Kommentar zum Digital Markets Act: Der Dosenöffner gegen Digitalkonzerne

Der DMA ist ein gewagter Versuch der EU, endlich die Lock-in-Macht der großen Konzerne aufzubrechen. Alternativ werden sie zerschlagen, meint Falk Steiner.

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(Bild: Generiert mit Midjourney durch iX)

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Von
  • Falk Steiner

Der Digital Markets Act der EU ist ein gewagter Versuch: Er soll per Wettbewerbsrecht Probleme adressieren, die speziell in digitalen Märkten auftreten. Und es ist klar, welche das sind – denn vor allem Lock-in-Effekte, die Kunden den Wechsel zwischen verschiedenen Anbietern erschweren, sind für die Digitalwirtschaft typisch. Der praktische Wechsel von einem großen Anbieter zu einem anderen wird durch unterschiedliche Strukturen und Formate nicht bloß erschwert. Er ist praktisch oft schlicht unmöglich. Denn Interoperabilität – und sei es nur in Teilbereichen – ist kaum vorgesehen.

Ein Kommentar von Falk Steiner

Falk Steiner ist Journalist in Berlin. Er ist als Autor für heise online, Tageszeitungen, Fachnewsletter sowie Magazine tätig und berichtet unter anderem über die Digitalpolitik im Bund und der EU.

Ein Zusatzproblem sind große Unternehmen, die vertikal und horizontal integriert sind. Was für klassische Wirtschaftszweige kaum möglich war, im digitalen ist es zu oft Standard: Endgeräteanbieter sind zugleich Hardwarehersteller, ferner Softwareentwickler und betreiben vielleicht sogar auch noch Werbeplattformen. Die digitale Wertschöpfungskette fördert Monopole und es gibt keinerlei Anreiz für die Anbieter, daran etwas zu ändern, um Wettbewerb zuzulassen – die Kasse klingelt umso zuverlässiger.

Vom Browser-Bundling bei Windows bis hin zur Selbstbevorzugung von Mobilbetriebssystemanbietern per nicht deinstallierbarer Defaultsoftware: Google, Apple, Microsoft und andere haben sich hier nicht mit Ruhm bekleckert. Jetzt soll der DMA solchen Praktiken den Garaus machen. Dabei ist er nicht in erster Linie als Verbraucherschutzgesetz gedacht, auch wenn Nutzer sich über die neuen Vorschriften freuen dürfen: Dass die großen Over-the-Top-Messenger wie WhatsApp sich für Kommunikationsmöglichkeiten mit Drittanbietern öffnen müssen, könnte einen großen Unterschied im Alltag machen.

Doch der DMA soll viel Größeres schaffen: Er soll wie ein Dosenöffner funktionieren. Die großen Anbieter sollen zur Standardisierung und zu Schnittstellen gezwungen werden, damit Dritte bessere oder zumindest konkurrenzfähige Produkte entwickeln können.

Aber das Gesetz läuft auch Gefahr, hauptsächlich Pflichten zu produzieren, die Hersteller so umsetzen, dass sie vor allem nervige Abfragen statt echter Auswahl produzieren. Schon bei der Datenschutzgrundverordnung war man in Brüssel auf die Idee gekommen, die Interoperabilität per Gesetz anzuordnen und das Mitnehmen der eigenen Daten von einem zum anderen Anbieter per Gesetz zu erlauben. Praktisch spielt das bis heute so gut wie keine Rolle.

Weder existieren sinnvolle Formatvorgaben – noch sind neue Anbieter entstanden, die die jeweiligen Nutzerdaten einer neuen, sinnvollen Verwendung zuführen. Selbst der derzeit so gehypte Twitter-Klon Bluesky hat keine Option mitgebracht, die aus X (ehemals Twitter) exportierbaren personenbezogenen Daten dort einspielen zu können.

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Dabei dürfen sich die betroffenen Konzerne über die neuen Regelwerke nicht beschweren: Die Alternative zur Interoperabilität und Einschränkung wäre die Zerschlagung. Es ist allerdings noch vollkommen offen, ob der DMA wirklich mehr Wettbewerb ermöglicht.

Natürlich wäre es von Vorteil, wenn etwa Kartendienste und deren Datenschatz – immerhin von Nutzern hinzugefügt oder aus Mobilfunkdaten geschürft – auch für Dritte nutzbarer werden. Und die Erfolgschancen für neue Anbieter steigen, wenn Telefone nicht zwingend immer die vom Betriebssystemanbieter entwickelten Programme enthalten müssen. Doch ob die Nutzer diesen Schritt mitgehen und Konkurrenz tatsächlich das Geschäft so belebt, wie von EU-Kommission, Europaparlament und Mitgliedstaaten erhofft? Das kann erst die Anwendungspraxis zeigen.

Der DMA wird sich auch an anderer Stelle erst beweisen müssen. Im Bundesinnenministerium etwa wird seit Langem gehofft, dass der DMA Apple dazu zwingt, das Secure Element der iPhones zu öffnen. Damit soll die digitale ID-Lösung des elektronischen Personalausweises alltagstauglich werden. Gespräche mit Apple hierzu waren bislang fruchtlos. Apple wiederum sieht die Gefahr, seine verhältnismäßig sichere Infrastruktur für Dritte aufbrechen zu müssen.

In der Zukunft könnte der DMA oder eine Regelung, die aus dessen Anwendung lernt, eine ganz andere Bedeutung erlangen. Und dabei geht es nicht in erster Linie um den klassischen Markt für digitale Güter, sondern um ganz andere Branchen, etwa die Autoindustrie. Die Pkw-Digitalisierung schreitet in großen Schritten voran, doch die Branche ist – auch durch eigene Fehler – abhängig von großen digitalen Dienstleistern. In Zukunft könnten Softwarehersteller die Dominanz über die Fahrzeughersteller erlangen. Und je mehr Realdaten sie erhalten, umso besser können sie ihre Produkte auf die Realität und die Bedürfnisse ausrichten. Es droht ein Lock-in-Effekt mit einem De-facto-Monopol oder Oligopol. Noch sind es vor allem die Autohersteller selbst, die ihre Systeme vor dem Zugriff Dritter abschotten. Aber dass auf dem Weg zum autonomen Fahren ganz andere Akteure maßgeblich werden, gilt als wahrscheinlich. Und auch in der Landwirtschaft, im Building Information Modeling und anderen Sektoren drohen ähnliche Entwicklungen.

Die Kommission wendet den DMA erst einmal auffallend zurückhaltend an – Cloud-Anbieter etwa hat sie keine benannt. Dabei gehört der Markt zu den strukturell relevantesten. Als ob die EU-Kommission selbst etwas Angst vor dem hätte, was sie durch ihre Vorgaben auslösen könnte.

Dass mit dem Gesetz nun Erfahrungswerte gesammelt werden, wie technische Monopolisierung verhindert werden kann, ist gut. Denn dass ein funktionierender Wettbewerb nötig ist, um Marktkräfte effizient wirken zu lassen, ist unumstritten. Ob das über die nun gefundenen Ansätze für Digitalmärkte tatsächlich gelingen kann – die EU muss es herausfinden. Und die Nutzer gleich mit.

Bei diesem Kommentar handelt es sich um das Editorial der kommenden iX 10/2023, die am 22. September erscheint.

(fo)