c't 10/2018
S. 64
Reportage
Autonome Busse
Aufmacherbild
Bild: Rudolf A. Blaha

Robobus

Wo und wie autonome Busse jetzt schon fahren

Autonome Autos sind noch Zukunftsmusik und fahren bislang nur in Testprojekten? Stimmt gar nicht: Jeder kann sich schon von Roboterbussen umherkutschieren lassen. Wir sind in Bad Birnbach, Berlin und Las Vegas eingestiegen.

Sind Sie auch schon mit diesem Roboterbus gefahren?“: Diese oder ähnliche Fragen hört man im niederbayrischen Bad Birnbach zurzeit an jeder Ecke. Gemeint ist ein kleines Elektro-Shuttle, das seit Oktober 2017 kostenlos zwischen Rottal-Therme und Marktplatz hin- und herschaukelt. Laut Betreiber Deutsche Bahn handelt es sich um die erste echte autonome Buslinie Deutschlands. c’t ist nicht nur in Bad Birnbach mitgefahren, sondern auch bei drei Berliner Autonom-Bus-Projekten sowie beim öffentlich zugänglichen Bus-Shuttle des US-amerikanischen ADAC-Pendants AAA in Las Vegas.

Safety first

Kein Zweifel: Der sechssitzige Elektrobus – ein EZ10 des französischen Herstellers Easymile – ist das Topthema beim Smalltalk in der Bad Birnbacher Innenstadt. Trotz tödlicher Unfälle mit autonomen Fahrzeugen scheint hier niemand Angst vor dem Roboterauto zu haben. Als bei unserer Probefahrt eine ältere Dame mit Nordic-Walking-Sticks zusteigt, sagt sie nur: „Ach, computergesteuert ist das hier? Interessant!“

Video: Jan-Keno Janssen fährt heute mit dem Bus

Die Designer haben dem Shuttle jegliche Gefährlichkeit ausgetrieben. Spricht man mit Fahrgästen über das Aussehen des Fahrzeugs, hört man häufig das Wort „niedlich“. Der EZ10 sieht aus wie ein Baby-Omnibus: Niedriger als ein ausgewachsenes Exemplar, deutlich kürzer und insgesamt moppeliger. Easymile hat auch noch ein besonderes analoges Gimmick eingebaut: Eine Klingel wie aus einem Kinderkarussell, die erklingt, wenn sich das EZ10 in Bewegung setzt – oder wenn es störrische Fußgänger „wegzubimmeln“ gilt. Nicht nur das Design, sondern auch das Verhalten des Busses kann man sofort als vertrauenerweckend interpretieren. Jede seiner Bewegungen ist langsam. Sehr langsam.

Dieses Schild warnt in Bad Birnbach vom Robobus.

Steht man an der Bushaltestelle und sieht den Bus auftauchen, dauert es noch locker zwei Minuten, bis er endlich vorgefahren kommt und die Tür öffnet. Rechts und links sind jeweils drei Schalensitze eingebaut, dazwischen steht ein Begleiter der Deutschen Bahn. Das hat nicht nur rechtliche Gründe, sondern auch ganz praktische: Immer wenn der Bus stehen bleibt, muss der Begleiter manuell die Weiterfahrt anordnen, indem er auf einen Knopf am Bedienpult drückt.

Neben den drei Standardstopps auf der 660 Meter langen Strecke sind noch drei weitere feste Anhaltepunkte programmiert; zum Beispiel kurz bevor der kleine Bus in den normalen Straßenverkehr einbiegt: Die ersten zwei Drittel der Strecke von Therme bis Marktplatz spielen sich auf reinen Fahrrad- und Fußgängerwegen ab, nur die letzten 250 Meter teilt sich der Bus mit anderen Kraftfahrzeugen.

Autonom fährt der EZ10 in Bad Birnbach maximal 8 Stundenkilometer schnell, im manuellen Modus sind es sogar nur 5 km/h – dabei schafft das Fahrzeug eigentlich bis zu 45 km/h. Eine Steigerung der Geschwindigkeit steht ganz oben auf der To-Do-Liste, so wie auch der Verzicht auf den Begleiter. Zurzeit fährt das Shuttle noch mit einer Sondergenehmigung der Straßenverkehrsbehörde, das nur nach einem Gutachten von TÜV oder Dekra erteilt wird, inklusive individuell festgelegter Höchstgeschwindigkeit. Anders als bei konventionellen Autos wird bei den autonomen Bussen nicht nur das Fahrzeug selbst geprüft, sondern auch die Fahrtstrecke. Die Genehmigung gilt dann auch nur für die geprüfte Strecke. Kommen Gutachter und Straßenverkehrsbehörde zu dem Schluss, dass das autonome Fahrzeug auch ohne Begleitperson auskommt, könnte es theoretisch auch eine Genehmigung ohne Begleiter geben – das ist aber noch Zukunftsmusik, mit der aktuellen Technik wird ein Mitfahrer dringend benötigt.

