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Moto Guzzi V85 im Test: Dynamisch und sparsam dank variabler Steuerzeiten

Ingo Gach
Moto Guzzi V85

(Bild: Moto Guzzi)

Die überarbeitete V85 bietet mehr Drehmoment und Fahrfreude – und trotz aller Modernisierung weiterhin das besondere Fahrgefühl einer authentischen Moto Guzzi.

Lange Zeit hatten sich fast nur die Hardcore-Moto-Guzzi-Fans für die Motorräder aus Mandello del Lario interessiert. Das änderte sich schlagartig 2018, als die Marke mit dem Adler im Logo die V85 TT auf den Markt brachte. Eine liebevoll gezeichnete Reiseenduro, angelehnt an den Stil der 1980er Jahre. Auf einmal blickten auch Fahrer anderer Fabrikate neugierig auf die schicke Moto Guzzi. Zumal die V85 TT aus dem luftgekühlten, 853 cm3 großen V2 mit zwei Ventilen pro Zylinder auch noch 80 PS holte, das waren satte 25 PS mehr als die Moto Guzzi V9 bieten konnte, aus der ursprünglich der Motor stammte. Dafür hatten die Ingenieure unter anderem den Durchmesser der Drosselklappen von 32 auf 52 mm vergrößert, den Kurbeltrieb um 30 Prozent abgespeckt und Einlassventile aus Titan verbaut. Dazu kamen eine Semi-Trockensumpfschmierung ein Ventiltrieb mit Rollenstößeln.

Der bei Moto Guzzi traditionell längs eingebaute 90-Grad-V2 mit Kardanantrieb zum Hinterrad hing in einem Stahlrohrrahmen ohne Unterzüge. Die schöne V85[ ]TT (Test) [1] erfreute sich vom Start weg großer Beliebtheit, verlor aber 2022 im Zuge der Euro-5-Norm vier PS an Spitzenleistung. Jedoch war auch schon vorher die verhaltene Kritik mancher Fahrer zu vernehmen, dass die V85 es etwas an Durchzugskraft missen lasse. Dem hat Moto Guzzi nun mithilfe einer variablen Ventilsteuerung auf der Einlasseite abgeholfen, die V85 bietet wieder die vollen 80 PS bei 7750/min, dazu ein besser verteiltes Drehmoment von kräftigen 83 Nm bei 5100/min – und das selbstverständlich auf dem Emissionsniveau, das Euro-5+ vorschreibt.

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Unsere Testfahrt bestätigt, dass der Motor nicht nur zu seiner früheren Form zurückgefunden hat, sondern fühlbar kräftiger wurde. Das ist möglich dank eines deutlich fülligeren Drehmoments in der unteren Drehzahlhälfte. Schon bei 3000 Touren produziert der aktuelle Motor fünf PS mehr als früher und ab 3500/min stehen bis zur Nenndrehzahl 90 Prozent des maximalen Drehmoments zur Verfügung, was bei Reiseenduros oder Tourern viel entscheidender für die Dynamik ist als hohe Spitzenleistung.

Die V85 bietet Moto Guzzi 2024 in drei Versionen an: die Strada bildet die Basis, die TT die Geländegängerin und die Travel die Tourenversion. Motor, Kardan, Rahmen, Gabel, Bremsen, Tank, Sitzbank, Lenker, Scheinwerfer und Cockpit sind aber bei allen drei identisch. Dem Kenner wird der äußerlich neu gestaltete Zylinderkopf als optisches Merkmal des neuen Modells auffallen.

Der immer noch 23 Liter große Tank ist nun ein wenig kantiger, behält aber weiterhin deutliche Einbuchtungen für die Knie. Außerdem soll die vordere Form des Tanks weniger Windwirbel erzeugen, die den Fahrer stören könnten. Die Seitencover unter der Sitzbank sind neugestaltet, ebenso wie Gabelprotektoren. Völlig neu ist die Lampenhalterung – die Stahlrohre weichen Aluminium – und auch der Stahl-Heckrahmen wurde gegen einen aus Aluminiumprofilen ersetzt, was insgesamt rund 1,9 kg an Gewicht spart. Der neu geformte Windschild ist nun ohne Werkzeug in fünf Rastungen um 70 mm vertikal einstellbar. Im Cockpit findet sich ein jetzt höher positioniertes TFT-Display mit neuen Grafiken und mehr Funktionen. Die Bedienungstasten des Menüs bieten eine verbesserte Haptik.

Die Strada rollt als erste V85 auf Gussfelgen, während TT und Travel weiterhin auf Drahtspeichenrädern unterwegs sind. Das bringt der Strada einen leichten Gewichts- und Handlingsvorteil, auch wenn die Reifendimensionen von 110/80-19 vorne und 150/70-17 hinten identisch bleiben. Während die Strada mit dem Michelin Anakee Road bestückt ist, erhalten TT und Travel den schon eher geländetauglichen Michelin Anakee Adventure.

