Vorsicht, Kunde: Netto-Balkonkraftwerk liefert keine Energie

Solaranlagen boomen. An dem Geschäft wollen auch Lebensmittel-Discounter verdienen. Doch bei Reklamationen sieht der Service nicht immer sonnig aus.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Tim Gerber
Inhaltsverzeichnis

Balkonkraftwerke gibt es inzwischen fast an jeder Ecke. So bot der Lebensmittelhändler Netto im Februar in seinem Online-Shop eine steckerfertige Photovoltaikanlage für 641 Euro an. Neben zwei Solarmodulen mit je 410 Watt enthielt das Angebot einen 600-Watt-Wechselrichter mit WiFi zur Überwachung der Stromproduktion per zugehöriger Smartphone-App.

Am 12. Februar bestellte Torsten P. ein solches Solarpaket. Geliefert wurde es in drei Teilen an drei aufeinander folgenden Tagen. Als die Lieferung dann am letzten Tag, dem 24. Februar, endlich komplett war, baute Torsten P. die Anlage gemäß der Anleitung zusammen und schloss sie ans Stromnetz an. Als er am kommenden Tag nachschaute, hatte die Anlage seit ihrem Anschluss laut App gerade mal 0,02 Kilowattstunden Strom produziert. Trotz voller Sonne zeigte sie überhaupt keine Leistung an. Als Temperatur des Wechselrichters meldete die App dafür mysteriöse 1787 Grad Celsius. Eigentlich hatte er seiner tendenziell skeptischen Ehefrau stolz die bereits erzielte Einsparung vorführen wollen. Nun sah er sich weiteren Diskussionen ausgesetzt.

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Verzweifelt probierte er es an verschiedenen Steckdosen im Haus. Nachdem das nichts gebracht hatte, verband er alle Anschlüsse neu, probierte die Module einzeln und installierte die App erneut auf seinem Smartphone; doch nichts änderte sich: Die rote LED am Wechselrichter leuchtete dauerhaft, die angezeigte Leistung blieb bei null und die Temperaturanzeige verharrte bei 1787 Grad.

Die zum Wechselrichter gehörende App zeigte am zwölften Tag keine Leistung mehr an und an den folgenden bei Sonne eine zu geringe Produktion.

(Bild: Torsten P.)

Am Abend des 25. Februar schrieb Torsten P. deshalb eine E-Mail an den Netto-Shop und schilderte sein Problem. Am 27. Februar bestätigte Netto den Eingang der Reklamation. Man habe sie weitergeleitet und werde "in Kürze" über das weitere Vorgehen informieren. Am Morgen des 28. Februar schrieb Torsten P. dann eine E-Mail an den Lieferanten der Solaranlage, die Berliner Firma EveMotion, und fragte dort, was er tun könne.

Am Abend wandte er sich erneut per E-Mail an den Netto-Shop und schilderte dort, dass er die Hotline für die Solaranlage beim Lieferanten trotz vieler Versuche nicht erreichen könne, weil die Verbindung stets nach wenigen Sekunden abbreche. Auf seine E-Mail vom Morgen hatte auch niemand reagiert. Deshalb nutzte der Kunde nun ausdrücklich sein 14-tägiges Widerrufsrecht.

Da P. die schweren und sperrigen Solarmodule nicht wieder abmontieren und verpacken wollte, bot er Netto an, dass er die Module behält und das Unternehmen ihm nur den Kaufpreis für den vermutlich defekten Wechselrichter erstattet. Das würde ihm die Arbeit ersparen und die Umwelt schonen. P. bat Netto, ihm ein entsprechendes Angebot zu unterbreiten.

Am 1. März antwortete Netto, man werde alles Notwendige in die Wege leiten, damit er den Wechselrichter kostenfrei zurücksenden könne. Einige Stunden später teilte der Shop mit, statt einer Erstattung habe man den Versand eines neuen Wechselrichters in die Wege geleitet und ihm ein Retourenlabel für das defekte Bauteil erstellt. Doch P. wollte keinen neuen Wechselrichter von Netto, sondern lieber selbst einen geeigneten kaufen. Am 2. März schrieb ihm der Lieferant EveMotion: Selbstverständlich stehe ihm der Widerruf innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen zu. Man wolle aber im Sinne der Kundenzufriedenheit gern erfahren, was der Grund sei. Offenbar hatte Netto den Grund der Reklamation nicht an den Lieferanten weitergegeben, was Torsten P. nun in einer ausführlichen Mail nachholte und erneut um ein Angebot zum Erwerb der Solarmodule ohne den Wechselrichter bat.

Am 3. März schrieb EveMotion, dass man dort tatsächlich keine Informationen von Netto erhalten habe und der Ersatz-Wechselrichter aufgrund der Reklamation vom 28. Februar bereits vor zwei Tagen versandt worden sei. Seinen Widerruf habe man bereits im System vermerkt, er könne den zweiten Wechselrichter aber gern testen. Alternativ habe man auch noch ein anderes Modell im Angebot. Torsten P. erkundigte sich, ob es sich bei der Alternative um das Wechselrichtermodell Deye 600 Watt SUN600G3-EU handle, welches er auf der Webseite von EveMotion entdeckt hatte, und ob man ihm dieses im Tausch anbieten wolle. Der Lieferant bestätigte, dass man ihm dieses Modell anbieten könne, und fragte nach, ob man den Tausch vornehmen solle.

