c't 2/2016
S. 12
c’t deckt auf
Massenüberwachung

Das Schweigen der Männer

Heftiger Rüffel für die EU-Kommission in Sachen Massenüberwachung durch den GCHQ

Durch die Enthüllungen von Edward Snowden wurde bekannt, dass der britische Geheimdienst GCHQ systematisch den Internetverkehr der EU-Einwohner überwacht. Für ihre Intransparenz und Untätigkeit in dieser Sache hat sich die EU-Kommission nun einen schweren Rüffel von offizieller Stelle eingefangen.

Wenn es um die massenhafte Überwachung europäischer Bürger durch den Geheimdienst Ihrer Majestät geht, geben sich Kommissionspräsident Jean-Claude Junker und sein Kabinett sehr verschlossen. Keinesfalls sollen Dokumente der Kommission zu diesem Thema an die Öffentlichkeit gelangen, auch um den Preis, dass die Kommission dadurch wahrscheinlich selbst europäisches Recht bricht.

Auf seiner Webseite wirbt der britische Geheimdienst GCHQ für seine Arbeit im Dienste der nationalen Sicherheit. Dazu gehört auch die massenhafte Überwachung der Telekommunikation großer Teile Europas.

Die irische Publizistin Emily O’Reilly, die seit Juli 2013 das Amt der europäischen Bürgerbeauftragten bekleidet, hat dies kürzlich in einer offiziellen Entscheidung als einen „Missstand“ bezeichnet, der aufgrund der Wichtigkeit des Themas „besonders schwerwiegend“ sei.

Gegenstand ihrer Untersuchung war eine Beschwerde aus der c’t-Redaktion darüber, dass die Kommission die Herausgabe verschiedener im Zusammenhang mit der Tätigkeit des GCHQ stehender Dokumente verweigert. Der Missstand der Intransparenz wiege deshalb besonders schwer, weil das Thema für die europäische Öffentlichkeit wichtig sei, betont denn auch O’Reily in ihrer Entscheidung.

Emily O’Reilly, die preisgekrönte irische Journalistin und Buch-Autorin, hat seit 2013 das Amt der europäischen Bürgerbeauftragten inne. Die Untätigkeit der Kommission Juncker in Sachen Massenüberwachung hält sie für einen „besonders schwerwiegenden Missstand“.

Kurz nach Bekanntwerden der Bespitzelung von Millionen Europäern durch den GCHQ im Juni 2013 hatten wir die Kommission auf Grundlage der sogenannten Transparenzverordnung (VO 1049/2001/EG) um Übersendung verschiedener Dokumente gebeten, darunter solche, „die Aufschluss darüber geben, welche Informationen der Kommission bezüglich Erhebung, Speicherung und Nutzung von Daten aus dem Internetverkehr durch Behörden des Vereinigten Königreichs vorliegen“. Außerdem wollten wir durch die angeforderten Dokumente in Erfahrung bringen, welche Schritte die Kommission eventuell in dieser Sache unternommen hat, und insbesondere ihren Schriftwechsel mit den Mitgliedsstaaten sowie bei ihr eingegangene Beschwerden gegen die Massenüberwachung einsehen.

Die Grundrechtecharta der EU und die genannte Transparenzverordnung geben jedem Bürger das Recht, Dokumente von EU-Organen und -Behörden auf Anfrage einzusehen. Für die Bearbeitung solcher Anträge sieht die Verordnung klar definierte, knappe Fristen vor, die die Behörde einzuhalten hat, und auch die Gründe, aus denen der Zugang zu Dokumenten ausnahmsweise verweigert werden kann, sind darin sehr eng umrissen.

Unter diese Ausnahmen fällt unter anderem die notwendige Vertraulichkeit von Untersuchungen der Kommission, die in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen einen Mitgliedsstaat vor dem Europäischen Gerichtshof münden können. Dies hat der Gerichtshof in mehreren Verfahren entschieden. Und darauf berief sich dann auch die Kommission in ihrer abschlägigen Antwort vom August 2013 und lehnte den Zugang zu mehreren Dokumenten ab. Darunter ein Brief der damaligen Kommissionsvizepräsidentin Viviane Reding an den damaligen britischen Außenminister William Hague vom 25. Juni 2013, die Antwort Hagues an Reding vom 3. Juli sowie ein Schreiben der Generaldirektorin der Kommission, Francoise Le Baile, an den britischen Botschafter bei der EU Jon Cunliffe vom 25. Juli 2013.

Die Ablehnung zum Schreiben Hagues war besonders pikant, weil das britische Außenamt auf Anfrage der Kommission der Veröffentlichung sogar ausdrücklich zugestimmt hatte, wie sich später herausstellte. Dennoch lehnte die Kommission unter ihrem damaligen Präsidenten Manuel Jose Barosso die Herausgabe auch dieses Schreibens an die Redaktion der c’t ab. Diese merkwürdige Entscheidung hat die Bürgerbeauftragte schon während ihrer insgesamt zweieinhalbjährigen Untersuchungen zu diesem Fall immer wieder stark kritisiert. Anfang 2014 sandte sie einen ihrer Beamten nach Brüssel, um der Kommission im wahrsten Sinne des Wortes auf die Finger zu sehen und Einsicht in die Akten zu nehmen, die die Kommission vehement der Öffentlichkeit vorzuenthalten gedachte. Ergebnis: Kein Grund für die Geheimhaltung ersichtlich.

