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Test Audi e-tron S Sportback: Quattro mit Dreien

Christoph M. Schwarzer
Audi e-tron S Sportback

Audis schwerer Cruiser e-tron S Sportback ist ein dank Torque Vectoring fast immer spielerisch fahrbares Elektroauto.

(Bild: Christoph M. Schwarzer)

Leichtfüßiges Handling bei 2,7 Tonnen? Im Audi e-tron S funktioniert das meist recht überzeugend dank Torque Vectoring im dreimotorigen Allrad-Antrieb.

Audi baut den Antrieb im e-tron S Sportback ungewöhnlich auf: Zwei Elektromotoren befinden sich an der Hinterachse und einer vorne. Ein mechanisches Differenzial, das die unterschiedlichen Wegstrecken des kurveninnen- und äußeren Rads ausgleicht, gibt es nicht mehr. Stattdessen ist hinten je ein E-Motor über ein einstufiges Getriebe direkt mit dem Rad verbunden. In Millisekunden werden die Antriebsmomente zwischen links und rechts verteilt. Ingenieure haben den Begriff "Torque Vectoring" dafür geprägt.

Wie Quattro beim Elektro-Audi funktioniert, ist vor allem beim Beschleunigen aus engen Kurven heraus oder in Kreiseln spürbar: Der e-tron S drückt sich mit Macht aus jeder Biegung heraus. 370 kW Leistung und 973 Nm Drehmoment sind auch bei 2695 kg Leergewicht weit mehr als nur ausreichend. Nur bei schlechten Straßenverhältnissen bremst sein immenses Gewicht den e-tron S spürbar ein.

Audi e-tron S Sportback 1 (0 Bilder) [1]

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Der Audi e-tron (Test) [3] wird seit März 2019 ausgeliefert. Seine bekannten Stärken sind das souveräne Fahrerlebnis und die konstant hohe DC-Ladeleistung. Bei keinem Elektroauto verläuft die Ladekurve so lange so horizontal auf dem Niveau von 150 kW. Außerdem sind die Fahrassistenzsysteme hervorragend. Dieses Package hat den grundsätzlich allradgetriebenen e-tron im vergangenen Jahr [4] zum meistverkauften Auto überhaupt (!) in Norwegen gemacht. Alle Versionen sind als Steil- oder Schrägheck zu haben. Jetzt ergänzt der dreimotorige S als Topversion das Programm. Der Grundpreis beträgt 96.050 Euro, und der Testwagen war mit Optionen zum Gesamtpreis von 123.785 Euro ausstaffiert.

An der Überlegenheit beim Fahren ändert der Winter vorerst nichts. Der Audi e-tron ist Dank wirksamer Geräuschdämmung ausnehmend leise. Man gleitet dahin, und die Kraft im Normalmodus ist mehr als ausreichend. Bei Bedarf reicht ein Zug am Schalthebel, um ins Sportprogramm zu wechseln. So richtig ab geht der e-tron, wenn die adaptive Luftfederung mit 76 Millimetern Verstellbereich auf "dynamic" gestellt wird. Die Dämpfung wird sehr verbindlich, aber nicht unkomfortabel. Ein gewisser Zoomeffekt stellt sich ein, der jeden Fahrer zur Selbstkontrolle auffordert: Die Geschwindigkeit wird leicht unterschätzt.

Also lieber zurück in den Gleitmodus. Rollen kann der e-tron auch mit Winterreifen gut. Die Rekuperation ist normalerweise auf Null gestellt, eine händische Einstellung über Wippen am Lenkrad ist möglich. Wählt der Fahrer die prädiktive automatische Rekuperation [5], erkennt der e-tron Vorausfahrende oder kommende Kurven oder Tempolimits [6] und verzögert entsprechend. Das funktioniert exzellent und ist am attraktivsten. Wenn die Fahrautomatisierung aktiviert ist, führt der Audi sehr gut die Spur, übernimmt das aktuelle Tempolimit und bremst oder beschleunigt danach.

