Huawei v. AVM: Fritzbox-Vertriebsverbot angedroht, aber nicht rechtskräftig

Das Landgericht München I urteilt gegen AVM und sieht ein Vertriebsverbot gerechtfertigt. AVM geht gegen das Urteil vor.

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AVM-Router Fritzbox 7590 AX

(Bild: c't)

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Im Frühjahr 2022 hat Huawei in Deutschland WLAN-Patentklagen gegen mehrere Firmen eingereicht, darunter Amazon, AVM, Netgear und Stellantis. Im Falle Huawei v. AVM hat das Landgericht München I am 10. November 2023 ein erstes Urteil zulasten AVMs gefällt – dieses liegt heise online jetzt vor.

Gegen AVM hat Huawei zwei Klagen eingereicht, die die beiden sogenannten standardessenziellen Patente (SEPs) EP3337077 (Aktenzeichen 21 O 2576/22) und EP3143741 (Aktenzeichen 7 O 2578/22) in Verbindung mit Wi-Fi 6 (IEEE 802.11ax) betreffen. SEPs stellen Patente dar, die für eine Technik fundamental wichtig sind, in diesem Fall WLAN. Huawei ist einer der Hauptbeitragenden bei der Entwicklung neuer Funkstandards, mit entsprechendem Patentportfolio.

Das Urteil hat das LG München in Bezug auf EP3337077 getroffen; die zweite Klage wurde laut AVM abgewiesen. EP3337077 beschreibt Feinheiten in der Implementierung des Orthogonal Frequency Division Multiple Access (OFDMA) – eine Kernfunktion, die mit Wi-Fi 6 Einzug in Drahtlos-Netzwerke gehalten hat.

Mit OFDMA können WLAN-Basen Daten gleichzeitig an mehrere Clients senden, was eine in der Praxis attraktive Alternative zum mit Wi-Fi 5 eingeführten Multi-User-MIMO (MU-MIMO) schafft. Konkret bezieht sich Huaweis Patent auf die Wi-Fi-6-Signalisierungsfelder, die anzeigen, ob das Datenpaket an einen oder mehrere Clients gehen soll.

Das LG München hat Huawei in erster Instanz vollumfänglich recht gegeben. AVMs Argumenten auf Verfahrensfehler nach dem Patentgesetz § 145 hat das Gericht widersprochen. Auch der Einwand auf Lizenzverhandlungen unter FRAND-Aspekten (Fair, Reasonable and Non-Discriminatory terms) war erfolglos. Als Präzedenzfall dient Sisvel vs. Haier: Dabei definierte der Bundesgerichtshof 2021 strenge Regeln, wie weit die Verhandlungsversuche eines potenziellen Lizenznehmers unter FRAND-Aspekten reichen müssen.

Demnach müssen Firmen nicht nur die Absicht zur Lizenzvereinbarung erklären, sondern auch zeitnah konstruktiv auf einen Abschluss hinarbeiten. Erst, wenn das nachweislich nicht gelingt, dürfen Firmen ein standardessenziell deklariertes Patent vorläufig ohne Lizenzzahlung verwenden. So sollen Hinhaltetaktiken vermieden werden (patent hold-out). AVM konnte seine Bemühungen offenbar nicht ausreichend darlegen.

Würde das Urteil rechtskräftig, dürfte AVM seine WLAN-Produkte mit Wi-Fi 6, Wi-Fi 6E und Wi-Fi 7 nicht mehr verkaufen, darunter sämtliche aktuelle Fritzbox-Topmodelle. Im Handel befindliche Geräte müssten zurückgerufen und vernichtet werden.

AVM hat Anfang Dezember 2023 jedoch Berufung beim Oberlandesgericht München eingelegt (Aktenzeichen 6 U 4773/23 Kart.), sodass das oben genannte Urteil nicht rechtskräftig ist. AVM geht das Urteil von zwei Seiten an: Zum einen sei fraglich, ob das Huawei-Patent bei den eigenen Routern überhaupt zum Einsatz kommt. Zum anderen greift der Hersteller das Patent inhaltlich mit einer Nichtigkeitsklage beim Bundespatentgericht an. Wichtig: Selbst, wenn das Urteil rechtskräftig werden sollte, erwartet AVM keine Auswirkungen für Nutzer, die sich bereits einen Fritzbox-Router oder ein anderes AVM-Produkt gekauft haben.

Die komplette Stellungnahme von AVM gegenüber heise online lautet:

"Huawei hat im Frühjahr 2022 gegen mehrere Unternehmen, darunter Amazon, Stellantis und Netgear, Patentklagen eingereicht. Bei AVM geht es um standardessentielle Patente (SEP) für WLAN. Eine Klage von Huawei gegen AVM wurde abgewiesen, bei einer zweiten Klage hat AVM gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt. AVM sieht nicht, dass dieses SEP von Huawei bei gängigen WLAN-Produkten überhaupt zum Einsatz kommt. Das heißt, AVM geht nicht davon aus, dass dieses Patent verletzt wird.

Ein SEP ist kein "gewöhnliches" Patent, sondern ein Patent, ohne das ein Standard nicht eingesetzt werden kann. Für SEP gelten daher bestimmte Regeln. Der Patentinhaber ist beispielsweise verpflichtet, seine Lizenzen zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien (fair, reasonable and non-discriminatory, FRAND) Bedingungen zu vergeben. Andernfalls könnte theoretisch jeder Inhaber eines SEP die Nutzung eines Standards wie z.B. WLAN weltweit verbieten lassen.

Das genannte Urteil vom LG München ist nicht rechtskräftig. Wir haben bereits Berufung eingelegt. Wie wackelig die Rechtslage und insbesondere die Rechtsbeständigkeit des Patentes ist, zeigt die Aussetzung des Verfahrens von Huawei gegen Netgear vor dem LG Düsseldorf, in dem es um dasselbe Patent ging. Zudem sagt das Bundespatentgericht in einem qualifizierten Hinweis, dass das Patent in seiner derzeitigen Form nichtig sein dürfte.

Endkunden sind in der Regel nicht von Urteilen bei Patentfragen betroffen. Im konkreten Fall heißt das, ein Urteil, sollte es rechtskräftig werden, hätte für Endkunden keine Auswirkungen. Wie bereits oben beschrieben gehen wir aufgrund der genannten Umstände (erstinstanzlich, Bundespatentgericht, LG Düsseldorf) davon aus, dass das Urteil keinen Bestand hat."

Huawei prüft derweil weitere Optionen im Rechtsstreit gegen AVM. Ein Sprecher hat uns folgende Stellungnahme geschickt:

"Wir hoffen, dass AVM das Gerichtsurteil respektiert, demzufolge es das Patent von Huawei verletzt und Huawei sich im Einklang mit den Grundsätzen der fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien Lizenzbedingungen von geistigem Eigentum (FRAND) verhalten hat. Die Wireless-Forschungsteams von Huawei haben bedeutende Beiträge zu Industriestandards geleistet, die AVM zugutekommen. Die Weigerung, FRAND-Lizenzgebühren zu zahlen, ist nicht fair gegenüber unseren Erfinderinnen und Erfindern und unseren bestehenden Lizenznehmern, die die Innovationen von Huawei anerkennen und ohne Rechtsstreitigkeiten Lizenzen von Huawei erwerben. Wir werden auf der Grundlage der Reaktionen von AVM auf das Urteil weitere Optionen prüfen."

Update

Ausführung um Auswirkungen auf bereits verkaufte Produkte ergänzt.

(mma)