Zwar haben wir bei unseren sechs Fahrten in Bad Birnbach nie beobachtet, dass der Begleiter auf manuelle Lenkung umgeschaltet hat. Er musste aber sehr häufig den „Weiterfahren“-Knopf drücken. Denn der Bus hielt ständig vor Hindernissen wie Fußgängern, Radfahrern oder Autos an – und blieb dann so lange stehen, bis der Weg wieder frei war. Bei unseren Probefahrten haben sich die Hindernisse alle von selbst aus dem Staub gemacht. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte der Begleiter die Lenkung übernehmen müssen. In der aktuellen „Sicherheit geht über alles“-Konfiguration würde das Gefährt deshalb ohne menschlichen Begleiter nur wenige Meter weit kommen.

Orientierung per 3D-Modell

Dabei kann sich der Bus eigentlich ausgezeichnet orientieren. Der Bordcomputer greift auf ein 3D-Modell der Streckenumgebung zu, das die Easymile-Entwickler vor der ersten Inbetriebnahme erstellt haben. Das dauert ein paar Stunden, in denen Mitarbeiter die Strecke immer wieder abfahren müssen, bis der EZ10 mit seinen zwei Kameras und acht LIDAR-Sensoren das Rohmaterial eingesammelt hat. Die Bilder werden anschließend manuell bearbeitet, unter anderem müssen andere Verkehrsteilnehmer entfernt werden, bevor das 3D-Modell berechnet wird.

Derzeit arbeiten die meisten autonomen ÖPNV-Projekte mit Shuttles der französischen Hersteller Easymile und Navya.

Im täglichen Betrieb orientiert sich der Bus nicht nur anhand des eingebauten GPS- und IMU-Moduls mit Beschleunigungs- und Drehratensensor – er bezieht auch die umliegenden Gebäude mit ein, dank LIDAR auch bei Dunkelheit.

Im Ergebnis bewegt sich das Robo-Shuttle wie auf einer virtuellen Schiene und weicht von seiner Bahn nur wenige Millimeter ab. Steht es aus irgendeinem Grund nicht auf dem ausgewiesenen Fahrweg, muss es vom Begleitpersonal manuell auf die „Schiene“ gefahren werden und die Fahrt kann weitergehen. Wie präzise das EZ10 navigiert, lässt sich unschwer an den Fahrspuren auf den Bad Birnbacher Pflasterwegen erkennen (siehe Foto unten).

Am Gummiabrieb in Bad Birnbach sieht man deutlich, dass hier eine Maschine fährt und kein Mensch: Das EZ10 navigiert millimetergenau auf der ihm zugewiesenen Strecke.

Probleme gibt es mit der LIDAR-Ausstattung bei starkem Regen. Weil die Systeme manchmal große Tropfen als Objekte erkennen, müssen die Busse bei allzu schlechtem Wetter den Betrieb einstellen; also dummerweise dann, wenn man sie am nötigsten braucht.

In Berlin gibt es drei weitere Bus-Projekte, einmal auf dem Gelände des Charité-Krankenhauses in Mitte, einmal am Virchow-Klinikum in Moabit sowie auf dem Campus des europäischen Energieforums am Gasometer Schöneberg (Euref). Die Busse fahren hier auf Privatgelände, sind aber frei zugänglich – jeder der will, kann einfach mitfahren.

Auf dem Gelände der Charité, Campus Mitte, gleich um die Ecke vom Berliner Hauptbahnhof, ist um 7.30 Uhr noch nicht viel los. Am Nordtor in der Hannoverschen Straße sind zwei in BVG-Gelb beklebte EZ10 geparkt – hinter Bauzäunen, als ob sie sich ansonsten hochautomatisiert davonschleichen könnten. Hier und an den anderen beiden Berliner Standorten testet die BVG in einem bis 2020 angesetzten Pilotprojekt verschiedene Shuttle-Systeme. Die Easymile-EZ10-Fahrzeuge sind inzwischen seit drei Wochen mit Passagieren unterwegs. Künftig soll auch das „Autonom Shuttle“ von Navya getestet werden, wie Easymile ein französischer Hersteller.

