c't 24/2020
S. 3
Standpunkt

Kundenbewertungen: Sterne gegen Taler

Ich staunte nicht schlecht, als ich von Amazon meine neue Schutzfolie fürs Smartphone bekam. Ausgewählt hatte ich "Amazon's Choice" des chinesischen Herstellers MSOVA. Verifizierte Käufer attestierten in 5-Sterne-Bewertungen die "sehr gute Qualität", es "passt perfekt" und sei "bester Schutz für das Display". Zum Beweis posteten die Käufer zahlreiche Fotos.

Eine Ursache für die Lobpreisungen fand ich in der Packung: Dort lag eine auf Hochglanzkarton gedruckte "amazon gift card" mit offiziellem Amazon-Logo im Wert von 20 Euro: "Leave 5 stars comment you can get €20 (€15 for review, extra €5 if you review with product pictures)." Zum Beweis sollte ich die Order-ID zusammen mit einem "Shotscreen" an eine Mailadresse senden. Gezahlt werde per PayPal. Damit hätte ich also Geld verdienen können, schließlich hatte ich nur knapp zehn Euro für die Folie gezahlt.

Nachdem wir Amazon aufmerksam gemacht hatten, löschte der Online-Händler zwar besagtes Produkt aus seinem Angebot. Zig andere Folien desselben Herstellers mit ebenso fragwürdigen 5-Sterne-­Bewertungen werden aber weiterhin auch als "Amazon's Choice" beworben.

Amazons Ringen um Glaubwürdigkeit ist ein Kampf gegen Windmühlen. Und da der Konzern kräftig mitverdient, dürfte seine Motivation, solche gekauften Bewertungen auszusortieren, nicht besonders hoch sein. Wie groß das Problem ist und welche Risiken Sterneverkäufer dabei eingehen, deckt unser Artikel auf Seite 40 auf.

Das Beispiel Amazon zeigt, wie korrumpiert das System der Kundenbewertungen inzwischen ist. Es würde mich nicht wundern, wenn findige Käufer daraus ein Geschäft machten: Sie bestellen jede Menge Billigprodukte, posten 5-Sterne-Bewertungen, kassieren die Prämien und retournieren das Zeug.

Was chinesische Firmen hier perfektioniert haben, nennen Werbeprofis "Incentive Marketing". Das klappt nicht nur auf Amazon: Auch manche Restaurants geben Gästen einen aus, wenn sie den Laden auf Tripadvisor loben. Für mich als Kunde heißt das, dass ich 5-Sterne-Jubeleien künftig generell ignoriere und mir zuverlässige Beratung aus unabhängigen Quellen hole. Eine solche halten Sie übrigens in den Händen.

Hartmut Gieselmann

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