Ich starte auf der V85 Strada. Mit dem Moto-Guzzi typischen "Klong" vermeldet das Getriebe, dass der erste Gang eingerastet ist. Die mechanisch betätigte Trockenkupplung lässt sich ohne größeren Kraftaufwand ziehen, die Gangwechsel verlaufen problemlos, auch wenn Moto Guzzi auf einen Quickshifter verzichtet.

Die Strada bettet ihren Fahrer in 840 mm Sitzhöhe, was für Staturen um die 1,75 m gerade noch ausreicht, um mit beiden Füßen bündig den Boden zu erreichen. Die Sitzposition ist ausgesprochen bequem geblieben, im gut geformten Sattel der V85 lässt es sich stundenlang aushalten. Trotz des 23 Liter großen Tanks werden die Knie nicht zu weit gespreizt, dank sinnvoller Einbuchtungen. Der Oberkörper ist aufrecht und der Lenker angenehm gekröpft, auch der Kniewinkel bleibt entspannt.

Die laut Moto Guzzi 226 kg schwere Strada lässt sich locker dirigieren und folgt willig jedem Lenkbefehl. Sie nimmt butterweich Gas an und hat keine Probleme im fünften Gang mit Tempo 50 durch die Stadt zu cruisen, der Sechste ist hingegen für die Übung ein bisschen zu lang. Ganz wichtig für viele Guzzisti: der herrlich sonore Motorklang ist erhalten geblieben. Das tiefe Wummern ist immer angenehm präsent, aber nie laut und schon gar nicht aufdringlich.

Im Cockpit informiert ein fünf Zoll großes TFT-Display, bei dem Geschwindigkeit und Ganganzeige groß angezeigt werden, der Drehzahlmesser geriet allerdings etwas klein, man muss schon sehr genau hinsehen. Die restlichen Anzeigen sind auch nicht gerade riesig, aber lassen sich noch halbwegs gut ablesen. Über die Moto-Guzzi-App lässt sich das Smartphone per Bluetotoh mit dem TFT-Display verbinden. Als narrensicher erweist sich die Bedienung des Menüs mit den vier Tasten am linken Lenkerende, der Tempomat darüber ist ebenfalls gut platziert.

Ich wechsle auf die Autobahn, wo der Windschild erfreulich gut schützt, lediglich die Windgeräusche sind deutlich vernehmbar. Der 2024er-Modelljahrgang der V85 erweist sich als spürbar durchzugsstärker im Vergleich zur Vorgängerin, hier macht sich die neue, variable Ventiltechnik bemerkbar. Für Überholvorgänge genügt ein Dreh am Gasgriff, es muss nicht zurückgeschaltet werden, um zügig vorbeizukommen. Die Leistungskurve des überarbeiteten Motors ist zwischen 6000 und 7000/min identisch mit der des Vorgängers, darüber bis zum roten Bereich bietet er vier Mehr-PS in der Spitze, was zu einer minimal höheren Endgeschwindigkeit führt, Moto Guzzi gibt glaubwürdige 195 km/h an. Für eine Reiseenduro halte ich das für völlig ausreichend.

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Die V85 TT sieht durch ihre herrliche rot-weiße Lackierung, dem roten Rahmen, Motorschutzplatte und Handprotektoren zwar mehr nach Enduro aus, hat aber die gleichen Federwege von 170 mm vorne und hinten.
(Bild: Moto Guzzi)

Dann kommt endlich die Ausfahrt zum Kurvenglück. Die Landstraße windet sich atemberaubend durch die Berge. Hier fällt die Strada durch sehr neutrales Fahrverhalten auf. Sie trifft präzise die Linie und ist in Schräglage durch nichts zu erschüttern. Vor allem lässt die V85 sich mit wenig Kraftaufwand abwinkeln. Sie umrundet selbst enge Kurven erstaunlich flott, was bei einem Radstand von 1530 mm, einem Nachlauf von 128 mm und 62 Grad Lenkkopfwinkel nicht unbedingt zu erwarten war. Die Brembo-Monoblock-Bremszangen beißen am Vorderrad ordentlich, aber nie wirklich aggressiv zu. Die beiden 320 mm großen Bremsscheiben wurden um 290 Gramm erleichtert, was die ungefederten Massen reduziert. Die V85 verfügt serienmäßig über neu abgestimmtes Kurven-ABS und Schlupfregelung.

Ich wechsle nach einiger Zeit auf die V85 TT. Sie sieht durch ihre herrliche rot-weiße Lackierung, dem roten Rahmen, Motorschutzplatte und Handprotektoren zwar mehr nach Enduro aus, die Federwege sind aber mit 170 mm vorne und hinten identisch zur Strada. Allerdings kann an der TT per außenliegendem Handrad rasch die Vorspannung des hinteren Federbeins verstellt werden. Sie hat die gleichen Raddimensionen wie die Strada, rollt aber auf Drahtspeichenfelgen, die einen Hauch mehr Nachdruck beim Einlenken verlangen. Der Fahrspaß wird dadurch aber nicht getrübt. Verblüffend hoch ist der Grip der Michelin-Anakee-Adventure-Reifen, selbst als die Fußrasten schon auf dem Asphalt kratzen – was gelegentlich vorkommt –, bieten die Pneus beruhigend viel Haftung.