BVG-Projektkoordinator Johannes Jähne betreut das mit Mitteln des Bundesumweltministeriums geförderte Projekt von Anfang an. Heute ist nicht sein Tag. Eines der zwei EZ10-Fahrzeuge will nicht booten. Auf dem großen Fahrgastinformations-Display sind lediglich ein paar Linux-Kernel-Meldungen zu sehen – kopfüber. Das zweite Shuttle ist fahrbereit, allerdings wurde am Vortag der Ladevorgang nicht korrekt eingeleitet. Voll geladen fährt das Fahrzeug etwa 10 Stunden und muss danach 5 Stunden an die Säule.

Stopp! Ein Blatt!

Zum Kasten: »Sicherheit ist nicht das Problem«

„Derzeit fahren wir montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr auf einem Rundkurs von 1,2 km mit insgesamt neun Haltestellen“, berichtet Jähne. Alle Fahrten finden in der ersten Phase wie in Bad Birnbach noch mit einer Begleitperson statt. Die BVG-Fahrer kontrollieren die Funktion des Shuttles und greifen ein, wenn etwas hängt. Das passiert derzeit noch oft: „Im Prinzip halten die Fahrzeuge sofort an, sobald ihnen ein Ast oder ein Blatt in den Weg kommt“. Die Programmierung seitens des Herstellers ist äußerst defensiv ausgelegt. „Wir sind auch sehr gespannt, wie das Fahrzeug auf die sich verändernde Vegetation reagiert“, so Jähne weiter.

Easymile setzt wie Navya in Sachen Umfelderkennung vor allem auf Lasertechnik. Zum Einsatz kommt eine Kombination aus zwei 3D-Lidar-Scannern mit einer Reichweite von etwa 250 Meter mit zusätzlichen Mono-Layer-Lidars, die auf unterschiedlichen Ebenen Objekte im Abstand von etwa 50 Meter erfassen. Hinzu kommen nach vorne und hinten gerichtete Kameras.

Zum Kasten: Wegbereiter

Nach dem Vorgespräch im defekten Shuttle drehen wir die erste Runde im funktionsfähigen EZ10-Zwilling. Mit an Bord sind Jähne und vier weitere BVG-Mitarbeiter. Das Shuttle ist eigentlich für zwölf Personen zugelassen, fühlt sich aber schon etwas voll an. „Hier am Standort Mitte arbeitet die Verwaltung der Charité“, erklärt Jähne, „wir haben es also vor allem mit Lieferverkehr, Studenten und kreuzendem Verwaltungspersonal zu tun.“ Das Gelände ist dabei durchaus unübersichtlich, auf dem Campus stehen alte Backsteinhäuser neben modernen Verwaltungsgebäuden, der Fahrweg des EZ10 ist an einigen Stellen recht eng.

Bei einer Maximalgeschwindigkeit von 12 km/h sind wir kaum schneller als die Fußgänger auf dem Campus. Das Shuttle bringt manch einen anderen Verkehrsteilnehmer zum Schmunzeln, andere sind verärgert, wenn das gelbe Ding bockig im Weg steht oder vor ihnen herkriecht. An den Haltepunkten öffnen sich automatisch die Türen. Der EZ10 hat sogar eine Rampe für Rollstuhlfahrer.

Ausweichen geht nicht

Beim autonomen Shuttle in Las Vegas steuert der Begleiter das Fahrzeug mit einem handelsüblichen Spielkonsolen-Controller.

Bei Gegenverkehr bleibt unser Shuttle stehen, bremst aber auch für einen Fußgänger, der recht unvermittelt aus einem Eingang hervortritt. „Wir fahren zum Anfang mit 12 km/h und wollen die Geschwindigkeit schrittweise auf 20 km/h anheben. Läuft alles nach Plan, sollen nächstes Jahr auch die Begleitfahrer wegfallen. „Noch fehlt ein entscheidendes Update“, erzählt Jähne. Weder die Fahrzeuge von Navya noch die von Easymile können derzeit Hindernisse umfahren. Selbst wenn nur eine Tüte im Fahrweg liegt, bleiben die Fahrzeuge daher einfach stehen und der Begleitfahrer muss ran. Immerhin schaut der Easymile-Controller aus, als könnte man einen Baustellenkran mit ihm bewegen – bei Navya muss man mit einem handelsüblichen Xbox-Controller vorliebnehmen. Während Navya ein „echter“ Autohersteller ist, der neben den Bus-Shuttles auch autonome Taxis verkaufen will, sieht sich Easymile eher als Plattformbetreiber, die EZ10-Fahrzeuge selbst werden vom französischen Unternehmen Ligier gebaut, dem Mutterunternehmen von Easymile. Ein weiterer Anteilseigner sind die Eisenbahner von Alstom. Der Easymile-Konkurrent Navya wurde von Christophe Sapet aufgebaut, Mitgründer des Videospielgiganten Infogrames, mit im Boot sind Automobilzulieferer Valeo, die französische Bahn-Tochter Keolis und ein Finanzinvestor aus Katar. Sowohl Navya als auch Easymile verkaufen ihre autonomen Shuttles für jeweils rund eine Viertelmillion Euro.

