Prüfen auf Herz und Leber

Ein neuer Biotest ermöglicht erstmals Langzeitstudien darüber, ob Medikamente die Leber schädigen. Bislang setzten Pharmafirmen auf das Prinzip Hoffnung.

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Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Katherine Bourzac
  • Kevin Bullis

Wenn Pharmafirmen ein Medikament zurückrufen oder die US-Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) die Zulassung für ein neues Mittel verweigert, geschieht das meist deshalb, weil die Substanz die Leber akut oder dauerhaft schädigt.

Etwa ein Drittel der Kandidaten in den klinischen Tests fallen durch, weil sie giftig auf das zentrale Stoffwechselorgan des Körpers wirken, in dem Medikamente und Giftstoffe abgebaut werden. Die MIT-Forscher Sangeeta Bhatia und Salman Khetani haben jetzt ein neues Testsystem mit menschlichen Leberzellkulturen entwickelt, das erstmals die Untersuchung von eventuellen Langzeitschäden ermöglicht.

Ein chronischer Leberschaden wird durch eine kontinuierlich einwirkende niedrige Dosis hervorgerufen. „Genau so nehmen wir Medikamente in der Regel ein – eine Pille pro Tag“, sagt Bhatia. Die Forscher glauben, dass der Biotest die Funktionen einer Leber gut genug erfüllt, um mit seiner Hilfe die Giftigkeit neu entwickelter Medikamente für das Organ zu untersuchen. „Bislang gab es keine guten menschlichen Lebermodelle für die Medikamentenentwicklung“, sagt Bhatia. Stattdessen testen die Pharmafirmen nur die Kurzzeitwirkung und verlassen sich auf Tests mit Krebszellen oder Versuche mit Rattenlebergewebe – allesamt schwache Ersatzsysteme für voll funktionstüchtiges menschliches Lebergewebe.

Zudem sind diese Tests aufwendig, benötigen mitunter selbst leberschädliche Chemikalien und können keine chronischen Schäden aufdecken, weil die Leberzellkulturen bislang nur ein bis zwei Tage am Leben erhalten werden konnten. Der Pharmaindustrie und der FDA ist bekannt, dass Medikamente, die auf Dauer chronische Leberschäden verursachen können, derzeit noch durch die Maschen des Kontrollnetzes fallen. Dennoch verlangt die FDA keine Tests auf eine mögliche toxische Wirkung bei der Einnahme über lange Zeiträume.

Mit den Zellkulturen im Biotest von Bhatia und Khetani wäre die technische Voraussetzung dafür gegeben: Sie verrichten ihre Arbeit vier bis sechs Wochen lang. Das erreichten die Wissenschaftler, indem sie den Leberzellen eine besonders angenehme Unterlage zum Wachsen boten und ihnen besondere Stützzellen zur Seite stellten.

Im Detail sieht das so aus: Zunächst klebten die Forscher auf eine rechteckige Kunststoff-Testplatte eine dicke Schicht eines gummiartigen Materials mit 24 runden Vertiefungen. Am Boden jeder Vertiefung befindet sich eine Silikonschablone mit 37 Löchern, die in einem sechseckigen Muster angeordnet sind (siehe Foto links). Gießt man in die Vertiefungen eine Kollagenlösung, härtet diese in den Löchern der Schablonen in Form von je 37 kleinen Inseln aus.

Kollagen ist ein Protein, auf dem sich die Leberzellen – anders als auf Kunststoff – gern ansiedeln. Nachdem das Kollagen fest geworden ist, werden die Schablonen abgezogen. Anschließend wird eine Lösung mit Leberzellen in die Vertiefungen pipettiert. Die Zellen siedeln sich auf den Kollageninseln an, weil sie auf dem Plastik nicht wachsen könnten. Zum Schluss werden als Stütze spezialisierte Bindegewebszellen (Fibroblasten) zugegeben, die die Lücken zwischen den Leberzellinseln auffüllen.

