c't 1/2021
S. 52
Aktuell
Konferenz in VR

Reden ohne reisen

Selbstversuch: Leute treffen in VR

Sind Meetings in VR weniger ­anstrengend als Videocalls? Ein ­Selbstversuch bei einem Event von HP in einem virtuellen Konferenzzentrum.

Von Jan-Keno Janssen

Lange Videokonferenzen nerven. Erstaunlich viele Firmen probieren deshalb alternative Formen aus, mit denen sich Menschen treffen können, ohne in der echten Welt herumreisen zu müssen. Wir haben einen Selbstversuch bei einer zweistündigen Pressekonferenz von HP gemacht. Das Ganze fand auf der Software-­Plattform Altspace statt, die mit VR-Headset oder auch auf einem normalen Monitor läuft.

Der Weg zum HP-Event ist einfach: Link in der Einladungs-Mail anklicken, fertig – zumindest, wenn die Altspace-­Client-Software für Windows installiert ist. HP hatte mir vorab das VR-Headset Reverb G2 geschickt (den Test dazu finden Sie in einer der nächsten c’t-Ausgaben), dieses Gerät und die Zukunft von VR waren auch Thema des Events.

Nach dem Zusammenstellen meines Avatars (ich entscheide mich für rote Zöpfe und ein Gesicht mit Sommer­sprossen) finde ich mich in einem großen virtuellen Raum mit einer Bühne wieder. Rund 50 andere Comic-Avatare stehen auf den Rängen – oder besser schweben, denn Beine gibt es nicht, die werden nämlich vom Headset nicht erfasst. Die Hände aber schon – weshalb man Altspace auch komplett mit natürlichen Handbewegungen steuern kann. Außerdem darf man gestikulieren. Im Konferenzraum kann ich sofort erkennen, wer ein Headset benutzt und wer einen 2D-Monitor: Die VR-Leute haben Hände, die anderen nicht.

Ich versuche, mich in dem vollbesetzten Saal irgendwo hinzustellen, wo ich die Bühne gut sehen kann und dennoch niemandem im Weg stehe. Als ich mich vor ein Grüppchen platziere, merke ich, dass die Leute genervt zur Seite gehen. Das peinliche Gefühl fühlt sich fast genauso an wie in Echt – ich versuche die Situation mit einem Lächel-Emoji zu entschärfen, das ich kinderleicht versenden kann: Schaue ich nach unten, gibt es dort einen Ring mit acht Icons, eines davon sind Emotionen. Drücke ich drauf, steigen Emoji-Symbole aus meinem Kopf auf.

Gestikulieren geht per Handcontroller.

Das Warten, bis das Spektakel auf der Bühne endlich losgeht, fühlt sich ebenfalls so an wie bei einer echten Veranstaltung. Doch während die Wartenden in der Realität auf ihren Smartphones herumdrücken würden, basteln hier viele an ihrem Avatar herum – das fällt auf, weil sich bei vielen auf einmal Nase, Mund oder Frisur ändern.

Nach der Begrüßung splittet sich die Veranstaltung in zwei unterschiedliche Vorträge auf. Im Foyer befinden sich zwei Teleport-Punkte: Stellt man sich auf den linken, geht es zur ersten Präsentation, über den rechten zur zweiten. Nach der Teleportation in einen neuen Raum sehe ich hinter mir einen Bar-Bereich, und tatsächlich hat sich auch ein Journalistenkollege hinter den Tresen gestellt – Getränke gibt es jedoch nicht, so weit ist die VR-Technik noch nicht.

Wie gut der 3D-Ton funktioniert, wird mir nach dem Vortrag klar. Wie bei echten Veranstaltungen finden sich hier die Teilnehmer in kleinen Grüppchen zusammen, um noch ein wenig zu plaudern. Ich stelle mich zu einer dazu und kann problemlos zuhören – tatsächlich ist der Ton besser als in der Realität, denn es fehlt der „Viele Leute in einem Raum“-Lärmpegel, die Software blendet alles aus, was mehr als ein paar virtuelle Meter entfernt ist. Mir fällt ein deutscher Name über einem Avatar auf, ich traue mich ihn anzusprechen – und sofort kommen wir auf Deutsch ins Fachsimpeln. Ein anderer Avatar schwebt dazu und fragt auf Englisch, ob wir aus Deutschland kommen – und mir wird klar: Das lockere Geplaudere, das bei Videomeetings nicht funktioniert, klappt hier tatsächlich problemlos.

Fazit des Selbstversuchs

Perfekt rund laufen Meetings in VR noch nicht, aber man spürt sofort die Vorteile gegenüber Video-Meetings: Man muss nicht stillsitzen, man muss sich keine Sorgen machen, dass man einen Krümel am Mund hat, man muss keine Angst haben, dass peinliche Dinge im Videohintergrund passieren – schließlich sehen mich die ­anderen Event-Teilnehmer nur als Comic-­Avatar. Durch die Möglichkeit, sich vir­tuell zu bewegen, sind auch stressarme Meetings mit vielen Menschen möglich, denn es können sich unkompliziert und organisch Grüppchen bilden. Was mich aber am meisten überrascht hat: Auch nach anderthalb Stunden VR-Meeting fühle ich mich deutlich weniger ausgelaugt als nach einer Videokonferenz. Wenn das jetzt noch mit den virtuellen Getränken klappen würde … (jkj@ct.de)

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