Audi e-tron S Sportback 2 (0 Bilder) [7]

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Die Fahrautomatisierungssysteme sind im Testzeitraum nur an einem Punkt ausgestiegen: Ein kurzer und sehr heftiger Schneeschauer hatte den Radar vorübergehend vereist und die Kamera erblinden lassen. Bei diesem plötzlichen Extremereignis sank die Geschwindigkeit auf der Autobahn A1 bei allen Verkehrsteilnehmern auf unter 60 km/h. Der Audi hat sofort angezeigt, dass die Sensoren nicht mehr zur Verfügung stehen – und jeder Nutzer solcher Systeme sollte wissen, wo die Grenzen liegen.

Kälte und Wind fordern ihren Tribut. Das gilt für jeden Antrieb, aber Elektroautos stehen unter besonderer Beobachtung. Der Durchschnittsverbrauch des e-tron S betrug laut Bordcomputer 29,4 kWh/100 km. Zugegeben ein Wert aus dem Worst-Case-Szenario, aber ein realer. Bei einer Nettokapazität von 86 kWh (brutto: 96 kWh) in der Batterie errechnet sich daraus eine Reichweite von 293 km. Inklusive Ladeverlusten betrug der Verbrauch 32,2 kWh/100 km.

Bei Richtgeschwindigkeit und Gegenwind waren im Bordcomputer 34,5 kWh/100 km abzulesen, es bleiben also rund 250 km Reichweite. Zum Vergleich: Der im Sommer 2019 getestete gewöhnliche e-tron verbrauchte durchschnittlich 25,4 kWh/100 km und bei 130 km/h 27,8 kWh/100 km. Der größte Teil der Differenz dürfte durch das Wetter begründet sein, denn bei konstanter Geschwindigkeit spielt das Mehrgewicht eine untergeordnete Rolle.

Die AC-Ladeleistung beträgt serienmäßig dreiphasig elf kW, die jederzeit voll abrufbar waren. Ab Sommer ist ein 22-kW-Gerät bestellbar. Es ist eine Empfehlung, aber kein Muss. Als in der Praxis besonders nützlich erwies sich dagegen die zweite AC-Buchse vorne rechts. Der Audi e-tron ist einfach groß. Bei 4,90 Meter Länge und 1,98 Meter Breite ohne Außenspiegel erspart der Beifahrerport das Hantieren mit einem sehr langen Kabel. Das ist übrigens vorne in einer Art Minifrunk untergebracht; eventuelle Verschmutzungen verteilen sich also nicht im edel ausgekleideten Kofferraum.

Beim Gleichstrom hat der e-tron im Sommer durch eine aufwendige und perfekte Kühlung überzeugt. Jetzt, im Winter, waren in Einzelfällen kleine Schwächen feststellbar. So war die Batterie an einem Morgen auch 126 Kilometer nach dem Start – vorwiegend über Autobahnen – noch nicht warm genug für die volle Ladeleistung. Man kann dann auf dem Display der Säule zugucken, wie die Ladeleistung stückweise zunimmt; im konkreten Fall von knapp 100 auf 121 kW nach einer Viertelstunde. Tendenz weiter steigend. Der e-Routenplaner integriert zwar inzwischen die Stopps und die Säulen, aber eine gezielte Vorheizfunktion hat Audi anders als Porsche oder Tesla (noch) nicht.

Audi e-tron S Sportback 3 (6 Bilder) [9]

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Bei jedem Auto legt das äußere Rad in der Kurve einen längeren als das innere zurück. Differentiale gleichen das aus, können dann aber nicht die volle Kraft übertragen.

So relativiert sich die Batteriekapazität von 86 kWh, weil der Audi e-tron S viel verbraucht. Ergänzend die Gesamtspanne: Der Minimalverbrauch auf einer Bundesstraßentour betrug 22,1 kWh. Eine Stichprobe bei trockener Straße und 120 bis 210 km/h quittierte der Bordcomputer mit der Meldung von 45 kWh. Es ist offensichtlich, dass klassische Autobahnvielfahrer sich gut überlegen sollten, ob sie die nötige Geduld für dieses Elektroauto haben. Auch die Tatsache, dass der e-Routenplaner für die circa 800 Kilometer lange Strecke von Hamburg nach München fünf Ladestopps vorsah, lässt manchmal den Wunsch nach mehr Kapazität aufkommen.

