Zuviel Wind in Schleswig-Holstein

Der Bundesverband Windenergie wirft dem Netzbetreiber E.ON Netz bewusste Benachteiligung von Windstrom bei der Netzeinspeisung vor.

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Von
  • Jan Oliver Löfken
  • Kevin Bullis

Eigentlich sollte man meinen, je stärker der Wind bläst, desto lukrativer können Windparks betrieben werden. Doch weit gefehlt. Im hohen Norden Schleswig-Holsteins gilt diese Regel derzeit nicht. Denn wenn Böen die Nordseewellen aufpeitschen und die Windräder ordentlich rotieren, schaltet der Netzbetreiber E.on von der Netzzentrale über ein Steuerungssignal die Windräder immer öfters ab. Nur so könnten bei einer Überproduktion an Windstrom die Leitungen vor Überhitzung geschützt werden, lautet die Begründung.

Schon im vergangenen Jahr wurden die Windräder an etwa 40 windreichen Tagen für mehrere Stunden vom Netz genommen. "Und dieses Jahr bewegen wir uns bereits auf einen Ausfall von 15 Prozent hin", sagt Hermann Albers, Vizepräsident vom Bundesverband Windenergie (BWE). Das habe gravierende Folgen für die wirtschaftliche Grundlage von Windparks. Wird weniger Windstrom ins Netz eingespeist, fällt die Vergütung natürlich geringer aus. Gerade das derzeit laufenden Repowering – die Umstellung älterer Windräder auf leistungsfähigere, moderne Anlagen – könne dadurch ins Stocken geraten. Denn die Geldgeber schauen genau auf den kalkulierten Rücklauf ihrer Investitionen. Und schon eine trotz guter Windverhältnisse um zehn Prozent geringere Stromproduktion kann jede Kalkulation ins Wanken bringen.

"Es wird höchste Zeit, dass E.ON, Vattenfall und Co. ihre Stromnetze ausbauen. Den Windmüllern in Schleswig-Holstein etwa entstand durch angebliche Netzengpässe ein Schaden in Millionenhöhe und Umwelt und Verbraucher entgingen zig Millionen CO2-frei hergestellter Kilowattstunden Strom", sagt Peter Ahmels, Präsident des Bundesverbands Windenergie. Die Strategie der Netzbetreiber sei durchsichtig: Wenn die Netzkapazität klein bleibe, bleibe auch die Konkurrenz der Windkraftanlagen-Betreiber klein.

"Durch das Erzeugungsmanament, das heißt die Drosselung der Einspeisung bei Starkwind und voller Auslastung des Netzes, sichern wir die Stabilität des Netzbetriebs bei maximaler Auslastung", sagt dagegen E.on-Netz-Sprecher Christian Schneller. Er weist den Vorwurf der Windmüller klar zurück. Im Gegenteil habe E.on Netz hierdurch den zusätzlichen Anschluss von mehr als 1000 Megawatt Windstrom an das Netz ermöglichen können. Ein Argument, denen die Windmüller nicht so recht folgen können. Hinter dem Begriff "Erzeugungsmanagement" sehen sie klar eine Netzblockade für Windstrom. Das drossele nicht nur die Windstrom-Erzeugung, sondern drohe auch Investitionen in neue Windkraftanlagen in Milliardenhöhe zu verhindern.

Albers ist davon überzeugt, dass das bestehende Netz gerade bei Starkwind mehr Strom leiten könnte, als derzeit eingespeist werde. Denn durch den kühlenden Wind könne eine Überhitzung der Leitungen vermieden und im Extremfall sogar mehr Strom transportiert werden, als es die derzeitig gültigen DIN-Normen für die Netzbelastung festlegen. "Mögliche Stromsteigerungen liegen etwa zwischen 10 Prozent bis zu mehr als 50 Prozent", sagt Stromnetzexperte Heinrich Brakelmann von der Universität Duisburg-Essen.

Allerdings müsse man dafür zuverlässige Daten in der Hand haben, um einer 110-Kilovolt-Freileitung einen höheren Strom zumuten zu können. Für dieses Temperaturmonitoring gibt es bereits ausgeklügelte Sensoren, die an die Leitungen und anderen Komponenten des Netzes installiert werden müssten. "E.ON plant für den Herbst einen Feldversuch, um Möglichkeiten zur stärkeren Auslastung der Kapazität einer Netzregion in Abhängigkeit von der Witterung steigern zu können", sagt auch Schneller. Denn das Unternehmen ist gesetzlich zu einem möglichst effizienten Betrieb ihrer Netze verpflichtet.

Ein schneller Ausbau der überlasteten Hochspannungsleitungen könne ebenfalls Abhilfe bringen. Albers spricht aber schon von einer Verschleppung des Netzausbaus durch E.ON Netz. "Wir verschleppen den Netzausbau in Schleswig-Holstein nicht", widerspricht Schneller. "Im Gegenteil, wir treiben den notwendigen Ausbau zügig voran." Doch die heute gültigen Genehmigungsverfahren bräuchten eben ihre Zeit. Erfahrungen zeigen, dass für neue Überlandleitungen bis zu elf Jahre ins Land gehen können. Eine Beschleunigung dieser Vorgänge auf etwa sieben Jahre wird indes schon zum Herbst erwartet, wenn der Gesetzgeber eine erwartete Vereinfachung umsetzen könnte.

Albers bleibt misstrauisch. Ihm geht das nicht schnell genug, und er will am liebsten nicht mehr von E.ON-Netzen abhängig sein. "Wir überlegen schon, eigene Leitungen aufzubauen", sagt er. Schneller kann dies besonders für Erdkabel erfolgen. Laut BWE setze E.ON statt auf kostengünstige und schnell zu verlegende Erdkabel mit Absicht auf Freileitungen beim Netzausbau, die allein schon wegen massiver Bürgerproteste langwierige Gerichtsverfahren nach sich zögen. Wie die eigenen Erdkabel, die nach BWE-Aussage in nur zwei Jahren aufgebaut werden könnten, zu finanzieren wären, bleibt unklar.

Eventuell erhalten die Windmüller jedoch Entschädigungen von E.ON. Mehrere Windparkbetreiber in Schleswig-Holstein haben bereits Schadenersatzklagen gegen E.ON Netz beim Landgericht Itzehoe eingereicht, weitere sind in Vorbereitung. Laut Albers dürfe der Netzbetreiber den von ihm ungeliebten Windstrom nicht unter dem Vorwand technischer Probleme blockieren. "Wir sehen möglichen Entschädigungsklagen seitens der Windparkbetreiber gelassen entgegen", so Schneller. (wst)