c't 2/2021
S. 106
Test & Beratung
Videostreaming
Bild: Thorsten Hübner

Gruppengucken

„Social Viewing“: Gemeinsames Videoschauen auf Distanz

Einsame Abende vor dem TV oder am Mobilgerät gehören der Vergangenheit an: Mehrere Videostreamingdienste bieten ihren Nutzern jetzt die Möglichkeit, gemeinsam Filme, Serien und Dokumentationen zu schauen, auch wenn die Mitgucker in anderen Teilen der Stadt oder des Landes leben.

Von Nico Jurran und Stefan Porteck

Aktuell spaltet bei Videostreamingdiensten die Nutzerschaft kaum etwas so sehr wie eine Funktion, die Amazon Prime Video und Disney+ jüngst eingeführt haben: die Möglichkeit, gemeinsam Filme und Serien zu gucken – aber dabei jeder für sich zu Hause. 

Nach einer von Dolby in Auftrag gegebenen repräsentativen Studie haben weltweit 87 Prozent der erwachsenen Nutzer in den vergangenen sechs Monaten zum ersten Mal in ihrem Leben ein Unterhaltungsprogramm gemeinsam mit nicht physisch anwesenden Freunden oder Familie geschaut.

Wohlgemerkt ging es bei der Studie nicht um derartige Funktionen bei Streamingdiensten – die waren im Erhebungszeitraum bei Amazon Prime Video und Disney+ noch nicht gestartet. Vielmehr führten 45 Prozent der Befragten schlicht ein Telefonat während des gemeinsamen Guckens, während 44 Prozent den Mitguckern Nachrichten schickten. Danach folgten Video- und Textchats mit 43 respektive 41 Prozent.

Auch den Grund für den Wunsch, sich beim Schauen mit anderen auszutauschen, machten die Marktforscher aus. In Zeiten von Covid-19 vermissen viele Zuschauer den menschlichen Kontakt, wenn man mit Freunden oder Familie gemeinsam vor dem Fernseher sitzt.

Gruppenerlebnis

Der Wunsch nach gemeinsamen Seherlebnissen ist nicht erst durch Corona entstanden. Wie stark die Freude am gemeinsamen Schauen sein kann, zeigte sich in der jüngeren Vergangenheit immer wieder bei großen Sportübertragungen. Selbst wer zur Fußball-WM 2014 keine Fanmeile und keine Public-Viewing-Veranstaltung besucht hat, dürften sich noch daran erinnern, wie Götze im Finale in der Nachspielzeit den erlösenden Siegtreffer verwandelte. Der frenetische Jubel hallte aus fast jedem Wohnzimmerfenster in die Straßen – kollektiver Siegesrausch eines ganzen Landes vereint, obwohl die meisten nur in kleinen Gruppen gemeinsam vorm Fernseher saßen.

Früher ging die soziale Komponente des linearen Fernsehens deutlich über die eigentliche Ausstrahlung hinaus: Als man sich noch mit einer Handvoll TV-Sender begnügen musste, waren „Wetten, dass..?“ und der sonntägliche „Tatort“ praktisch Institutionen. Wer nicht mitschaute, der konnte am Montagmorgen in der Schule oder auf der Arbeit nicht mitreden. Mittlerweile buhlen hingegen unzählige TV-Sender um die Gunst der Zuschauers, „Straßenfeger“ im Fernsehen abseits des Sports werden immer seltener.

Einen Ausweg aus diesem Dilemma bietet seit einiger Zeit Twitter: Doku-­Soaps, Koch-, Talk- und Talentshows sowie Trash-TV jeglicher Art führen auf dem Kurznachrichtendienst regelmäßig zu regem Austausch und unzähligen Kommentaren. Kurzum: Alles, was im Fernsehen irgendwie fesselt oder polarisiert, hat mit Sicherheit einen eigenen Hashtag für die Twitter-Gemeinde. Und nicht selten sind die Kommentare zu den Sendungen unterhaltsamer als die Sendungen selbst.

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