Nachdem der Kunde dies bejaht hatte, gab EveMotion das Alternativmodell in den Versand und bat Torsten P., die beiden anderen Wechselrichter mit dem bereits erhaltenen Label zurückzuschicken. Noch am selben Tag packte P. die beiden Wechselrichter in einen Karton und sandte sie zurück. Das Kabel zum Anschluss der Anlage ans Stromnetz behielt er, weil er nur eines hatte und so davon ausging, dass auch der neue Wechselrichter ohne Anschlusskabel geliefert werden würde.

Service im Visier
Vorsicht Kunde!

Immer wieder bekommen wir E-Mails, in denen sich Leser über schlechten Service, ungerechte Garantiebedingungen und überzogene Reparaturpreise beklagen. Ein gewisser Teil dieser Beschwerden ist offenbar unberechtigt, weil die Kunden etwas überzogene Vorstellungen haben. Vieles entpuppt sich bei genauerer Analyse auch als alltägliches Verhalten von allzu scharf kalkulierenden Firmen in der IT-Branche.

Manchmal erreichen uns aber auch Schilderungen von geradezu haarsträubenden Fällen, die deutlich machen, wie einige Firmen mit ihren Kunden umspringen. In unserer Rubrik „Vorsicht, Kunde!“ berichten wir über solche Entgleisungen, Ungerechtigkeiten und dubiose Geschäftspraktiken. Damit erfahren Sie als Kunde schon vor dem Kauf, was Sie bei dem jeweiligen Unter nehmen erwarten oder manchmal sogar befürchten müssen. Und womöglich veranlassen unsere Berichte ja auch den einen oder anderen Anbieter, sich zukünftig etwas kundenfreundlicher und kulanter zu verhalten.

Falls Sie uns eine solche böse Erfahrung mitteilen wollen, senden Sie bitte eine chronologisch sortierte knappe Beschreibung Ihrer Erfahrungen an: vorsichtkunde@ct.de.

Doch als der neue Wechselrichter ankam, stellte der Kunde fest, dass diesem ein anderes Anschlusskabel beilag. Deshalb schrieb er am 12. März an EveMotion, dass er den Wechselrichter angeschlossen habe und dieser funktioniere und fragte nach einem Label für den Rückversand des ursprünglichen Anschlusskabels. Tags darauf antwortete EveMotion, er möge das Kabel auf eigene Kosten zurücksenden.

Es folgte ein Hickhack um die Rücksendekosten. Tatsächlich hatte EveMotion den Kunden lediglich aufgefordert, die Wechselrichter zurückzusenden. Gegen die Behauptung, das Kabel gehöre zum ursprünglichen Wechselrichter, sprach, dass es in dem Paketangebot als einzelner Posten aufgeführt war. Darauf wies Torsten P. den Lieferanten zu Recht hin.

Der neue Wechselrichter tat einstweilen wie vorgesehen seinen Dienst. Doch bereits nach elf Tagen Betrieb, am 19. März, zeigte die zugehörige App den Wechselrichter bei bestem Sonnenschein zwar online an, aber ohne Energieproduktion. In den folgenden Tagen war die Leistung bei guter Sonnenstrahlung viel zu gering. Am 21. März packte Torsten P. auch diesen Wechselrichter in den Karton und sandte ihn zusammen mit allen Kabeln zurück zu EveMotion. Das Retourenlabel hatte er am selben Tag von Netto erhalten. Per E-Mail forderte er bei EveMotion nun ein weiteres Austauschgerät oder den Kaufpreis für den Wechselrichter zurück.

Doch es geschah nichts mehr. Der Lieferant hüllte sich in eisernes Schweigen. Am 16. April wandte sich Torsten P. nochmals an Netto und schilderte den gesamten Vorgang. Anstelle seines Rücktritts vom Kauf schlug er zum wiederholten Male eine Erstattung des Wechselrichterpreises vor. Da auch darauf eine Reaktion ausblieb, setzte der Kunde Netto per Kontaktformular eine letzte Frist bis zum 2. Mai. EveMotion antwortete am 26. April, dass der Widerruf außerhalb der 14-Tage-Frist erfolgt sei und er zudem ja einen Austauschwechselrichter erhalten hätte. Am 28. April erkundigte sich der Lieferant dann, wie der Kunde denn festgestellt habe, dass kein Strom produziert werde? Ob er ein Leistungsmessgerät verwendet habe?

Nach Ablauf der gesetzten Frist am 2. Mai schrieb Torsten P. nochmals an beide Unternehmen und erklärte nun notgedrungen seinen Rücktritt vom Kaufvertrag für die gesamte Anlage, da man auf sein Angebot der Kaufpreisminderung nicht reagiert hatte. Am 6. Mai machte P. die c’t-Redaktion auf den Vorgang aufmerksam.

Wir fragten am 10. Mai bei beiden Unternehmen nach, ob sie den zweiten defekten Wechselrichter denn nicht längst zurückerhalten hätten und ob sie ihn nicht selbst prüfen wollten, anstatt den Kunden zu fragen, ob er ein Leistungsmessgerät verwendet habe. Schließlich ist das nichts, was jeder Haushalt besitzt. Und warum hatte der Kunde drei Monate nach dem Kauf noch immer keine funktionierende Solaranlage?

Am 13. Mai meldete sich EveMotion bei Torsten P. und fragte ihn nach seiner telefonischen Erreichbarkeit. Aufgrund von Urlaub und Feiertagen kam ein Gespräch mit dem Kunden erst am 23. Mai zustande. Dieses hatte immerhin zum Ergebnis, dass ihm die 169 Euro für einen anderen Wechselrichter, den er sich inzwischen gekauft hatte, erstattet werden sollen. Für Torsten P. war die Sache damit erledigt. Endlich konnte er seine bessere Hälfte überzeugen, dass sich die Anschaffung am Ende doch gelohnt hatte.

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