prüfzeitraums.

Gekippte Bits

Das klingt vielversprechend, wirft aber Fragen nach der Funktionsweise auf. Hier der Zusammenhang in aller Kürze: Nach der Aufnahme gelangt Molnupiravir ins Blut und wird wie viele andere Medikamente verstoffwechselt. Dabei erzeugt der Körper β-D-N4-Hydroxycytidin (NHC). NHC gehört zu der Stoffgruppe der Nukleoside, aus denen auch das Viruserbgut besteht. Dabei bilden Adenosin, Uridin, Cytidin und Guanosin die grundlegenden vier Bausteine (A, U, C, G).

NHC kann bei der Vervielfältigung des Viruserbguts sowohl Cytidin als auch Uridin ersetzen. An Stellen, an denen es eingebaut wurde, entstehen beim weiteren Kopieren Punktmutationen im Viruscode (genauer: Transitionen wie C→U oder U→C).

Sie bewirken defekte Genprodukte (z. B. dysfunktionale Spike-Proteine) und behindern so die Fortpflanzung des Virus. In der Zelle kommen aber Cytidin und Uridin weiterhin vor; sie braucht sie ja für ihren eigenen Stoffwechsel. Daher entstehen trotz Molnupiravir-Gabe zu einem gewissen Teil auch funktionale Viren.

Aber den Studienresultaten zufolge dürfte Molnupiravir die Syntheserate so weit bremsen, dass der Krankheitsverlauf deutlich abgemildert wird. Optimistisch stimmt zudem, dass die Methode auch gegen andere RNA-basierte Viren helfen könnte; sie war ursprünglich gegen Grippeviren angedacht.

Offen ist aber, ob NHC auch im menschlichen Erbgut (der DNA) Fehler verursacht. NHC lässt sich zwar nicht direkt in die DNA einbauen, aber es gibt einen enzymatischen Weg, der aus RNA- DNA-Bausteine erzeugt. Eine Forschungsgruppe um Ronald Swanstrom hat gezeigt, dass NHC über diesen Umweg zumindest in Zellkulturen in das Erbgut eingebaut werden kann, wenn sich eine Zelle teilt (siehe ct.de/yye4).

Nun fordern Fachleute unabhängige Untersuchungen zu der Frage, ob diese Resultate auf Menschen übertragbar sind. Die Zellenkulturen wurden dem Wirkstoff 32 Tage lang ausgesetzt, während eine Behandlung mit Molnupiravir nur fünf Tage dauert. Laut MSD hätten in Tierversuchen selbst hohe Dosen des Wirkstoffes keine Mutationen ausgelöst. (dz@ct.de)

Fachbeiträge zu NHC: ct.de/yye4

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