Als am 1. November 2014 der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mit seinen Kommissaren sein Amt antrat, sollten die Karten auch in dieser Sache neu gemischt werden – auf höchster Ebene. So berieten die Kabinettschefs von Juncker und Grundrechtekommissar Frans Timmermans, Martin Selmayr und Ben Smulders, am Rande eines Gipfeltreffens Anfang 2015 etwa eine halbe Stunde lang darüber, wie man auf das Ansinnen der Bürgerbeauftragten reagieren solle und wie es überhaupt in der Frage weitergehen sollte, dass die Briten mit ihrem Geheimdienst und seiner Totalüberwachung des Internetverkehrs europäisches Recht verletzen: Gar nicht, so offenbar das laue Ergebnis.

In einem Schreiben an die „liebe Viviane Reding“ (Ausriss) erklärt der damalige britische Außenminister William Hague, Brüssel sei für die Massenüberwachung Europas nicht zuständig, weil es sich um eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit im Vereinigten Königreich handle.

Mit Ach und Krach korrigierte Junckers Kommission die merkwürdigsten Entscheidungen der Vorgänger und gab der c’t-Redaktion nun das Schreiben Hagues heraus (siehe heise online vom 25. Mai 2015 und c’t-Link am Ende des Artikels). Nun stellte sich heraus, dass der Brite in seinem Schreiben an die „liebe Viviane Reding“ im Wesentlichen auf eine von ihm im Londoner Unterhaus öffentlich gehaltene Rede verwiesen hatte. Jeglichen Bestrebungen der Europäer, die Schnüffelpraxis des GCHQ zu bremsen, erteilt der Diplomat dort eine brüske Abfuhr: Es handle sich schließlich um Belange der nationalen Sicherheit. Dafür seien allein die Mitgliedsstaaten verantwortlich und die Kommission in Brüssel möge sich gefälligst da heraushalten, so das Credo aus London. Auf diese offen zur Schau getragene Kaltschnäuzigkeit der Briten hat die Kommission bislang weder öffentlich noch – soweit bekannt – hinter verschlossenen Türen angemessen reagiert. Eigentlich durfte sie die Sache nicht auf sich beruhen lassen, denn schließlich hat sie eine Zuständigkeit dafür, dass die Mitgliedsstaaten die europäischen Grundrechte und den Datenschutz wahren. Das dürfte auch für Maßnahmen gelten, die ihrer nationalen Sicherheit dienen sollen. Die Untätigkeit der Kommission in dieser Sache stößt offenbar auch der Bürgerbeauftragten sauer auf. Die Kommission hatte ihr nämlich im Laufe des Verfahrens mitgeteilt, man könne sich auch in diesem Fall auf die allgemeine Vermutung stützen, dass die Freigabe der Dokumente den Schutz und den Zweck von Untersuchungstätigkeiten beeinträchtige und dass kein übergeordnetes öffentliches Interesse bestehe, dem durch die Freigabe der Dokumente für die Öffentlichkeit gedient werde.

Die Kommission um Präsident Jean-Claude Juncker wird wegen ihrer Untätigkeit in Sachen Internet-Überwachung von der europäischen Bürgerbeauftragten kritisiert.

Diese Argumentation überzeugt die Bürgerbeauftragte – eine gelernte und mehrfach preisgekrönte Journalistin – ausdrücklich nicht. Erstens betreffe das Thema ein Grundrecht der EU-Bürger, nämlich das Recht auf Datenschutz, bemerkt O’Reilly in ihrer Entscheidung. Zweitens werde aus dem Brief des britischen Außenministers deutlich, dass die britischen Behörden durch diese Situation nicht beunruhigt seien. Und etwas spitz fügt sie „drittens“ hinzu, „sind der Bürgerbeauftragten, obwohl der Brief von 2013 stammt, keine konkreten zwischenzeitlichen Untersuchungstätigkeiten der Kommission bekannt und sie wurde auch durch die Kommission nicht informiert.“

Nachfragen der c’t zu diesem Thema wollte die Kommission auch im Angesicht der deutlichen Ohrfeige von der Bürgerbeauftragten nicht beantworten. Erst auf hartnäckiges Drängen ließ man uns durch einen Sprecher lapidar wissen, die Kommission sei von der Bürgerbeauftragten bereits zu einer neuerlichen Stellungnahme zu dem Komplex bis Ende Mai 2016 aufgefordert worden. Die Kritik habe man zur Kenntnis genommen und „reflektiere“ sie. Im Übrigen sei die formale Position Brüssels ja aus dem Verfahren bekannt. Na, dann ist ja alles klar. (tig@ct.de)