Zurück zum Kern des e-tron S, dem krassen Quattro-Antrieb: Es ist beeindruckend, wie der Audi auf einer gewundenen Deichstraße um die Ecken fährt. Der begrenzende Faktor bei Nässe sind die Reifen oder präziser das extreme Gewicht von 2,7 Tonnen, das zu früh zum Schieben über die Vorderräder führt. Das S steht in dieser Jahreszeit für Sicherheit, nicht für Sport.

Es bleibt das Bild eines opulenten Cruisers, eines souveränen, dank Torque Vectoring und präziser Lenkung spielerisch fahrbaren Elektroautos mit überragendem Komfort. Luxus und Quattro in der neusten Interpretation. Zugleich zeigt dieser Audi die heutigen Grenzen des batterieelektrischen Fahrens: Er ist einfach ein wenig too much.

Der Hersteller hat den Testwagen kostenfrei zur Verfügung gestellt und überführt. Die Fahrenergiekosten wurden teils vom Hersteller und teils vom Autor getragen

Technische Daten
Hersteller Audi
Modell e-tron S
Motor / Elektrik
Elektrische Peakleistung Boost in kW 370
Elektrische Peakleistung in kW 320
Elektrische Dauerleistung in kW 140
Elektrisches Drehmoment Boost in Nm 973
Elektrisches Drehmoment in Nm 808
Batterietyp Lithium-Ionen
Batterieenergiegehalt in kWh 95
Batterie in A / Ah 380 / 68
max. Elektrische Leistung bei 12V in Kilowatt 3
Bordnetzspannung 1 in Volt 12
Bordnetzspannung 3 in Volt 400
Antrieb / Kraftübertragung
Antriebsart Allradantrieb
Getriebeübersetzung im 1.Gang / 2.Gang 9,205 / -
Fahrwerk / Lenkung / Bremse
Art und Ausführung der Aufhängung der Vorderachse 5-Lenker; Luftfederung
Art und Ausführung der Aufhängung der Hinterachse 5-Lenker; Luftfederung
Lenkübersetzung 15,9
Wendekreis in m 12,2
Reifen (Basis) 285/45 R 20
Räder (Basis) Leichtmetall 10 J x 20"
Fahrleistungen
Höchstgeschwindigkeit in km/h 210
abgeregelt ja
Elektrische Beschleunigung 0-100 km/h in s 5,1
Elektrische Beschleunigung Boost 0-100 km/h in s 4,5
Verbrauch / Reichweite
Stromverbrauch kombiniert in kWh/100 km 28,8 - 27,1 (NEFZ); 28,4 - 26,1 (WLTP)
CO2-Emission kombiniert in g/km 0
Elektrische Reichweite kombiniert nach WLTP in km 343 - 374
Gewichte
Leergewicht ohne Fahrer / mit Fahrer / Zul. Gesamtgewicht in kg 2620 / 2695 / 3245
Zulässige Achslasten vorne / hinten in kg 1565 / 1750
Zul. Anhängelast bei 8% / 12% Steigung gebremst / ungebremst in kg 1800 / 1800 // 750
Zul. Dachlast / zul. Stützlast in kg 75 / 80
Abmessungen
Luftwiderstandsbeiwert cW / Stirnfläche A in qm 0,28 / 2,71
Standardmaße (Länge / Breite o. Spiegel / Höhe Luftfeder) in mm 4902 / 1976 / 1629
Breite inkl. Spiegel in mm 2189
Radstand / Spurweite vorn / hinten in mm 2928 / 1683 / 1683
Überhangwinkel Luftfeder vorn/hinten in Grad 15,4 / 20,0
Höhe Ladekante Luftfeder in mm 800
Offener Gepäckraum - hinter der 2. Sitzreihe in l 660
Größtes Gepäckraumvolumen - hinter der 1. Sitzreihe in l 1725
Stand 18.12.2020

(fpi [11])


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[4] https://www.heise.de/hintergrund/Der-automobile-Jahresrueckblick-2020-Was-uns-bewegt-hat-4999061.html
[5] https://www.heise.de/autos/artikel/Bremsenergierueckgewinnung-und-ihr-Wirkungsgrad-4340576.html
[6] https://www.heise.de/autos/artikel/Kommentar-Die-Diskussion-um-ein-Tempolimit-ist-am-Begrenzer-4286375.html
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