Blick zurück nach vorn

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Henning Behme

Das Jahr fing so gut an: Gleich am 1. Januar konnte die Netzgemeinde 20 Jahre TCP/IP feiern. Es hatte 1983 das ältliche Network Core Protocol (NCP) innerhalb weniger Stunden und ohne Komplikationen abgelöst. Im Laufe des Jahres gab es weitere Anlässe, Jubiläen zu begehen: Ende April die Freigabe des WWW durch das CERN 1993 und im November das ebenfalls Zehnjährige des Browsers Mosaic.

In zehn, zwanzig oder 25 Jahren dürften Rückblickende, die 2003 im Visier haben, ihrerseits nach Anlässen oder Gründen für Artikel, Editorials et cetera fahnden. Was sie an technischen Details und Begebenheiten ausgraben könnten, um sich über dieses Jahr 2003 lustig zu machen, liegt auf der Hand beziehungsweise steht in der iX :-)

Fear, Uncertainty and Doubt (FUD), das angeblich aus Redmond stammende Dungeon&Dragon-Spiel für vier bis zig Millionen Spieler, ist offensichtlich in Kalifornien und Utah ebenso sehr zu Hause. Erst 2002 von Caldera in SCO Group umgetauft, nimmt die Eignerin des Unix-Quellcodes 2003 einen nicht unerheblichen Anteil des Heise-Newstickers in Anspruch. Erst im März die Klage gegen IBM (eine Milliarde Dollar Schadensersatz ohne Publikumsjoker) wegen deren Linux-Initiative, die - so SCO - den Diebstahl heiligen SCOdes beinhaltet habe. Nicht lange danach, Ende April, deutete SCOs Chris Sontag an, dass die Firma bei einem Erfolg gegen IBM Redhat und Suse ins Visier nehmen wolle. Nach dem Verlassen des Linux-Verbandes im Mai stand als nächste Aktion die vorübergehende Schließung der deutschen Website an, weil eine einstweilige Verfügung SCOs Behauptungen zu potenziellem Linux-Rechtsbruch verboten hatte.

Dass die SCO Group schließlich gegen die Übernahme Suses durch Novell vorgehen wollte, lässt die Geschichte dieses juristischen Bleeding Edge endlich filmreif erscheinen. Es fehlen nur Rollen für Frauen - auch wenn Novell Suse behält, aber das steht in den Unix-Sternen oder /etc/future.conf; schließlich hatte die Firma im Dezember 1992 den Unix-Quellcode von AT&T übernommen und 1995 gleich weiter an SCO verkauft.

Aus all den vielen Ereignissen/Trends des Jahres seien zwei weitere herausgegriffen. Wer hätte jemals gedacht, dass Microsoft Word-Dokumente in einem offenen Format speichert (XML) und die Spezifikationen für seine Dokumentformate (Word, Excel ...) veröffentlicht. Das ist fast, als ginge DTP-Hersteller Quark Xpress in die XML-Offensive und beraubte sich seiner Einnahmequellen. Nicht ganz, denn Microsoft kann mit der immer besseren Umsetzung in seinen Produkten sicherlich nach wie vor punkten.

Und wie vor jedem besseren Innenstadtgeschäft mittlerweile Sicherheitskräfte postiert sind, wappnen sich Websitebetreiber und (noch) Firewallgeschützte allmählich mit Software und Personpower gegen die immer häufigeren Angriffe von draußen.

Eins nicht zu vergessen: Spam. Noch nie hat die Bearbeitung eingehender E-Mail weltweit soviel Unbill und Kosten verursacht wie in diesem Jahr. Allein der Aufwand, Spam zu erkennen und zu beseitigen, dürfte weltweit einen Milliardenbetrag bedeuten und ist nur durch vorgeschaltete Software zu verringern. Beispielsweise bekäme der Verfasser dieser Zeilen ohne serverseitige Spamabwehr circa 2000 bis 3000 unerwünschte E-Mails pro Woche.

Unangenehme Begleiterscheinung: Zwangsläufig leidet unter der automatischen Mailmüllbeseitigung die Zuverlässigkeit der Zustellung, denn niemand kann bei solchem Postaufkommen den Spam-Ordner noch halbwegs regelmäßig daraufhin kontrollieren, ob eine Mail beim Spam gelandet ist, die dort keinesfalls hingehört.

Es bleibt zu hoffen, dass Spam im Schlamm der Geschichte versickert. Und andere Neuigkeiten wie der Launch neuer Betriebssysteme und anderer Software sind schon in wenigen Tagen Schnee vom letzten Jahr. Was vielleicht in zehn Jahren mitleidige Rückblicke verursacht, ist dagegen, dass künftig PCs mit 64-Bit-Adressen umgehen können. Darauf dürften die an Exabyte-Arbeitsspeicher Gewöhnten der Zukunft gern gnädig hinabblicken. (hb)