Das knallgelbe Easymile-Shuttle fährt mit maximal 12 km/h über den Charité-Campus Mitte in Berlin.

In Aktion erleben kann man einen autonomen Navya-Bus zurzeit im amerikanischen Las Vegas, wo das Shuttle seit Ende letzten Jahres über wenig befahrene Straßen in der Innenstadt trödelt – die Betreiber vom US-amerikanischen ADAC-Pendant AAA geben zwar eine Geschwindigkeit von rund 20 Stundenkilometern an, bei unserer Probefahrt kam uns der Bus allerdings nicht viel schneller vor als das 8 km/h schnelle Gefährt in Bad Birnbach. Die Strecke in Vegas Downtown auf der Fremont und Carson Street ist einen knappen Kilometer lang.

In Las Vegas fährt nicht nur ein Begleiter mit, es gibt sogar Bushaltestellen-Personal in Uniform.

Anders als bei den von uns getesteten Easymile-Shuttles in Deutschland übernahm der Navya-Bus-Begleiter bei unserer Probefahrt in Las Vegas mehrfach die Steuerung des Fahrzeugs – und zwar mit besagtem Spielkonsolen-Gamepad, was sich nicht sehr vertrauenerweckend anfühlte. Allerdings waren die Hindernisse in Vegas auch problematischer als in Bad Birnbach und Berlin: Statt Radfahrer und Fußgänger, die die Fahrbahn schnell wieder freigeben, musste der Navya-Bus in Las Vegas parkende Lkws umkurven.

So nehmen die autonomen Shuttles mit ihren LIDARs die Welt wahr.

Das für Fahrgäste kostenlose Autonomer-Bus-Projekt ist eines der größten und wohl auch öffentlichkeitswirksamsten weltweit. Laut der Betreiber sind in Las Vegas schon über 100.000 Menschen befördert worden, das Ziel sind eine Viertelmillion in einem Jahr. Das Bahn-Projekt in Bad Birnbach kommt gerade mal auf knapp über 7000 Fahrgäste – ab Sommer soll aber ein zweites EZ10-Shuttle den Dienst antreten und die Fahrtstrecke zum etwa zwei Kilometer entfernten Bahnhof verlängert werden. Und bis dahin soll der Bus dann auch ein bisschen schneller fahren als Schrittgeschwindigkeit.

Fazit

Tabelle
Tabelle: Öffentlich zugängliche autonome Shuttles in Europa

Fasst man unsere Fahr-Erfahrungen zusammen, ist das Ergebnis ernüchternd – allerdings auf eine zumindest in Sachen Sicherheit positive Weise. Wer einmal in einer Easymile- oder Navya-Bimmelbahn unterwegs war und das hochautonome Geschehen aus Fahrzeugperspektive beobachtet hat, wird weniger Angst haben, vom Kollegen Roboter im öffentlichen Straßenverkehr weggebürstet zu werden. An mancher Stelle drängt sich allerdings der Eindruck auf, dass hier vor allem PR-Agenturen beim Generieren netter Fototermine für Lokalpolitiker, Manager und Professoren beschäftigt sind – autonome Autos kommunizieren schließlich Zukunft.

Dabei ist bislang noch völlig offen, ob die Hersteller ihren Shuttles in absehbarer Zeit notwendige Kernfunktionen wie Ausweichen beibringen können. Die Idee vom völlig autonomen öffentlichen Nahverkehr ist nach wie vor nicht mehr als – eine Idee. Auch wenn die Touristen in Bad Birnbach schon heute überzeugt sind, dass ihre Enkel in einer Welt ohne Busfahrer leben werden. (jkj@ct.de)