c't 10/2020
S. 3
Standpunkt

Datenschutz in der Krise

Um den kollektiven Lockdown früher zu beenden, schlagen IT-Experten in aller Herren Länder den Einsatz smarter Tracing-Apps vor. Sie sollen Kon­taktdaten sammeln und Infizierte frühzeitig warnen (siehe Seite 14). Dabei drücken Befürworter mächtig auf die Tube und kontern Kritiker mit steigenden Todes- und sinkenden Wirtschaftszahlen.

Doch bei aller gebotenen Eile wäre es fatal, sämtliche Rettungsringe in Form von Datenschutzmaßnahmen als vermeintlichen Ballast über Bord zu werfen. Eine smarte Überwachung – ist sie erst einmal etabliert – wird nicht in zwei ­Wochen wieder abgeschaltet. Sie wird uns mehrere Monate, wenn nicht gar Jahre erhalten bleiben. Auf SARS-CoV-2 folgt womöglich SARS-CoV-3.

Ein freiwillig genutzter Tracer hat ohne das Vertrauen der Öffentlichkeit keine Chance. ­Nachdem Emotet diverse Kliniken lahmlegte und Sicherheitsforscher haarsträubende Mängel bei der Vernetzung von Praxen aufdeckten, reagiert die Öffentlichkeit inzwischen äußerst sensibel, wenn es um IT-­Schlampigkeiten in der ­Medizin geht. Schon ein kleiner Datenskandal beim ­Tracing würde ­reichen, jegliches Vertrauen in die Technik zu verspielen.

Deshalb ist es umso wichtiger, dass Firmen den Datenschutz nicht bloß als Buzzword zur Werbung begreifen, sondern auch für die nötige Trans­parenz sorgen. Dazu gehören nachvollziehbare Log-­Dateien von Datenübertragungen ebenso wie öffent­liche Quelltexte. Unab­hängige IT-Experten könnten die Apps dann gründlich auf ­Fehler abklopfen. Und es würde den Wind aus den Segeln von Verschwörungstheorien nehmen, die hinter solchen Apps per se gezielte Angriffe auf die bürgerliche Freiheit vermuten.

Europa ist dank der DSGVO in puncto Datschutz deut­lich besser aufgestellt als Asien oder Ame­rika. Selbst Apple und Google orientieren sich bei ihren Tracing-Apps an datenspar­samen Konzepten der PEPP-PT, einem europä­ischen Zusammenschluss von Universitäten und Firmen. Diese Vorreiter­rolle dürfen andere Unternehmen aber nicht durch intransparente Improvisationen wie die Daten­spende-App (siehe Seite 37) verspielen. Denn eine digitale Medizin, die aufgrund ihrer Nebenwir­kungen kaum einer nimmt, verpufft wirkungslos.

Hartmut Gieselmann

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