Mit der TT biege ich schließlich auf eine Schotterstrecke ab. Im Gegensatz zur Strada verfügt sie nicht nur über die Fahrmodi Sport, Road und Rain, sondern zusätzlich noch über einen Off-Road-Modus, der das ABS am Hinterrad abschaltet und vorn sensibler regelt. Die Schlupfregelung bleibt in dem Modus aktiv, auch wenn sie erst spät eingreift, aber für den Geländeeinsatz kann man sie über das Menü zum Glück ganz deaktivieren. Die TT lässt sich erstaunlich gut im Stehen fahren, da sie in der Taille recht schmal geraten ist und der Lenker hoch genug reicht. Schotterpisten nimmt sie lässig, sogar kontrollierte Drifts sind mit ihr bei ausgeschalteter Schlupfregelung möglich, ein leichter Dreh am Gasgriff genügt. Bei einem Leergewicht von 230 kg und ohne Zylinder-Sturzbügel, die es gegen Aufpreis gibt, verzichte ich auf einen Ausritt in schwierigeres Gelände.

Wieder auf dem Asphalt, steige ich auf das dritte Modell, die V85 Travel. Sie basiert auf der TT, verfügt aber zudem serienmäßig über einen Windschild mit Deflektoren für besseren Schutz, Heizgriffe, beheizbare Sitzbank, zwei Koffer und das Smartphone lässt sich per Bluetooth mit der Bordelektronik verbinden. Außerdem bietet die Travel noch einen Custom-Modus an, der bei den anderen beiden Modellen Aufpreis kostet. Hier lässt sich die Gasannahme, die Schlupfregelung und das ABS individuell einstellen. In den rechten Koffer passen 37 Liter Volumen, der linke Koffer ist wegen des Auspuffs zehn Liter kleiner. Für einen Solo-Urlaub reichen sie jedenfalls aus.

Auch auf der Travel fühle ich mich auf Anhieb wohl, die zehn Kilogramm Mehrgewicht sind während der Fahrt nicht spürbar. Die V85 Travel schwingt genauso locker durch die Kurven, wie die leichteren Versionen. Die Bremsen ankern sicher und beim Beschleunigen aus Kurven selbst auf schlechtem Asphalt zieht die Moto Guzzi stets souverän voran.

Die V85 flößt in allen drei Versionen rasch viel Vertrauen ein. Sie bleibt stets berechenbar, liefert immer genügend Kraft ohne hektisch zu werden und das macht sie letztendlich schnell. Auch nach gut 200 km Landstraßenhatz fühle ich mich noch absolut fit, der Komfort der V85 ist wirklich bemerkenswert. Im Schnitt verbraucht sie laut Bordcomputer 4,7 Liter auf 100 Kilometer, was ihr eine theoretische Reichweite von 489 Kilometer beschert.

Moto Guzzi bietet die Strada für 12.499 Euro an, die TT kostet 13.499 Euro und die am besten ausgestattete Travel 14.999 Euro. Das ist nicht ganz billig für einen luftgekühlten Zweiventil-Motor, aber es war schon immer etwas teurer, einen exklusiven Geschmack zu haben. Dazu lassen sich drei V85 noch mit jeder Menge Zubehör optimieren. Der überarbeitete Motor mit der variablen Ventilsteuerung bietet tatsächlich souveränere Fahrleistungen und wertet die V85 damit auf. Tourenfahrer werden ihre helle Freude an ihr haben, aber auch die abendliche Hausrunde wird zum Vergnügen, egal für welche der drei Versionen der Käufer sich entscheidet.

Hersteller Moto Guzzi
Modell V85 Strada/TT/Travel
Motor und Antrieb
Motorart Otto
Zylinder 2
Ventile pro Zylinder 2
Hubraum in ccm 853
Leistung in kW (PS) 59 (80)
bei U/min 7750
Drehmoment in Nm 83
bei U/min 5100
Antrieb Kardan
Getriebe Sequenzielles Schaltgetriebe
Gänge 6
Fahrwerk
Radaufhängung vorn Upside-Down-Telegabel
Radaufhängung hinten Schwinge mit Feder-Dämpferbein
Federweg vorne/hinten mm 170 / 170
Reifengröße vorn 100/90-19
Reifengröße hinten 150/70-17
Bremsen vorn Doppelscheibe, 320 mm
Bremsen hinten Einzelscheibe, 260 mm
Maße und Gewichte
Radstand in mm 1530
Nachlauf in mm 128
Lenkkopfwinkel in Grad 62
Gewicht leer in kg 226/230/240
Tankinhalt in Litern 23
Sitzhöhe in mm 840

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