Kommentar: Erst verteufeln, dann selber so machen – Red Hats idiotischer Murks

In Echtzeit mutiert Red Hat von einer Open-Source-Vorzeigefirma zu einer gewöhnlichen Bude: Prinzipien sind stets egal, wenn sie den Geschäftszahlen schaden.

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(Bild: Arsgera/Shutterstock.com / Bearbeitung: heise online)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Martin Gerhard Loschwitz
Inhaltsverzeichnis

Als 2019 die Meldung die Runde machte, IBM kaufe Red Hat, schlugen nicht wenige Beobachter in der Open-Source-Community die Hände über dem Kopf zusammen. Zwar hat IBM einen eigenen, durchaus beachtlichen Open-Source-Fußabdruck – doch ist Big Blue auch berüchtigt dafür, selbst fundamentalste Prinzipien eingekaufter Firmen über Bord zu werfen, wenn sich dadurch hier und dort noch ein paar zusätzliche Dollar verdienen lassen. Immer klarer wird, dass die Sorgen durchaus berechtigt waren: Denn unter IBMs Ägide leistet Red Hat sich nicht nur Totalausfälle in Serie, sondern mutiert obendrein zu einer gewöhnlichen Softwarefirma, für die Prinzipien wie jene der Open-Source-Szene schmückendes, aber lästiges Beiwerk sind.

Ein Kommentar von Martin Gerhard Loschwitz

Martin Gerhard Loschwitz ist freier Journalist und beackert regelmäßig Themen wie OpenStack, Kubernetes und Ceph.

Die Liste der geschossenen Böcke ist dabei insbesondere in den vergangenen Monaten rapide gewachsen. Weil es im Strom der täglichen Meldungen aktuell ohnehin nicht weiter auffällt, setzte man beispielsweise im Mai 2023 über 1200 Leute vor die Türe. Darunter praktisch das gesamte Team hinter opensource.com, einer von Red Hat gepflegten Seite, die über die kommerziellen Einsatzmöglichkeiten freier Software in Form von Anleitungen und Nachrichtenartikeln schrieb. Einen Ersatz wird es aller Voraussicht nach zumindest von Red Hat nicht geben.

Um Zehnerpotenzen schlimmer jedoch ist der nachgerade idiotische Murks, den Red Hat seit über zwei Jahren bei CentOS fabriziert. Zur Erinnerung: Ursprünglich war CentOS ein Community-Projekt, das einen freien RHEL-Klon produzierte, für den keine Subskriptionsgebühren anfielen. Als man sich bei Red Hat noch offiziell auf der Seite der Guten wähnte, holte man CentOS schließlich unter das eigene Dach und finanzierte das Projekt. Doch damit ist es längst vorbei: Ende 2020 verkündeten die roten Hüte, schon im IBM-Besitz, dass es das klassische CentOS künftig so nicht mehr geben werde, weil CentOS in Form von CentOS Stream zur Upstream-Distribution für RHEL werden sollte. Die Open-Source-Community reagierte, wie sie in solchen Fällen immer reagiert: Sie schuf gleich mehrere Alternativen in Form von Rocky Linux und AlmaLinux, dank derer Administratoren auch künftig ein freier RHEL-Klon zur Verfügung stehen sollte.

Das ist übrigens für viele Unternehmen viel wichtiger, als es im ersten Moment den Anschein hat: Vielerorts kommt etwa CentOS, Rocky oder Alma in der Entwicklung sowie im Testbed zum Einsatz, weil man dort die teuren Red-Hat-Subskriptionen weder braucht noch bezahlen möchte. Andere Unternehmen sind Red-Hat-affin und benötigen eine stabile Basis-Distribution für ihr System, ohne Geld für Support ausgeben zu können oder zu wollen; insbesondere in kleineren Firmen, in denen IT eher als Neben- denn als Hauptprodukt läuft, lässt sich Geld für Softwaresupport nur schwer aus den Rippen der Budgetverantwortlichen leiern.

An dieser Stelle könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein, aber so leicht gibt man sich bei Big Blue offensichtlich nicht geschlagen. Denn statt den inoffiziellen CentOS-Nachfolgern im besten Sinne der F/LOSS-Gepflogenheiten viel Erfolg zu wünschen, folgte letzte Woche gleich die nächste Breitseite in Richtung Open-Source-Welt: Künftig, so Red Hat, werde man die Quellen der RPM-Pakete für RHEL nicht mehr unter git.centos.org veröffentlichen, sondern nur noch an zahlende Kunden ausliefern. Für die gerade erst entstandenen CentOS-Derivate ist das eine existenzielle Bedrohung – denn deren zentrale Arbeit besteht darin, eben jene Pakete neu zu bauen, RHEL-spezifische Komponenten zu entfernen und aus den Artefakten eine neue, RHEL-kompatible Distribution zu erschaffen. Ohne die frei zugänglichen RHEL-Quellen ist das vielleicht nicht unmöglich, ganz sicher aber deutlich aufwendiger.

Red Hats Schritt ist durchaus bemerkenswert. Landauf wie landab wurden prominente Vertreter des Unternehmens in der Vergangenheit nämlich nicht müde, etwa auf Konferenzen genau jenes Geschäftsmodell zu verteufeln, das Red Hat nun selbst praktiziert. Es handele sich, so der einstige Tenor, gar nicht um ein "echtes Open-Source-Konzept im eigentlichen Sinne".

