c't 13/2020
S. 16
Aktuell
Überwachung
Bild: Julian Stratenschulte/dpa

Vogelfrei war ­gestern

Der BND muss seine Massenüberwachung zurückfahren

Es ist ein später Erfolg für Edward Snowden und Bürgerrechtler: Das Bundesverfassungsgericht drosselt mit einem wichtigen Urteil den ­Datenstaubsauger des Bundes­nachrichtendienstes.

Von Dr. Stefan Krempl

Sieben Jahre liegt es mittlerweile ­zurück, dass NSA-Whistleblower ­Edward Snowden ein globales System geheimdienstlicher Massenüberwachung enthüllte. Die Konsequenzen für den Bundesnachrichtendienst (BND) folgen erst jetzt: Mitte Mai hat das Bundesverfassungsgericht die Überwachung des weltweiten Internetverkehrs durch die deutschen Spione für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt.

Das Urteil ist ein Paukenschlag. Erstmals erklären die Richter ganz deutlich, „dass sich der Schutz der Grundrechte gegenüber der deutschen Staatsgewalt nicht auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt“. Der BND muss künftig weltweit etwa das Fernmeldegeheimnis und die Pressefreiheit wahren.

Vorgebracht hatten die Beschwerde sieben größtenteils im Ausland arbeitende Journalisten sowie die Institution Reporter ohne Grenzen. Unterstützt wurde die Klage unter anderem von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). „Dass deutsche Behörden auch im Ausland an das Grundgesetz gebunden sind, stärkt die Menschenrechte weltweit erheblich und auch die Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt“, betonte die GFF nach der Urteilsverkündung.

Aus Sicht der Beschwerdeführer ­Christian Mihr (Reporter ohne ­Grenzen, links) und Ulf Buermeyer (Gesellschaft für Freiheitsrechte) stärkt das ­Urteil auch die „Glaubwürdigkeit Deutschlands in der Welt“.
Bild: Uli Deck/dpa

Ausländer schutzlos

Die Klage drehte sich um die „strategische Fernmeldeaufklärung“ durch den BND. Der Dienst darf die von ihm mitgeschnittene internationale Telekommunikation mit hunderttausenden Selektoren wie Telefonnummern, E-Mail-Adressen oder Pseudonymen von Nutzern durchforsten. Und er sammelt riesige Datenmengen: Rein technisch ist der Dienst laut aktuellen Medienberichten in der Lage, allein am Frankfurter Internetknoten DE-CIX rund 1,2 Billionen Verbindungen pro Tag auszuleiten.

Das BND-Gesetz schützt dabei nur die Kommunikation deutscher Staats­angehöriger und von Menschen, die in Deutschland leben. Ihre Anschlüsse dürfen nicht erfasst werden und müssen aussortiert werden.

Ausländer im Ausland galten jedoch bislang als vogelfrei: Ihre Kommunikation sei „zum Abschuss freigegeben“, ließ ein BND-Mitarbeiter 2014 im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags wissen. Der BND hörte aber auch Deutsche im Ausland ab. Laut seiner „Funktionsträgertheorie“ standen diese nämlich außerhalb der nationalen Rechtsordnung, wenn sie etwa für ein ausländisches Unternehmen agierten. Ebenfalls durch den NSA-Ausschuss bekannt wurde die „Weltraumtheorie“: Aus Sicht der BND-Chefs galten die Grundrechte nicht im All, wo die internationale Kommunikation über Satelliten laufe.

Für und Wider

Nun vollzog der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts die Wende. Die Richter zerpflückten BND-Argumente wie die Funktionsträger- und die Weltraumtheorie. Die Grundrechte schützten Betroffene bei allen Handlungen des deutschen Staates, „unabhängig davon, an welchem Ort, gegenüber wem und in welcher Form“.

Besonders erschwerend falle die außerordentliche Streubreite der strategischen Aufklärung ins Gewicht, arbeiteten die Richter heraus. „Das Instrument erlaubt heute, tief in den Alltag hinreichende, auch höchst private und spontane Kommunikationsvorgänge zu analysieren und zu erfassen sowie bei der Internet­nutzung zum Ausdruck kommende In­teressen, Wünsche und Vorlieben aufzuspüren.“

Andererseits werde die Bundesregierung durch den BND „mit Informationen für ihre außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen“ versorgt, mit denen sie „sich im machtpolitischen Kräftefeld der internationalen Beziehungen“ behaupten und „folgenreiche Fehlentscheidungen“ vermeiden könne. Insoweit gehe es mittelbar auch um die demokratische Selbst­bestimmung und den Schutz der ver­fassungsrechtlichen Ordnung.

Hausaufgaben für die Legislative

Ganz schlägt der 1. Senat der Bundes­regierung das Überwachungswerkzeug deshalb nicht aus der Hand. Er meint, dass es verhältnismäßig ausgestaltet werden könne. Die beanstandeten Vorschriften des BND-Gesetzes aus dem Jahr 2016 gelten daher bis zum Jahresende 2021 fort. Bis dahin muss Berlin neue Regeln erlassen – unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Anforderungen.

Die Befugnis, Verbindungs- und Stand­ortdaten im Rahmen der Auslandsüberwachung zu speichern und zu bevorraten, müsse „hinsichtlich der davon erfassten Datenströme begrenzt bleiben“, gaben die Richter vor. Eine Speicherdauer von sechs Monaten dürfe nicht überschritten werden.

Die weiteren, teils sehr detaillierten Vorgaben zeigen, dass die Richter Schlüsse aus dem NSA-BND-Skandal gezogen haben. Der Gesetzgeber soll demnach den Schutz von Vertraulichkeitsbeziehungen etwa für Journalisten und Anwälte stärken. Eine breite Lücke soll hier aber bleiben: Das Gericht hält keinen Quellenschutz für nötig, wenn die Spionage allein der „politischen Information“ der Regierung dient. Für den Transfer von Informationen an ausländische Stellen bedürfe es jedoch klarer Vorgaben, Abkommen unter Geheimdiensten dürften nicht pauschal für geheim erklärt werden. Der individuelle Rechtsschutz der Betroffenen müsse durch eine ausgebaute Kontrolle erhalten werden.

Karlsruher Kurswechsel

Das Verfassungsgericht weicht mit dem Urteil auch von seiner eigenen langjährigen Rechtsprechung zu Geheimdiensten ab. Seit dem „Abhörurteil“ von 1970 hatte es den Sicherheitsbehörden immer wieder umfassende Schnüffelbefugnisse zugestanden. Noch 1999 wies es die Beschwerde eines Ausländers gegen die schrankenlose Überwachung zurück.

Selbst der Coup der NSA, dem BND Suchbegriffe in die Selektorenlisten zu schmuggeln, die zu Spionage für die US-Amerikaner auch bei deutschen Industriebetrieben und zum berüchtigten „Ausspähen von Freunden“ führten, brachte das Gericht nicht davon ab. Dem NSA-Ausschuss des Bundestags verweigerte es vor fünf Jahren noch die Einsicht in die Suchmerkmale mit dem Argument, dass dem das Interesse der Regierung an funktionsgerechter Aufgabenwahrnehmung und Geheimhaltung gegenüberstünden. (cwo@ct.de)

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