Elektroauto Smart #1​ im Fahrbericht: Schneller als der VW ID.3

Einst als Mobilitätskonzept gestartet, stand "Smart" die vergangenen beiden Jahrzehnte nur mehr für kurze Autos. Der kommende Smart #1 ist nicht mal mehr das.

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Smart #1

(Bild: Hersteller)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Joaquim Oliveira
Inhaltsverzeichnis

Die Probefahrt mit einem Vorserienmodell eines Smart #1 macht den Eindruck, ein ausgereiftes Elektroauto zu bewegen. Vom Endprodukt, das ab März 2023 verkauft werden soll, wünscht man vor allem eine schlüssigere Bedienung und einen Einpedal-Modus, der seinen Namen auch verdient. Smart wagt den Neustart unter chinesischer Regie. Der Hauptsitz befindet sich in der chinesischen Metropole Xi'an, Stadt der Terrakotta-Krieger, wo auch die Fäden von Forschung, Entwicklung und Produktion des #1 zusammenlaufen, während das Design aus Sindelfingen stammt.

Yifeng Tan, Produktmanager bei Smart Europe, erklärt, dass er sich von einem Start mit einem Crossover-Modell die besten internationalen Marktchancen erhofft. Die Produktpalette soll in den nächsten Jahren wachsen und auch ein Fortwo-Nachfolger ab 2024 steht noch auf dem Programm. Geely ist ein riesiger Konzern, der die westliche Autowelt mittlerweile verstanden hat – mit Verzweigungen in ganz Europa. Zu Geely gehört nicht nur die Hälfte von Smart, sondern auch Marken wie Volvo, Lynk & Co, fast zehn Prozent von Mercedes und ab Oktober 7,6 Prozent von Aston Martin.

Technische Basis des Smart #1 ist die Sustainable Experience Architecture (SEA) von Geely, die im Frühjahr 2021 beim 001 der Premium-Elektromarke Zeekr vorgestellt wurde. Im Smart verwendet Geely eine 66-kWh-Nickel-Kobalt-Mangan-Batterie. Sie bietet mit einer DC-Spitzenladeleistung von 150 kW mehr als Mercedes in EQA und EQB oder der formal vergleichbare VW ID.3.

Das Basismodell "Pro+" bietet 7,4 kW an einer Phase, die volle Leistung lässt sich in der Regel nur an öffentlicher Ladeinfrastruktur nutzen. An einer 11-kW-Wallbox liegt das Maximum des Grundmodells bei 3,7 kW. Alle anderen Versionen bieten dreiphasige Ladung mit maximal 22 kW und nutzen damit die Leistung der vergleichsweise weit verbreiteten AC-Säulen voll aus. Acht Jahre und 160.000 Kilometer Batteriegarantie sind inzwischen branchenüblich, Smart wagt sich in dieser Hinsicht nicht weiter hinaus als andere Hersteller. Den Energiespeicher fertigt Vremt, eine ehemalige Geely-Tochter.

Die Reichweite um die 400 Kilometer variiert nur geringfügig zwischen den Modellen Pro, Premium und Brabus. Die Standardmodelle leisten 200 kW, als "Brabus" verfügt der Smart #1 dank eines zweiten Motors mit 115 kW an der Vorderachse über Allradantrieb und 315 kW Gesamtleistung. Aus dem Stand beschleunigt der Hecktriebler in 6,7 Sekunden auf Tempo 100 und ist erst bei 180 km/h abgeregelt. Damit ist der Smart nicht nur beim Laden, sondern auch in der Höchstgeschwindigkeit dem bei 160 km/h abgeregelten VW ID.3 überlegen. Der Brabus schafft den Standardsprint in 3,9 Sekunden.

Smart #001 (4 Bilder)

Die Marke Smart knüpft mit ihrem Neubeginn an nichts an – das kommende Modell ist ein Crossover.