Dass Fibroblasten der Schlüssel zur längeren Lebensfähigkeit von Leberzellkulturen sein könnten, war eine zufällige Entdeckung. Ursprünglich wollte Bhatia nur ausprobieren, ob beides nebeneinander gedeihen würde. Doch obwohl es in der Leber keine Fibroblasten gibt, päppelt ihre Präsenz die Leberzellen offensichtlich auf und hält sie länger am Leben. Ein Grund für diesen Effekt könnte sein, dass diese Umgebung den Bedingungen im Körper besonders gut ähnelt. Dort benehmen sich Zellen deshalb wie Leber-, Lungen- oder Muskelzellen, weil sie bestimmte Signale aus ihrer Umgebung erhalten – von Nachbarzellen, durch einwirkende Kräfte oder ein sie umgebendes Netzwerk aus Stützproteinen wie Fibroblasten.

Um zu beweisen, dass sich die Leberzellen im Biolabor tatsächlich wie ihre Kollegen im Körper benehmen, unterzogen die Forscher sie rigorosen Tests. Sie untersuchten zum Beispiel, welche Gene in den Zellen abgelesen werden und ermittelten, ob sie auch alle Enzyme produzierten, die für den Abbau von Medikamenten verantwortlich sind. Zudem traktierten sie die Leberzellkolonien mit einer ganzen Reihe von Substanzen, von denen sie bereits wussten, ob sie sich positiv oder negativ auf die Leberfunktion auswirken, zum Beispiel Koffein und Cadmium. Tatsächlich reagierten die Zellen genau so, wie man es erwarten durfte – je giftiger eine Substanz war, desto eher nahmen sie Schaden oder gingen gar zugrunde.

Für einen Toxizitätstest mit einem Medikament stellt Khetani zuerst eine Lösung mit der gewünschten Dosis her und pipettiert sie auf die Leberzellen. Nachdem die Substanzen auf die Leberzellen eingewirkt haben, sucht Khetani nach Vergiftungserscheinungen oder Anzeichen für das Absterben der Zellen.

Mit diesem Testsystem könnten Pharma- Unternehmen die Wirkung von mehreren ähnlichen Substanzen gleichzeitig untersuchen und die leberschädigenden Mittel frühzeitig im Entwicklungsprozess aussortieren. Auch in Tests mit chemisch verwandten Medikamenten, bei denen bekannt war, welche toxisch wirken und welche nicht, konnten die beiden Forscher diese Unterschiede mit ihrem Testsystem bestätigen.

Doch der Jubel bei der FDA bleibt erst mal aus. „Es ist schon ein tolles Testsystem“, sagt Yvonne Dragan, Leiterin des National Center for Toxicological Research bei der Behörde, „aber es fußt nur auf einer einzigen menschlichen Leberzelle und ist deshalb kein Allheilmittel“.

Die verwendeten Leberzellen repräsentierten also nicht einen hinreichend großen Querschnitt der Bevölkerung. So hätte der Test im Vorfeld vermutlich auch keine Hinweise auf die Probleme mit Rezulin geliefert, einem Diabetes- Medikament, das bei vielen Zuckerkranken Leberschäden verursacht hat. Die FDA nahm das Medikament im Jahr 2000 vom Markt.

„Wir sind in der eigenartigen Lage, dass wir ein wichtiges Werkzeug entwickelt haben, aber die Verantwortlichen überzeugen müssen, es zu benutzen“, sagt Bhatia. Technisch wäre es kein Problem, mit den Biolabors die Wirkung eines Medikaments auch auf tausende verschiedene Leberzellen zu testen. Das würde zwar nicht ausschließen, dass eine so getestete Substanz bei Menschen mit einer besonders seltenen genetischen Abweichung doch Schäden hervorruft; aber dieses Restrisiko bleibt auch bei klinischen Studien an Menschen bestehen.

Bhatia jedenfalls ist von ihrem Test überzeugt und bereitet ihn für die Serienproduktion vor, denn zahlreiche Pharmafirmen haben bereits Interesse bekundet.

Die Forscher wollen den Test auch für andere Aufgaben einsetzen, etwa um Medikamenten- Wechselwirkungen auf die Spur zu kommen. Bhatia: „Ich hoffe, dass unser Test Medikamente sicherer macht und toxische Substanzen künftig den Patienten gar nicht erst erreichen.“ (nbo)