Ganz sicher ist das beschriebene Geschäftsmodell allerdings ein Verrat an der Open-Source-Szene und eine riesige Sauerei. Unstrittig ist zwar, dass Red Hat große Verdienste in Sachen Open Source erworben hat. Doch hat man von der Community, deren Teil man war, gleichzeitig auch massiv profitiert – und zwar fürstlich. Seit Red Hats Übernahme durch IBM hat sich dessen Umsatz schließlich mehr als vervierfacht. Ohne geniale Erfinder wie Linus Torvalds sowie ohne den Einsatz der unzähligen freien Entwickler, deren Produkte unter einer freien Lizenz Red Hat in seine Software wie selbstverständlich integriert, wäre das völlig undenkbar. Red Hat als Ganzes würde in der heutigen Form schlicht nicht existieren. Seriösen Schätzungen zufolge stammen deutlich über 90 Prozent des RHEL-Quelltextes nicht aus eigener Feder.

Community-Projekte wie Rocky Linux oder AlmaLinux nun als Schmarotzer zu brandmarken, die die Profite der Arbeit anderer einstreichen, ist eine absurde Ungeheuerlichkeit. Denn einerseits wären diese ohne Red Hats kapitalen Schlag ins Wasser bei CentOS gar nicht erst entstanden. Und andererseits müsste gerade Red Hat besser als alle anderen wissen, dass es eben nicht mit "mal eben kopieren" abgetan ist, möchte man einen RHEL-kompatiblen Klon produzieren. Der sublime Vorwurf des Parasitentums ist an dieser Stelle also nicht nur unsinnig, sondern auch unredlich.

Da hilft auch der Verweis nicht, eigentlich richteten sich die Maßnahmen doch gegen Oracle & Co. Denn Oracle hält sich nicht nur an exakt jene Lizenzen, die die ursprünglichen Autoren der Software dieser gegeben haben – sondern es verstößt auch nicht gegen die zentralen Regeln der Open-Source-Community. Nach denen ist es nämlich völlig legitim, Software anderer zu nehmen, neu zusammenzustellen und weiterzuverteilen. Und zwar inklusive aller Quellen. Man muss diese Regeln nicht gut finden, aber sie sind klar und es steht jedem frei, sich auf dieses Spiel einzulassen oder eben nicht.

Dem Fass die Krone aus schlug Anfang der Woche dann noch Mike McGrath, Vice President Core Platforms bei Red Hat. In einem Blogbeitrag, der in offensichtlicher geistiger Totalumnachtung entstanden sein muss, versuchte McGrath die hochnotpeinliche Aktion ebenso zu rechtfertigen, wie die völlig versaubeutelte Kommunikation um diese herum. Red Hat, so behauptete McGrath glatt, sei geradezu ein Bewahrer der Open-Source-Community. Denn die, die die Arbeit anderer nur für den schnellen Taler weiter verteilten, machten Open Source auf lange Sicht zu einer finanziell untragbaren, unbenutzbaren Bastlerhölle. McGrath müsste es als ehemaliges Board-Mitglied von Fedora eigentlich besser wissen und sich für eine derartige Nebelkerze zu schade sein. Falls er den Beitrag überhaupt selbst verfasst hat. Das Bauchgefühl verschwört geradezu: Womöglich wickeln die Red-Hat-PR ja längst IBMs Marketing-"Profis" ab, die mit den Ideen und Idealen freier Software regelmäßig so viel anzufangen wissen wie Veganer mit dem VW-Ersatzteil 199 398 500 A.

Red Hat hat ganz tief ins Klo gegriffen – und weiß das. Gebetsmühlenartig wiederholen die Vertreter des Unternehmens nämlich auf sämtlichen Kanälen, dass der nun eingeschlagene Weg weder illegal sei noch gegen die GPL verstoße. Man fühlt sich offensichtlich ertappt. Legal und legitim sind aber eben nicht dasselbe. Unisono stimmen prominente Community-Mitglieder darin überein, dass Red Hat vermutlich zwar den Buchstaben nach nicht gegen die GPL verstoße, sehr wohl aber gegen ihren Geist. Für die einstige weltweite Open-Source-Koryphäe ist das schlicht ein Armutszeugnis.

Dass der eingeschlagene Weg Red Hats ein Irrweg ist, beweisen erfolgreiche Unternehmen wie Projekte der Open-Source-Community jedenfalls täglich aufs Neue. Debian GNU/Linux etwa ist direkt wie indirekt das Fundament für etliche Derivate, darunter Ubuntu. Die Situation, in der Red Hat sich nun wähnt, ist gerade dem Debian-Projekt nicht unbekannt: In der Anfangszeit von Ubuntu murrten viele Debian-Entwickler nämlich ebenfalls, Canonical mache schnelle Kasse mit den Arbeitsergebnissen des Debian-Projektes, ohne sich adäquat erkenntlich zu zeigen – insbesondere in Form von "Give Back". Im Debian-Projekt sind die Prinzipien freier Software aber fest verankert. Im Leben hätte sich das Projekt nicht zu vergleichbarem Stuss hinreißen lassen, wie nun Red Hat.

Für die Open-Source-Community müssen die jüngsten Ereignisse jedenfalls ein Weckruf sein, weil Zweifel an der Open-Source-Integrität Red Hats angebracht und angemessen sind. Red Hat ist vergänglich, die Idee freier Software hingegen ist universell und zeitlos. Das gilt umso mehr, da kaum abschätzbar ist, was an Red Hats Geschäftsmodell Big Blue als Nächstes ein Dorn im Auge sein könnte. Gut möglich, dass manche Red-Hat-Kunden absehbar ob des Gebarens des Herstellers etwas nervös werden. Besonders dann, wenn die Idee freier Software eine zentrale Rolle im Unternehmen einnimmt. SUSE, Canonical & Co. täten gut daran, ihnen valide Alternativen zeitnah aufzuzeigen.

(fo)