Zu Beginn der Fahrt war die Batterie zu 99 Prozent gefüllt und zeigte eine Reichweite von 436 Kilometern an. Nach 94 Kilometern meldete der Bordcomputer, dass noch 319 Kilometer drin wären, was einen deutlich über dem von Geely angegebenen Verbrauch nach WLTP von 16,7 kWh nahelegt. Die gefahrene Strecke auf dieser ersten Kennenlern-Möglichkeit war deutlich zu kurz für eine valide Aussage, und Berechnungen auf Grundlage einer vom Bordrechner vorhergesagten Reichweite verbieten sich erst recht. Seriösen Aufschluss können erst spätere Testfahren mit mehreren Ladungen bieten.

Die Beschleunigung ist dank der hohen Leistung ausgesprochen leichtfüßig, im Brabus atemberaubend. Fahrkomfort und Dynamik stehen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander, auch bei flotter Gangart spürt man keine übermäßigen Wankbewegungen. Fahrbahnunebenheiten werden wirkungsvoll geschluckt, vorn arbeitet eine gewöhnliche McPherson-, hinten eine aufwendige Mehrlenker-Aufhängung.

Die Lenkung vermittelt ein gutes Gefühl für die Straße, auch wenn sie nicht die direkteste ihrer Art auf dem Markt ist. Die drei Fahrprogramme Eco, Comfort und Sport fühlen sich, abgesehen von der Inszenierung auf dem 12,8 Zoll großen Zentraldisplay, ziemlich ähnlich an. Zwischen den drei Rekuperationsmodi Standard, Strong und e-Pedal, die ebenfalls über den zentralen Infotainment-Bildschirm definiert werden, machen ebenfalls keinen großen Unterschied. "e-Pedal" sollte Einpedalfahren ermöglichen, doch die Bremswirkung muss häufig mit dem linken Pedal ergänzt werden.

Smart #001 (5 Bilder)

Der Tunnel ist von einer Dimension, als müsse er einem Getriebe Raum geben, das mindestens einen Meganewtonmeter verkraften kann. Dabei ist nur Luft unter diesem Potenzbuckel. 

Die Beinfreiheit ist in beiden Reihen großzügig. Die geteilt umlegbaren Rücksitze lassen sich auf einer 13 Zentimeter langen Schiene verschieben, die es erlaubt, Beinfreiheit und Kofferraumvolumen den Bedürfnissen anzupassen. Das Ladevolumen liegt zwischen 273 und 426 Liter plus 15 Liter Frunk unter der Fronthaube. Die meisten Oberflächen sind zwar nicht weich unterschäumt, aber solide verarbeitet. Zumindest in der teuren Premium-Ausstattung gibt es weiche Oberflächen im oberen Bereich der Türverkleidungen und des Armaturenbretts.

Der Qualcomm-811-Chipsatz erreicht mit ECARX-Software eine gute Grafik und eine schnelle Reaktionszeit, die Bedienung ist insgesamt intuitiver als die der meisten Konkurrenten. Sogar der KI-Avatar Fox ermöglicht eine fließende Interaktion mit den meisten Fahrzeugfunktionen per Sprachsteuerung – vorerst jedoch nur in Englisch. Das ist gut, denn die Bedienung über den Neun-Zoll-Monitor wird erschwert durch eine Überfülle an Menüpunkten. Direkt angesteuert werden können über eine Tastenleiste darunter allein die nahezu nutzlosen Fahrmodi, Fahrzeugeinstellungen und die Defrost- und Heizfunktionen. Den Vorserienautos fehlen zudem eine Android-Auto- oder Apple-Car-Play-Konnektivität, doch soll hier soll bis zum Marktstart Anfang 2023 immerhin mit einer kabelgebundenen Lösung nachgebessert werden. Da sind andere Hersteller schon weiter – bei ihnen wird das kabellos eingebunden.

Preislich liegen die verschiedenen Smart-Modelle eng beieinander, das Basismodell Smart #1 Pro+ kostet 41.490 Euro, das Modell "Premium" ab 44.490. Für 48.990 Euro bietet das Modell "Brabus" derzeit die höchste Leistung fürs Geld.

(fpi)