MIT Technology Review 6/2023
S. 42
Titel
Lesen

Zwischen Buch und Bildschirm

Digitale Medien verändern, wie wir lesen – und wie unsere Kinder in der Schule lesen lernen. Ob das nun gut ist oder schlecht, hängt nicht nur von der Dosis ab.

Andrea Hoferichter und Holly Korbey (Übersetzung: Veronika Szentpétery-Kessler)

Linus Merryman verbringt in seiner Grundschule in Nashville täglich etwa eine Stunde am Laptop. Der Zweitklässler übt dann grundlegende Lesefertigkeiten wie Buchstabieren und Rechtschreibung. Mit Leichtigkeit klickt er sich in einer Lese-App zu den Lektionen durch, die für seine Lesebedürfnisse ausgewählt wurden. Linus sucht jene Stellen in Wörtern, an denen diese sich in Silben zerlegen lassen. Das Wort Schimpanse erscheint in großen Buchstaben, und der Junge schiebt mit dem Touchpad comichafte römische Säulen wie kleine Trennzeichen in die Lücken zwischen den Buchstaben. Die App liest ihm seine Silbentrennungen vor – „Schim-pan-se“. Linus hat es richtig gemacht.

Dann schließen er und seine Klassenkameraden ihre Laptops und setzen sich mit ihrem gedruckten Exemplar von I Have a Dream auf den Teppich. Das Bilderbuch enthält die Rede von Martin Luther King. Die Lehrerin liest vor, die Klasse liest in ihren Büchern mit. Ab und zu stellen die Kinder Fragen und sprechen an, was ihnen aufgefallen ist, zum Beispiel, dass die Rede in der ersten Person geschrieben ist.